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Kochplatte.

      »Nein, ihr habt ja einen elektrischen Herd!«

      Tora musste ihn anschauen. Er war ganz weiß. Beinahe unheimlich. Er hatte einen Backofen mit Ober- und Unterhitze, ein Wärmefach und auf der Oberseite drei Kochplatten. Er war ein Wunder. Noch schöner als Tante Rakels Herd.

      Randi zeigte und legte los. Sie war so freundlich und froh! Immer. Selbst wenn sie traurig war, strahlten ihre Augen. Aber heute Abend war sie froh.

      Es war schön, wieder hier zu sein.

      Tora zog den Anorak aus und setzte sich ans Tischende. Sah zu, wie Randi Kakao kochte, noch immer im Strickmantel. Tora brauchte nicht nach Frits zu fragen, denn Randi drehte sich immer wieder vom Herd um und erzählte, während sie Wasser, Zucker und Kakao in einer Tasse anrührte und das Ganze dann in die Milch goss.

      Er sollte Hilfe bekommen, damit er im nächsten Herbst weiter zur Schule gehen könne, denn er sei dann mit der Volksschule fertig und habe keine Ansprüche mehr. Sie meinten, er sei zu tüchtig, um zu Hause versteckt zu werden. Es sei hier so leer geworden, seitdem er fort sei … Aber es sei ja gut, dass er rauskomme und etwas lerne. Etwas werden könne. Sie freue sich schon auf den Tag, an dem er einen Beruf ergreifen könnte. Er habe so beschützt gelebt – darin sei sie sich einig mit denen in der Schule. Ja, sie hätten direkt gesagt, dass sie den großen Jungen zu sehr behütet habe. Damit wollte sie nun Schluss machen … Sie hätten so recht in allem, was sie sagten, und sie wolle sich bessern. Aber wenn er den größten Teil des Jahres fort sei, dann vergesse sie, wie groß er sei – vergesse, dass er, auch wenn er nicht hören und sprechen könne, doch gut zurechtkomme. Sie habe es ja gesehen, als Frits mit Tora und den anderen Kindern zusammen gewesen sei. Trotzdem … sie könne nicht dagegen an … Frits sei nun eben ihr Kind. Und sie sei so traurig gewesen, als sie begriffen hatte, dass er nicht richtig hören konnte. Habe sich geschworen, dass es ihm niemals an Liebe und Fürsorge fehlen solle. Und dann komme er ab und zu nach Hause und sei jedes Mal etwas verändert … und das sei grausam! Aber sie wolle sich zusammennehmen. Ganz bestimmt. Wenn er Weihnachten kam, würden sie schon zu Knutsens oben an der Straße in die erste Etage umgezogen sein. Und da würde er ein eigenes Zimmer bekommen. Und er solle sein Zimmer jeden Morgen und Abend selbst aufräumen. Ganz bestimmt solle er das. Sie würde sich an die Strickmaschine setzen, und er müsse sich damit abfinden, dass sie so beschäftigt sei.

      Tora begriff, dass Randi nicht viele hatte, mit denen sie reden konnte. Sie war in Været immer noch eine Fremde. Sie gehörte bestimmt zu denen, die immer fremd blieben. Sie war anders. Sie kleidete sich anders. In selbstgestrickte Gewänder, die weder Mantel noch Jacke waren. Nur eine hübsche, ansprechende Anhäufung von Farben. Tora hatte gehört, dass die Frauen sagten, sie sei eine »Spezielle«. »Speziell« zu sein war ein Stempel. Es gab so vieles, was in Været einen Stempel trug.

      Randi hatte einen Spitznamen bekommen. Sie nannten sie »Strickbündel«. Beschuldigten sie, dass sie sich für belesen und klug hielt …

      Sie war ihre ganze Kindheit in der Stadt in die Schule gegangen und hatte ansonsten rein gar nichts ausgerichtet, dann hatte sie Gunnar geheiratet und schlechte Nerven bekommen, weil er zur See fuhr. Eine Frau mit schlechten Nerven war schlimmer als alles andere. Sie war doch eigentlich unerträglich.

      Die Dame sei so sonderbar, wie man nur sein könne, hatten sie mehr als einmal in Ottars Laden gesagt.

      Tora kümmerte sich nicht um das Geschwätz. Sie hatte gemerkt, dass die Leute über alles redeten. Was die Leute sagten, war nicht so gefährlich, das hatte sie gelernt. Was die Leute taten, war viel schlimmer.

      Tora spürte die Geborgenheit in diesem Raum. Verschlang gierig und hungrig die belegten Brote, den Geruch und den Anblick des Raumes. Sie ließ Randi reden und nickte nur und hörte mit weit offenen Augen zu. Das Gesicht Randi zugewandt – die ganze Zeit. Als ob sie Angst hätte, dass alles verschwinden könnte, wenn sie sich nur einen Augenblick umdrehte.

      »Denk dir, ich bekomm eine ganz große Küche für mich allein, wenn wir da raufziehn. Sie ist so groß. Das kannste dir nicht vorstellen. Die Strickmaschine hat Platz unterm Fenster. Oh, es wird schön! Du musst kommen. Du musst oft zu uns kommen, Tora!« Sie schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie traurig: »Der Frits glaubt, dass du wegen irgendetwas auf ihn böse bist … weil du nicht mehr gekommen bist. Aber ich hab ihm gesagt, dass das wegen dem Brand ist. Ja, ich sag’s dir gradheraus, Tora. Ich hab ja verstanden, dass du genug mit dir selbst zu tun hattest. Das war ja eine furchtbare Aufregung. Es hätt dir erspart bleiben sollen. Kinder sollten vor so was bewahrt bleiben.«

      Tora saß wie gelähmt. Ihre untere Gesichtshälfte arbeitete nicht. War zu nichts zu gebrauchen. War erstarrt. Und Randi sah ihr in die Augen, und Tora wagte nicht auszuweichen. Konnte nicht ausweichen. Sie sahen einander an. Tora fühlte, dass ihr Gesicht alle Farbe verlor. Sie erstickte fast.

      Randi hatte in eine Eiterbeule gestochen. Und die lief aus. All das Ekelhafte. Denn Randi hatte von dem Brand gesprochen, als ob er ein alltägliches, bedauerliches Ereignis wäre, das man schon am nächsten Tag in Ordnung bringen könnte. Und sie redete immer weiter darüber. Sagte, dass Henrik nicht der Erste sei, der im Gefängnis gelandet sei. Tora solle es sich nicht zu Herzen nehmen. Sie solle sich sagen, dass sie nur für sich selbst verantwortlich sei und dass sie nichts mit dem Brand zu tun habe. Randi kam Tora wie ein echter Engel vor, sie spürte es so deutlich, dass ihre Augen glänzten und sie nicht mehr schlucken konnte. Dann aber war das alles ganz plötzlich vorbei, denn Randi sagte: »Aber an etwas musste denken! Du musst ihn gut aufnehmen, wenn er wieder heimkommt. Er muss von neuem anfangen. Alle müssen neu anfangen, wenn sie ein Unrecht begangen haben. Es war natürlich sehr schlimm. Aber wir haben alle Verantwortung füreinander. Es gibt so vieles in der Welt, was wir einfach nicht verstehen können.«

      Tora saß nur da.

      Es war schön warm im Raum, die Brote schmeckten gut und Randi war eine Freundin. Trotzdem war Tora bei einer Fremden, die nichts wusste und nicht wissen durfte. Randi und Mama! Simon und Rakel!

      Die ganze Welt würde sie – Tora – verdammen.

      »Du sollst ihn gut aufnehmen. Du sollst niemanden in Verruf bringen. Du sollst denen Gutes tun, die … du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren … du sollst nicht lügen … Du sollst ihn gut aufnehmen!«

      Die Mutter sagte nie etwas. Man konnte es ihr nur vom Gesicht ablesen. Randi sagte es. Geradeheraus. Direkt und fromm wie alle anderen Bibelworte, die sie in der Schule oder bei Elisif gelernt hatte. Aber konnte man mit ihnen leben, ohne zu lügen oder zu verschweigen? Tora wusste nicht ein noch aus. War das alles von Leuten erfunden worden, denen so etwas nicht passieren konnte? Die nichts begriffen? Wussten die Menschen, die Gesetze und Vorschriften machten, wie grauenhaft das alles war? Machten sie nur Gesetze für Dinge, von denen sie selbst nicht berührt wurden? War es so einfach?

      Sie fühlte einen kleinen Trotz in sich. Aber sie konnte ihn nicht groß genug werden lassen – nicht richtig. Denn Randi war beinahe ein Engel. Und Tora saß hier doch vor Randis Augen.

      So war es immer. Die Mutter war schweigsam und traurig. Sie war so müde und ernst. Sie hatte gegen so vieles anzukämpfen. Sie musste geschont werden.

      Mussten alle geschont werden? Gab es keinen Menschen, der …?

      »Ich hab noch was, das muss ich dir zeigen, Tora!«, sagte Randi plötzlich und schlug die Hände zusammen. Die dichten, hellen Wimpern flatterten und warfen Schatten auf ihre Wangen. »Du meine Güte! Wie konnt ich das vergessen! Ich bin doch so stolz darauf.«

      »Was ist es denn?« Tora war gespannt und froh – dass von etwas anderem die Rede war.

      »Nun kannste raten. Das rätste nie!«

      »Ich will’s versuchen.«

      Tora gab sich dem neuen munteren Spiel hin. Nur mit Randi konnte sie solche Wortspiele und solchen Unsinn machen, ohne daran denken zu müssen, dass sie erwachsen war. Nicht einmal mit Tante Rakel konnte sie so gut spielen und Unsinn treiben. Randi war eine erwachsene Frau, aber das vergaßen sie alle beide. Vergaßen es immer wieder. Es sah so aus, als ob Randi sich für ein kleines Mädchen hielt.

      »Ha

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