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geöffnet hatte. Vorsichtig, vorsichtig.

      Hielt die bloßen Füße gegen die Glut. Es lag eine ganze Welt von Schatten, Licht und Farben in der Glut. Sie legten immer gut nach, bevor sie ins Bett gingen, dann konnten sie am nächsten Morgen mit der Glut neu einheizen.

      Sie hatte kein anderes Licht als den Mond, der durch die Fenster schien – und die offene Ofentür.

      So sollten die Herbsttage sein! Trocken und voll Ofenwärme und Mondschein. Das Tuckern eines Bootes in der Bucht und sanfter Wind im Ebereschenbaum. Die roten Büschel schlugen leise gegen das Fenster. Man sollte sie nicht sehen. Nur ganz still auf der Torfkiste sitzen und lauschen und wissen, dass die Beeren intensiver rot waren denn je. Der Abend sollte lang sein wie ein kostbarer Sommertag, mit dem Mondlicht von oben und der Dunkelheit von unten. Und trocken! Die Füße sollten nackt sein, man sollte das Gefühl haben, dass sie vom übrigen Körper getrennt waren – in der schwachen Wärme des Ofens. So!

      Und die weiße Uhr sollte ticken. Tagsüber hörte man sie nicht. Durch die Tage schlug sie sich nur aus Trotz. Aber jetzt war sie auf friedliche Laute eingestimmt. Rund und schön tickte sie – und band alle Dinge zusammen, so wie es sich gehörte.

      Die Insel hatte jetzt einen glasigen Schimmer. Das Meereslicht lag kalt und unbarmherzig über den dunkelgrünen, abgemähten Wiesen. Das Gestrüpp überall hielt mit aller Macht die gelben Blätter fest. Nässe und Nachtfrost hielten einander in eiskalter Umarmung. Grün schimmerte das Meer, tagaus, tagein. Ohne eine einzige Schaumkrone. Ohne einen einzigen grauen Regenschauer. Der Himmel war das Seltsamste. Hoch und hell – als ob es April wäre und die große Außenlampe den ganzen Tag brannte. Die Linie zwischen Meer und Himmel leuchtete bis weit in den Abend hinein. Es war, als ob der Herrgott in diesem Jahr den Herbst überspringen wollte.

      Trotzdem machte das Schlachten die blutige Runde in den Höfen. Die Schafe hatten wochenlang die letzten Heureste verzehrt. Jetzt war ihr Schicksal besiegelt. Der Schlachter war ein wohlgelittener Mann. Er hatte eine Frau und sechs Kinder in Sørbygda. Er aß und trank herzhaft. Und wo er hinkam, fehlte es ja selten an Frischfleisch.

      Rakel konnte sich an diesen Teil der Schafzucht nie gewöhnen. Sie stand über dem dampfenden Blut und hätte sich am liebsten übergeben. Wurde abgelöst und ging zum Kochen ins Haus. Frische Fleischsuppe mit viel Kohl und Mohrrüben. Es schien zu dampfen. Eine Art feuchtkalter Dampf. Auch wenn er heiß war. Von Suppe und Blut und Blutklößchen und Blutpudding. Dampf aus dem Innersten und Gierigsten des Lebens. Urdampf. Mehrmals dachte sie, dass sie die zwei oder drei Tage, die es dauerte, nicht durchhalten würde. Aber sie schaffte es immer, die Rakel. Immer! Und im Dezember fing sie so allmählich an, sonntags Fleisch zu essen wie andere Leute auch. Aber vor und nach dem Schlachten war sie Brotesserin. Sie kochte das Fleischgericht nur für die Arbeitsleute und Simon. Sie pflegte zu sagen, dass sie schon gegessen oder dass sie zu viel zu tun habe, um am Tisch sitzen zu können. Sie lief ein und aus und war sehr beschäftigt. Es war zur Schlachtzeit außerordentlich angenehm in Bekkejordet, das fanden alle, die dorthin kamen. Aber Rakel kannte weder Rast noch Ruh. Sie arbeitete wie ein ungestümer Südwestwind.

      Nur Simon wusste Bescheid. Und er berührte sie mit seiner rauen Hand, wenn er sie zufällig irgendwo traf. Es war ihm egal, ob es jemand sah. Er fuhr mit derselben Hand über sein Kinn.

      Dann schimmerte es in seinen Augen. Von dem weichen, schönen Mund breitete sich etwas wie Zärtlichkeit aus. Das ganze Gesicht leuchtete, wenn er Rakel sah.

      Rakel wusste, dass er wusste. Aber er verspottete sie nie deswegen. Es ging nur sie beide an. Das Fasten machte Rakel gesprächig und aktiv. Und gut. Und Simons von der Arbeit ermüdeter Körper wurde an solchen Spätherbsttagen wieder ganz lebendig. Schande über ihn, wenn er nichts taugte – da sie so wunderbar warm und wach war. Und das Licht brannte im Schlafzimmer von Bekkejordet. Im Bett wurde nicht gelesen, und es wurde wenig gesprochen. Rakel kompensierte ihren Hunger im Magen mit einem anderen Hunger, und sie wollte gerne sehen, was sie bekam. Nachher konnte sie noch lange wach liegen und dem fernen Rauschen des Wasserfalls vom Hesthammeren lauschen – und dem Atem des Mannes. Sie lag auf dem Rücken, die Arme und Beine in dem breiten Bett weit von sich gestreckt. Sie konnte plötzlich ein Gefühl von Unwirklichkeit haben. Die Sicherheit, die Sättigung waren nur eine Leihgabe. Dieses Gefühl mischte sich mit dem Rauschen dort draußen und wurde immer undeutlicher. Sie glaubte, dass sie nur noch in diesen Stunden ihre eigentliche Kraft einsetzen könnte. Die Arbeit ging ihr nicht mehr von der Hand. Sie lief nur mit zufälligen Dingen in den Händen hin und her.

      Es konnte passieren, dass sie morgens liegen blieb. Ohne Energie, um aufzustehen. Zuerst hatte sie gemeint, dass die Schlachterei daran schuld sei. Aber es hatte ja schon im Spätsommer angefangen. Eine Müdigkeit, die sie sich nicht erklären konnte, ein Schwindelgefühl, das sie nicht verstand. Das alles nahm den Arbeitstagen die Farbe. Sie wollte es eigentlich Simon gegenüber kurz erwähnen. Stattdessen klammerte sie sich an ihn mit allem, was sie geben konnte. Auf diese Weise waren jedenfalls die Nächte schön. Sie war nicht mehr beim Arzt gewesen seit jenem unglückseligen Tag, an dem sie sich Klarheit darüber verschafft hatte, dass es nicht an ihr lag, dass sie keine Kinder bekamen … Bis zu einem gewissen Grad war wohl ihre eigene Fruchtbarkeit in Verbindung mit Simons Mangel ein Grund dafür, dass ihr die Arbeit nicht mehr so leicht fiel. Die Müdigkeit. Die Übelkeit. Sie fürchtete auch, dass, wenn sie über ihre Unpässlichkeit sprach, dann alles ans Licht kommen müsste. Nein, sie wollte sehen, ob es nicht vorüberginge. Sie gab sich noch eine Woche. Dann würde sie den Arzt aufsuchen. Sie konnte jederzeit ins Dorf gehen, ohne Simon darüber informieren zu müssen, was sie vorhatte.

      Sie legte die Hand auf seine knochige Hüfte. Er registrierte die leichte Berührung und rückte im Schlaf näher zu ihr. Sie reckte sich über ihn und löschte das Licht. In der Dunkelheit war er ihr ferner. Es half irgendwie nicht, dass sie ihn nahe bei sich fühlte. Es war nicht genug. Sie verstand sich selbst nicht mehr, konnte den nächsten Tag nicht ins Auge fassen.

      Tora und Rakel saßen in Bekkejordet am Küchentisch und vernähten Rollwurst aus Hammelfleisch. Es roch nach Zwiebeln und Kräutern. Das grobe Garn und die Nadel glitten Rakel immer wieder aus der Hand. Tora sah es staunend. Sie sah, dass die Tante bleich und müde war und dass ihre Bewegungen auf einmal vage und passiv wirkten. Sie redete auch nicht so viel wie sonst.

      Tora sah verstohlen auf, während sie weiternähte. Rakel spürte den Blick der Nichte. Sah sich selbst mit Toras Augen. Sie erhob sich und fing an, hinten am Küchenschrank noch mehr Zwiebeln zu schneiden. Es schien heute alles sehr eilig zu sein. Als ob sie es nicht über sich brächte, mit Tora zu reden. Nicht weiterwüsste. »Ich glaub, ich muss mich ein bisschen hinlegen. Ich bin so müd. Es war in letzter Zeit so viel. Abends ist es immer spät geworden und …«

      Tora kam es seltsam vor, dass die Tante während der Arbeit auf der Couch lag. Aber sie nähte weiter. Schwieg und nähte. Sie saß mit dem Rücken zur Couch und hatte den Ausblick auf das Land und die Birkenallee. An der Wand tickte die Uhr. Der Ofen war gut warm. Die Finger arbeiteten schnell und leicht. Trotzdem war es kalt im Raum, weil die Tante so schweigsam war und, anstatt zu arbeiten, auf der Couch lag. Tora wollte sich nicht umdrehen und sehen, ob sie schlief. Sie hörte sie nicht atmen. Sie hatte das Gefühl, dass die Tante auf ihren Rücken schaute. Es war anstrengend und schwierig, die ganze Zeit an die Tante zu denken, so dass Tora schließlich aufstand, um aufs Klo zu gehen. Erst wusch sie sich die Hände am Ausguss. Der Blick fiel auf Rakel. Sie war blass! Sie lag mit geschlossenen Augen da. Sie wirkte völlig wehrlos. Tora schämte sich, dass sie es gesehen hatte, und schlich hinaus. Saß lange draußen in der Kälte und überlegte, dass heute auf Bekkejordet alles anders war.

      Als sie wieder hereinkam, war Simon da. Rakel hatte angefangen, die Lake für die Hammelwurst zu kochen. Simon lachte und erzählte vom Geschäft und vom Ort. Er kniff Tora in die Wange und strich Rakel über die Hüften. Aber etwas schien in der Luft zu liegen. Und zwar nichts Gutes.

      Vier Tage später ging Rakel in den Ort. Und saß dann im Wartezimmer, bis sie an der Reihe war.

      Ihr Gespräch zog sich zähflüssig hin, während sie dort auf den Stahlrohrstühlen saßen.

      Rakel fühlte sich todmüde, und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich einem Mann verständlich machen sollte – auch

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