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daran erinnert wird: Seien es aufgehängte Keilrahmen von Imi Knoebel oder Bildabnahmen von Timm Ulrichs mit zurückbleibenden Wandspuren – stets reicht die Aufbietung der Eckdaten des typischen Bildgevierts schon hin, um zu evozieren, was faktisch fehlt. Solche von Ulrike Lehmann und Peter Weibel einst unter »Ästhetik der Absenz« verbuchten Fälle profitieren zwar vom Nachwirken des Bildes im Modus des Stumpfschmerzes, loten diesen Effekt aber durchaus bewusst aus, weshalb es ihnen nicht als M. d. K., sondern nur als mäßige Originalität angekreidet sei.

      Die dritte Stufe ist erreicht, wenn ein künstlerisches Medium offiziell mit bildindifferentem Anspruch – sei es auf Weltverbesserung, auf Sammlung von Fakten oder Dingen, sei es auf konzeptuell motivierter Darbietung oder auch Partizipation – antritt, ohne dass doch verzichtet würde auf die unterschwellige Wirkung des Bildes, nämlich vermittels seines hier als typisch explizierten Formates. Man denke bloß an die räumlich dispositiven Lösungen institutionskritischer oder anderweitig politisch ambitionierter Kunst, wie sie seit den 1990er Jahren vorzugsweise in Einrichtungen wie der Wiener Generali Foundation oder der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig dargeboten werden: Schautafeln, Diagramme oder noch drögere Kost hält sich an der Wand, während davor in Vitrinen oder auch lose auf Tischen Informations- oder Betätigungsmaterial ausgelegt wird, vielleicht noch irgendwelche Formulare, die der Besucher ausfüllen darf. Auch die sogenannte Dienstleistungskunst der 1990er Jahre und der installativ vorgehende Dokumentarismus unserer Tage, schließlich etliche im Bildformat ausgelegte Bodenarbeiten kassieren Bildformatrente, indem sie vordergründig die Entsublimierung eines politisch oder anderweitig motivierten Anliegens betreiben oder sich darstellungsabstinent und literalistisch gerieren, unterschwellig aber bildliche Absolution suchen.

      Die allgemeine Verbreitung des Prinzips Bildformatrente könnte zu der Einsicht verleiten, alle historischen Fluchtversuche aus dem als kontaminiert erachteten Bild landeten nach Umwegen über bildindifferente und antibildliche Ausdrucksweisen früher oder später wieder genau dort – wenn schon nicht explizit, so doch implizit (eine Einsicht, die betrüblich ohnehin nur für diejenigen wäre, die von außerkünstlerischer Praxisrelevanz der Kunst träumten). Bedeutsamer erscheint mir, dass uns mit dem Konzept der Bildformatrente ein Mittel wenn schon nicht der Analyse, so doch wenigstens der Dingfestmachung jener andernfalls opak oder idiosynkratisch bleibenden Entscheidungen heutiger Starkünstler für diese oder jene Dimensionierung einer Stellwand, eines Durchganges oder vielleicht auch nur eines Vorhanges an die Hand gegeben ist. All diese Details und Epiphänomene in großen, gern installativen Arbeiten auf einer Biennale, die dem Laien undurchschaubar, dem Kunstfeind geschmäcklerisch und dem Kunsthistoriker als Undeutbarkeitsrest anmuten dürften, würden sich wohl oftmals durch solche Effekte nachzeichnen lassen. Die unentwirrbare Überlagerung solch künstlerischerseits habitualisierter, den Künstlern aber nicht stets voll bewusster Kunstgriffe erzeugt, wie ich finde, jenen schwer sprachfähig zu machenden ›Look von Kunst‹ mit, der längst Teil von Kunst wurde. Das heißt aber, dass bestimmte Partien heutiger, zumal komplexer und vorderhand gar nicht als Bild auftretender Werke in dem Sinne ›spuken‹, als in ihnen entleerte Schemata ereignisverdichtenden Erzählens oder auch ›hoch auf quer‹ dimensionierte Figurationen potentiell sinnhaften Zeigens irrlichtern. Die mit sich zufriedenen Künstler können dann die Arme in die Hüfte stemmend tönen, dass ihre Arbeit so – und nur so – stimme. So wenig wie die meisten ihrer Betrachter ahnen sie, inwieweit ihr Werk dabei von gewissen Eigenschaften des Bildes zehrt, die längst in den Untergrund gegangen sind.

      Normalerweise unterliegen visuell dargestellte Dinge einer dimensionalen Verringerung. Auf dem Zeichenblatt wird, vereinfacht gesagt, der Ball zur Kreisscheibe, der Stab zum Strich. Auch Skulptur suspendiert eine Dimension, und zwar die der Zeit, die sich ja an den Dingen und an dem, was lebt, viel aufdringlicher bemerkbar macht.

      Doch was wäre eigentlich das exakte Gegenstück, also dimensionale Erweiterung? Ehrgeiziger Illusionismus oder sogar vollendete Täuschung sind es jedenfalls kaum, obwohl solche sehr extremen Darstellungsabsichten durchaus darauf bauen, dimensionale Verringerung auszugleichen oder sie uns gar nicht erst merken zu lassen. Also müsste man wohl eher an gewisse Animationen denken: An flache und noch dazu unbewegte Dinge der Wirklichkeit, vielleicht Briefmarken eines Albums, die dank eines Zeichentrickfilms aber vor unseren Augen zu tanzen beginnen; oder wir erinnern uns an den Steinernen Gast aus Mozarts Don Giovanni, als der der getötete Commendatore gleichsam aus der ihn darstellenden Statue anklagend spricht. Gerade an solchen und weiteren pygmalionischen Beispielen ersieht man, dass dimensionale Erweiterung die seltene Ausnahme ist, dass sie in alter Zeit eher einer Laune der Götter und modernerweise einer Laune der Technik gehorcht; dass sie zwar denselben Weg wie die Darstellung nutzt, auf diesem Weg aber die genau entgegengesetzte Richtung einschlägt – nämlich nach gut dilettantischer Art nicht vom Leben zur Darstellung, sondern von dieser zu jenem.

      Nun gibt es eine Unterart der dimensionalen Erweiterung, die ich lieber mit dem abschätzig klingenden, aber viel genaueren Ausdruck der Dimensionsblähung bezeichnen würde, weil man sich die Ausdehnung in die dritte Dimension hierbei völlig mechanisch vorstellen muss, so als wollte man auf einer flach aufliegenden Münze mit einem Mal einen ganzen Stapel von Münzen türmen, ohne dass auch nur eine von ihnen aus dieser zylindrischen Formation ausbräche. Oder als würde aus der schmalen Laubsägearbeit einer Kuh-Silhouette ein im Querschnitt kuhförmig gearbeiteter Holzring, ganz so wie ihn erzgebirgische Spielzeughersteller beim Reifendrehen erarbeiten, um davon jede Menge Scheiben in Kuhform absägen zu können – bloß dass wir uns diesen Holzring nun als reinen Selbstzweck vorstellen müssten. Oder man denke an das Relief, das ein Steinmetz den Buchstaben einer Grabplatte oder ein heutiger Typograf am Computer irgendwelchen Fonts verleiht: nur eben nicht länger in maßvollem Verhältnis zur Flächenausdehnung der Buchstaben, um der besseren Lesbarkeit willen als moderate Hervorhebung, sondern als vektoriell entfesselter Aufwuchs, wodurch alles an ihnen gründlich auseinandertritt. Denn die flachen Buchstaben werden jetzt zwar etwas, sie materialisieren sich, zugleich aber sind sie sozusagen nur noch eine Eigenschaft jener monströsen Stapelungen, zu denen sie wurden. Das Plakat zu dem TV-Mehrteiler nach Ken Folletts Die Säulen der Erde gibt dafür ein anschauliches Beispiel: Obwohl jeder einzelne Buchstabe des Filmtitels einem Turmbau zu Babel gleich die Wolken überragt, bleiben die einzelnen Buchstaben für diese Türme und für die Menschlein, die sich den gotisierenden Fassaden dieser Türme gegenübersähen, nichts weiter als eine inwendige, nicht entzifferbare, ja unüberschaubare Prägung – überschaubar und lesbar werden sie nur für uns als Plakatbetrachter, die wir aus dem Himmel hinabschauen auf die Buchstabendächer in ihrer semantischen Anordnung.

      Dank diverser, immer ausgefeilterer Typografie- und Grafikprogramme wird es heute zusehends unaufwendiger und daher verlockender, alles Mögliche einfach mal sinnfrei in die Höhe schnellen zu lassen: Nicht nur Buchstaben oder Ziffern, prinzipiell alles lässt sich wie auf Knopfdruck aus der Zweidimensionalität herausstülpen oder ebenso akkurat und ohne Erosionsverlust in sie hineinsenken. Es ergibt sich dabei, wie meine Beispiele schon andeuteten, keineswegs nur eine quantitative Veränderung, wie es das Bild des an die Stelle der einen Münze tretenden Münzstapels nahelegen könnte. Vielmehr wird die Perspektive des Betrachters mit verschoben: von der ursprünglichen Aufsicht (auf die eine Münze) zur Ansicht (des Münzstapels). Der Stapel gibt dann das, woraus er gestapelt wurde, gar nicht mehr preis, hat es inkorporiert. Die solcherart ersetzende und verwandelnde Wirkung der Dimensionsblähung ist eine veritable Waffe in der Hand einfallsloser Gestalter. Denn aus jeder Null – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne – ist ja jetzt noch etwas herauszuholen.

      Was hat die Kunst damit zu tun? Dass es auch hier Beispiele gibt – erinnert sei an Thomas Scheibitz’ farbige Plastiken spitziger, dimensionsgeblähter Zahlen oder an Pietro Sanguinetis piekfeine Buchstabenwelten, in denen Worte wie ›super‹ ein entsprechend aufgepepptes Eigenleben führen – erscheint eher harmlos und nimmt es mit den aus dem Ruder laufenden Entwicklungen in Grafikdesign und Motion Graphics in keiner Weise auf. Doch nun heißt es abwarten. Es wäre nicht das erste Mal, dass in den technisch aufgerüsteten Fabrikationen der Bild- und Schriftbildkommunikation Entwicklungen offenbar werden, die sich in der Kunst erst nach und nach manifestieren.

      Конец

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