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weit geöffnet. Zuerst haben „alle“ gejubelt, dann kamen immer mehr von den Flüchtlingen und sehr schnell gab es im Lande kritische Stimmen, die auch die Kanzlerin nicht mehr ignorieren konnte. Also trat sie am 15. September 2015 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Österreichs Kanzler Werner Faymann vor die Kameras und sagte in staatsmännisch-beleidigtem Tonfall wortwörtlich:

       „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

      Die Brisanz dieser „angedrohten Aufkündigung der Zusammenarbeit“ mit dem deutschen Volk ausgerechnet aus dem Munde einer amtierenden deutschen Bundeskanzlerin, noch dazu vor laufenden Kameras, ist den deutschen Medien in den Tagen danach durchaus aufgestoßen. Beispielsweise die Bild-Zeitung vom 16. September 2015 hat versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Unter der Überschrift ›Was hinter Merkels Gefühlsausbruch steckt‹ fand Bild heraus: Nicht wenige (z. B. die Berliner Zeitung) denken, Merkels Worte seien hauptsächlich an Horst Seehofer und die CSU gerichtet gewesen, weil sich die CSU gegen Merkels (faktische) Einwanderungspolitik sträubt. Die Bild-Zeitung schreibt:

       In der „Berliner Morgenpost“ hieß es:

       „Gestern hielt Deutschland kurz die Luft an. […] Das war gefühlshaltiger als die üblichen Floskeln mit Ausstiegsoption. So klar haben wir Angela Merkel selten erlebt […] [Sie] zeigte zum ersten Mal in ihrem politischen Leben, wie sie Patriotismus definiert, und zwar durchaus pragmatisch. 3 Merkel-Deutschland hilft Menschen, die in Panik über Autobahnen irren. Merkel-Deutschland versucht aber zugleich, jene zu stoppen, die ohne Asylgrund oder Einwanderungserlaubnis kommen.“

       Bisher wurde Merkel von Beobachtern gern als kühl, als überaus rational, beherrscht und kontrolliert wahrgenommen. Und jetzt dieser deutliche Gefühlsausbruch? 4

      Sieht man sich die Filmaufnahmen von Merkels angeblichem „Gefühlsausbruch“ auf YouTube5 genauer an, so ist kaum eine übermäßige Gefühlsregung zu erkennen, schon gar kein Gefühlsausbruch. Angela Merkel hebt weder ihre Stimme, sie kommt nicht aus dem Rhythmus noch gestikuliert sie umher. Bis unmittelbar vor der Aussage mit »nicht mein Land« folgt die Kanzlerin ruhig und wohl wissend, was sie sagen will, einer offenbar vorbereiteten Ansprache. Demnach ist ihr das »Nicht mein Land« keinesfalls einfach so herausgerutscht.

      Doch nicht nur die Bild-Zeitung erkennt einen Gefühlsausbruch, wo vielleicht gar keiner war. Die Süddeutsche Zeitung vom 17. September 2015 schreibt:

       Der seltene Gefühlsausbruch der Kanzlerin

       „… dann ist das nicht mein Land.“ Aus dem Mund einer Regierungschefin ist das ein erschreckender Satz. Er zeigt eine Verletztheit, die kaum ein Politiker gern zu erkennen gibt, schon gar nicht Angela Merkel. […]

       Der Schluss des Konditionalsatzes – „dann ist das nicht mein Land“ – ist sein bemerkenswertester Teil. Sofort spürbar ist eine Emotionalität, eine Verletztheit, die kaum ein Politiker, schon gar nicht Angela Merkel, gern zu erkennen gibt. […] Man sollte den Ton der Verletztheit, den Merkel anschlug, also nicht zu persönlich verstehen. Es ging wohl nicht nur um Horst Seehofer. […]

       „Dann ist das nicht mein Land“: Das ist aus dem Mund einer Regierungschefin ein ziemlich erschreckender Satz. 6

      Die Brisanz des Merkel’schen Nicht-mein-Land-Satzes ist den Medien also durchaus aufgefallen. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn »erschreckend«, die Berliner Morgenpost schreibt, Deutschland habe »kurz die Luft« angehalten. Erklärt wird der Satz mit Merkels Emotionalität. Ich persönlich kann jedoch nur empfehlen, sich das Video mit Merkels Aussage auf YouTube selbst anzusehen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden.7

      Letztendlich hat der Nicht-mein-Land-Satz in der Öffentlichkeit aber keine nachhaltige Debatte über die innere Grundhaltung Angela Merkels angestoßen; nicht in den Massenmedien und auch nicht im Lager politischer Gegner, wie der SPD, den Grünen usw. Eine wirklich qualifizierte Kritik an der inneren Haltung der Kanzlerin kommt in den Mainstream-Medien meines Wissens so weit nur von der Literaturwissenschaftlerin und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler (geb. 1941), aus deren Feder das Buch ›Die Patin – Wie Angela Merkel Deutschland umbaut‹ (2012) stammt.

      Landesmutti, Land und Kinder

      Natürlich sticht einem der „gefühlte“ Kontrast von Merkels Image als „Mutti“ und ihrem Nicht-mein-Land-Satz ins Auge. So etwas darf ausgerechnet eine Landesmutti ja eigentlich gar nicht sagen.

      Merkels Mutti-Image leitet sich natürlich zunächst von ihrer langen Regierungszeit (seit 22. November 2005) ab und einer damit verbundenen gewissen Vertrautheit. Weiter leitet sich das Mutti-Image ab von einer wenigstens inszenierten Volksnähe und Einfachheit, man denke nur an Angela Merkels Kleidungsstil, der – abgesehen vom Wechsel der Farben – an den monoton-uniformen Stil gewisser ostasiatischer Parteivorsitzender erinnert.

      Ebenso findet sich das Grundthema Merkel’scher Einfachheit wieder im sprachlichen Niveau ihrer Reden. Kein Mensch käme auf die Idee, Angela Merkel eine gute Rednerin zu nennen. „Mutti“ ist also durchaus ein passendes Etikett für das öffentliche Auftreten Angela Merkels. Es signalisiert Vertrautheit, ja ein Grundvertrauen und eine gewisse emotionale Bindung. „Mutti“ signalisiert: „Mutti, du machst das schon!“

      Nur was ist von einer Mutter zu halten – und damit kommen wir wieder in die gefühlte Nähe obiger Deutschlandfahnen-Entsorgung –, die in aller Öffentlichkeit durchaus bedacht und keinesfalls – wie einem die Presse weismachen will – im emotionalen Affekt die Bereitschaft erklärt, sich von Deutschland zu trennen?

      Was ist von einer Mutter zu halten, die ihre eigenen Kinder wegen irgendwelcher Nichtigkeiten zu verstoßen bereit ist; Nichtigkeiten wie die fehlende Begeisterung beim Empfang 100.000er Flüchtlinge? Was bitte haben die deutschen Kinder im September 2015 schon verbrochen? Die Deutschen sind im September 2015 jedenfalls nicht „in Polen eingefallen“ oder haben mit erlogenen Kriegsgründen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg vom Zaune gebrochen, so, wie beispielsweise zwölf Jahre zuvor US-Präsident George W. Bush.

      Apropos George W. Bush: Hat sich die Kanzlerin von diesem nach dessen völkerrechtswidrigem Krieg gegen den Irak distanziert? War der nette Texaner aus gutem Hause dann immer noch „Muttis“ Liebling? Oder hat die Kanzlerin George W. Bush nach dessen Missetat im Zweistromland mit eisigem Blick auf Armlänge Abstand gehalten, so wie sie das immer mit dem ach so „bösen“ Wladimir Putin lehrbuchartig vorexerziert?

      Oh nein! Im Gegenteil: Beim G8-Treffen im Jahre 2006 hat sich Angela Merkel am Konferenztisch sitzend von Scherzkeks George W. Bush vor laufender Kamera von hinten in die Schulter zwicken lassen und die Arme in einer Art rohrkrepierenden Ekstase hochgerissen wie ein fünfjähriges Mädchen im Nichtschwimmerbecken bei einer ach so lustigen Schwimmunterrichtstunde. Die ganze Welt konnte sehen: Der süße kleine George war immer noch „Muttis“ Präsident des Herzens; und das trotz 100.000er Toter im Irak, die der süße, kleine George zu verantworten hatte; und trotz einer live vor laufender Kamera in den Vereinten Nationen belogenen Weltöffentlichkeit.

      Wir erinnern uns:

      US-Außenminister Colin Powell präsentierte am 5. Februar 2003 im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen Pseudobeweise gegen den Irak, Stichwort: Massenvernichtungswaffen. Der zweite Irakkrieg begann dann am 20. März 2003. All das hat Angela Merkel nicht sonderlich gekratzt; auch nicht die sich infolge der Kriege im Irak, in Afghanistan und anderswo entwickelnden Flüchtlingsmassen, die dann irgendwann auch nach Europa gekommen sind.

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