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II. (Auszug)

       Die Feldpostbriefe

       Das Lied der Linde

       Literatur-Codes

       Bibliographie

       Bildnachweise

       Fußnoten

       Quellenangaben

       Impressum

      Ein Deutscher

      ist großer Dinge fähig,

       aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut:

       denn er gehorcht, wo er kann,

       wie dies einem an sich trägen Geiste wohl tut.

       Wird er in die Not gebracht,

       allein zu stehen und seine Trägheit abzuwerfen, […]

       so entdeckt er seine Kräfte:

       dann wird er gefährlich,

       böse, tief, verwegen

       und bringt den Schatz von schlafender Energie ans Licht,

       den er in sich trägt

       und an den sonst niemand

       (und er selber nicht)

       glaubte.

      Friedrich Nietzsche

      Morgenröte, Aph. 207, 1881

      Tage wie diese …

      Wer am Montag, dem 23. September 2013 morgens früh aufgestanden war und mit der Kaffeetasse vor dem Fernseher saß, konnte um Punkt 05:42 Uhr im ARD/ZDF-Morgenmagazin folgende Szene bewundern:

      Auf der Wahlparty der CDU am Abend zuvor – die CDU/CSU hatte die 18. Wahlen zum Deutschen Bundestag mit 41,5 Prozent gewonnen –, hatten sich in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus die Größen der CDU – u. a. Angela Merkel und Ursula von der Leyen – auf der Bühne eines nicht allzu großen Veranstaltungsraumes versammelt; vor ihnen dicht gedrängt das jubelnde Parteivolk, vielleicht 200 Parteimitglieder, hier und dort ein Deutschlandfähnchen schwenkend.1

      Ab 05:42 Uhr sah man im Morgenmagazin – die Kamera war auf die etwa zehn Parteigrößen auf der Bühne gerichtet –, wie der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, rechts an der Seite von Kanzlerin Merkel stehend, von einem Parteikollegen eine etwa DIN-A3-große Deutschlandfahne gereicht bekam.

      Freudestrahlend wie alle im Saal und nichts Böses ahnend wollte Hermann Gröhe mit dem Fähnchen zu schwenken beginnen – wohlgemerkt auf Bauchhöhe und ohne jemanden zu verdecken –, da rupfte die Kanzlerin ihrem Generalsekretär das Fähnchen aus der Hand und sah ihn genervt an; ganz so wie eine Mutter, die ihr Kind beim Nasepopeln erwischt. Angela Merkel nahm das Fähnchen, schritt mit ernster Miene einige Meter zur Seite und legte das Fähnchen außerhalb der Sichtweite der Kamera irgendwo ab.

      Während die Kanzlerin energisch für Ordnung sorgt und beinahe aus dem Kameraausschnitt herausläuft, stehen zehn CDU-Politiker auf der Bühne, strahlen vor Freude, klatschen und schauen einander glücklich ins Gesicht. Man feiert. Man ist gut drauf.

      Nach der Entfernung der Deutschlandfahne kommt die Kanzlerin zurück und baut sich wieder in der Mitte vor den feiernden Parteigenossen auf. Dann zoomt die Kamera auf den Kopf der Kanzlerin. Und jetzt sieht man, wie sie ihrem CDU-Generalsekretär durchaus im Gestus einer Mutti mimisch signalisiert: „Also diesen Unsinn, mein Kleiner, den lassen wir in Zukunft. Kein Deutschlandfähnchen mehr in Zukunft. Aus dem Alter bist du raus.“

      Wohlgemerkt: Zeitgleich werden im Saal etwa 30 Deutschlandfähnchen derselben Größe geschwenkt. Man sieht die Fähnchen immer wieder im Bild. Nur eben nicht auf der Bühne. Die macht die Kanzlerin zur nationalsymbolfreien Zone.

      Musikalisch unterlegt war obige Jubelszene im Saal mit dem Lied ›Tage wie diese‹ der bekannten und inzwischen etwas angegrauten deutschen Punk-Rock-Gruppe Die toten Hosen. Genau in dem Moment, als die Kanzlerin ihrem Generalsekretär das Deutschlandfähnchen aus der Hand rupft, erklingt der Refrain „An Tagen wie diesen …“ Die Toten Hosen – das muss in dem Zusammenhang auch erwähnt werden – distanzierten sich wenige Wochen zuvor öffentlich von der Verwendung ihres Liedes im Wahlkampf, sahen aber keine Möglichkeit, rechtlich dagegen vorzugehen.2

      Um die Reihe befremdlicher Zeichen der Zeit zu ergänzen, noch folgende Notiz: Ein paar Monate nach der CDU-Siegesparty wurde Hermann Gröhe Schirmherr von ›Verrückt? Na und?‹, einem Präventionsprogramm von ›Irrsinnig Menschlich e. V.‹, ein Verein für Prävention im Bereich psychischer Gesundheit.

      Man fragt sich: Was für eine seltsame Inszenierung war das eigentlich an diesem 22. September 2013, als gegen den Willen der Toten Hosen deren Lied erklang und der CDU-Generalsekretär nicht mit seinem Deutschlandfähnchen schwenken durfte?

      Hat es etwas zu bedeuten, wenn die deutsche Bundeskanzlerin ihren Bundestagswahlsieg feiert, aber auf der Bühne keine Deutschlandfahnen duldet? Allerdings. Jeder spürt das. Selbstverständlich hat es etwas zu bedeuten. Nur was?

      Halten wir für das Protokoll fest, dass die Entfernung von Fahnen stets einen Machtwechsel in einem Land anzeigt. Wenn Volk A über Volk B herfällt, um es langfristig zu beherrschen und zu kontrollieren, wird Volk A die nationalen Symbole von Volk B aus dem öffentlichen Raum entfernen. Das besiegte und unterworfene Volk B wird psychologisch geschwächt, indem man seine Identität schwächt. Dazu werden identitätsstiftende Symbole entfernt.

      Merkels Fahnenentfernung symbolisiert ohne Frage eine Art von Machtwechsel. Nur fällt der Machtwechsel nicht so auf, weil Angela Merkel ihre eigene Fahne im Verborgenen hält. Und dieses „nicht die Fahne zeigen“ – das werden viele Leser richtig erspürt haben – ist nicht weit entfernt von „nicht mit offenen Karten spielen“.

      Jeder Bürger eines demokratischen Staates weiß ab einem bestimmten Alter, dass Politik auch immer Schauspiel und Inszenierung ist. Das betrifft allem voran die Reden, Worte und Gestiken der Politiker, aber auch ihre Kleidung, das Timing und andere Dinge. Politiker sind immer auch Schauspieler. Das wissen wir. Wir wissen aber auch, dass Politiker, von Ausnahmen abgesehen, keine wirklich guten Schauspieler sind. Wären sie das, hätte sie ihr Talent und ihr Instinkt schon in jungen Jahren an eine Schauspielschule getrieben. Folglich liegt es in der Natur der Sache, dass Politiker hin und wieder eben nicht schauspielern und man sehen kann, was sie wirklich denken und fühlen. Und das, was da am Abend des 22. September 2013 auf der Bühne im Konrad-Adenauer-Haus geschah, könnte durchaus ein solcher ehrlicher Moment gewesen sein. Und selbst wenn nicht: Die symbolische Wirkung der Deutschlandfahnen-Entfernungs-Szene bleibt eindeutig. Deutschland ist nicht Angela Merkels Priorität.

      Letzten Endes geht es hier aber nicht um Angela Merkel als Person; es geht um sie als Zeichen der Zeit; als Zeichen dafür, an welchem Punkt sich Deutschland Anfang des 21. Jahrhunderts politisch und massenpsychologisch befindet. Es geht um die Fragen: Was ist Deutschland? Wer sind wir? Wo stehen wir Deutschen jetzt, und wohin geht die Reise in den nächsten Jahren und Jahrzehnten? Was erwartet uns in Zukunft auf Grundlage dessen, was wir schon jetzt in W a h r h e i t sind?

      Hier ein zweiter Angela-Merkel-Wahrheitsmoment zwei Jahre später:

      Am 5. September

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