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auch die theologischen, werden auf derselben Ebene behandelt.

      So werden die Slots definiert und mit ihnen die Verzahnungen der Slots. Das Prinzip, nach dem sie zusammenzupassen haben, ist wechselseitige Stabilisierung und Risikomanagement. Die Eigenschaften des einen Slot sind systemisch verbunden mit denen des anderen. Das Manko im einen Slot wird vom anderen gepuffert. Fällt die Fürbitte mal weniger authentisch aus, springt das anschließende Gemeindelied in die Bresche. Ist der Gemeindegesang mal eher dürftig und trostlos, wird er von der engagierten Predigt aufgefangen.

      Weiter, es muss Akteure geben, die für das Zusammenpassen zu sorgen haben. Das sind die Funktionsträger des pastoralen, diakonischen, bürokratischen, musikalischen und technischen Diensts. Ihr Verantwortungsbereich ist nicht primär, Bausteine für die Slots herzustellen. Dafür sind sie aus Gründen, auf die ich gleich zu sprechen komme, sogar ziemlich ungeeignet. Sie haben das Zusammenpassen der Slots zu managen. Um es noch einmal zu betonen, der Aspekt, dass Gott im Gottesdienst erscheint und wie er in den Gottesdienstteilen erscheint, ist eine Eigenschaft neben anderen. Nicht für diese Eigenschaft alleine, sondern für ihr Zusammenpassen mit allen anderen Eigenschaften tragen die Funktionäre Sorge.

      Für die historische Entwicklung der evangelischen Kirchenmusik war all das von erheblicher Bedeutung. Wenn ein Gottesdienstteil als quantifizierbarer Risikoträger im Gesamtgefüge definiert ist, dann kann ein Text, ein Musikstück, ein ikonisches Element, eine liturgische Handlung durch etwas anderes ersetzt werden. Die Alternative muss nur ihren Eigenschaften nach äquivalent sein. Das gregorianische Gloria kann etwa durch ein neu gedichtetes und neu komponiertes Glorialied ersetzt werden. Dass es einmal der Liturg, einmal die Gemeinde ausführt, gehört nicht zum Eigenschaftsset. Es kommt dem protestantischen Gottesdienstverständnis sogar entgegen, wenn ein und derselbe Slot von wechselnden Akteuren bespielt wird. Das ist dann eine Variable im Risikomanagement. Das Lied vor der Predigt, das in den lutherischen Agenden an die Stelle des römischen Graduale trat, kann ein Lied sein, es kann aber auch die Bachkantate sein, musiziert von Profis und mit einer Spieldauer von 30 Minuten. Die Evangelienlesung kann vom Liturg trocken abgelesen werden, sie kann aber auch eine Spruchmotette über den Bibeltext oder sogar eine über einen anderen Bibeltext sein, sofern er den theologischen und kirchenjahreszeitlichen Eigenschaften aus dem Eigenschaftsset dieses Slots entspricht. Er kann im Extremfall sogar eine ausgewachsene Passionsvertonung sein, sofern man sich in der Passionszeit befindet und die zeitlich-räumlich-finanziellen Abmessungen dem Eigenschaftsset entsprechen. Schließlich können die definierten Einheiten ad libitum von gedoppelten oder vervielfachten Exemplaren ausgefüllt werden. Also etwa erst das gelesene, dann das musizierte Evangelium. Die ganze gewaltige Masse an evangelischer Gebrauchsmusik des späten 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts ist daraus erklärlich. Ob der Gottesdienst am Ende eine Stunde dauert oder, wie zu Bachs Zeiten in Leipzig, über drei, ist eine Frage des Managements von Zwecken und Rahmenbedingungen durch die Funktionsträger.

      Kurz, die Musik und alle anderen Elemente sind Bausteine in der Systemik des evangelischen Gottesdienstes. Ihre Bedeutsamkeit, ihren Wert im emphatischen Sinn, sogar die Intensität der Göttlichkeit haben sie weder aus sich selbst noch aus Gott selbst. Es kommt nur darauf an, wie angemessen sie die Eigenschaften der Slots ausfüllen. Daher sind sie aus Prinzip ersetzbar. Die Bedeutsamkeit der Bach’schen Matthäuspassion mag für sich genommen sein, wie sie will. Wenn Händels Messias oder das Golgatha Beat Oratorium von Dietrich Schneider und Friedel Berlipp besser passen im Sinn der Slots, dann haben sie den größeren Wert.

      Das lässt sich herunterbrechen auf die kleinen Legosteine, aus denen eine Konfirmandenunterrichtsstunde oder eine Trauung zusammengesetzt sind. Dass am Ende des Trauungsgottesdienst der Marsch aus dem Sommernachtstraum oder der aus dem Lohengrin, ein Wedding Song von Elton John oder aber eine Pachelbelfuge gespielt wird, entspricht völlig dem Bausteinprinzip. Sich darüber aufzuregen ist verlogen. Und dass dergleichen auch bei den Katholiken anzutreffen ist, widerlegt nicht, dass es dem katholischen Verständnis zuwiderläuft, ein Heiligtum, in diesem Fall das Benedicamus Domino als Entlassformel am Ende der Messe, mit einem profanen Stück durchzutauschen, während das Substituieren zwecks Anpassen an den Kontext bei den Evangelischen die Regel ist. Der Kontext ist in diesem Fall ein Eigenschaftsset, das die persönlichen Wünsche der Hochzeitsgemeinde als eine gleichberechtigte Eigenschaft neben den anderen begreift. Auch der persönliche Wunsch nach einem Klischee übrigens ist ein persönlicher Wunsch, er passt perfekt ins Bild.

      Klischees sind Inbegriffe des Zeitgeschmacks, und genau darauf läuft das Bausteinprinzip hinaus. Der Kontext, der die Eigenschaften des Slots definiert, ist immer der jeweils aktuelle Kontext. In seinem Horizont vollzieht sich das Risikomanagement. Geschickt gehandhabt, erhält das Bausteinprinzip so eine zeitgemäße Geschmeidigkeit. Es entkoppelt die Theologie von den Dingen, an denen religiöse Erfahrungen gemacht werden. Die Theologie ist nun in der Struktur des Gottesdiensts verankert und nur in ihr: im Gesamtgefüge der Bausteine und ihrer Kopplung durch die Eigenschaftssets. Die Dinge selber, also die Individualität der einzelnen Bausteine, werden vom Zeitgeschmack dominiert und schlagen nicht mehr aufs Theologische durch. Sie sind, analog zum Sinn des Worts in den Datenbanksystemen, Content.

      Entsprechend werden die Verantwortungsbereiche entkoppelt. Die Funktionsträger haben die Aufgabe, die Struktur des Gottesdiensts zu managen. Darin ist die theologische Aufsicht nicht nur eingeschlossen, sie ist darauf beschränkt. Der Content ist theologisch irrelevant, er erfüllt eine andere Aufgabe. Er stellt die Zeitgemäßheit der Veranstaltung her, indem er den religiösen Ausdrucksgestalten der Gemeindeglieder zum öffentlichen Auftritt verhilft. Die Programmplanung des Contentbereichs wird sinnvollerweise von einem möglichst divers besetzten Laiengremium übernommen. Sofern Funktionsträger darin mitwirken, sind sie pars inter pares. So ist die Zeitgemäßheit des Content am besten sichergestellt.

      Nichts liegt näher, als den Content dem Markt für Unterhaltungsgüter zu überlassen. Das ist seit etwa der Jahrhundertwende im vollen Gang, als die Gottesdienstinstitute, Medienhäuser und Jugendwerke der Landeskirchen begannen, sich zu zentralen Marktplätzen für Bausteine des kirchlichen Veranstaltungswesens zu entwickeln. Noch liegt der Schwerpunkt auf dem textlichen, ikonischen und grafischen Content. Der kirchenmusikalische Content war bisher in den Händen eigenständiger Musikverlage, Sounddesign spielte kaum eine Rolle. Das ändert sich aktuell erkennbar, da die massenhaft im Laien- und Popbereich entstehenden Bausteine dem Geschäftsmodell der klassischen Musikverlage kaum mehr entsprechen. Content aus dem Bereich Grafik- und Sounddesign ist bei einer Serviceeinrichtung vom Zuschnitt etwa eines Gottesdienstinstituts viel besser aufgehoben.

      Hier sind wir auf dem Boden der evangelischen Bausteinbrüche angekommen. Es herrscht rasender Stillstand. Institute der kirchlichen Bildungsarbeit und der Evangelischen Jugendwerke bieten zum Download Textbausteine, mit denen die Besucher im Gottesdienst „ganz besonders ankommen“ können. Liedbausteine versprechen, das Credo „mal anders“ zu bekennen. Mit dem „mal anders“ ist eine der abgründigsten Wahrheiten über die evangelische Kirchenmusik ausgesagt, es bringt ihr unermüdliches Jagen nach Zeitgemäßheit ebenso auf den Punkt wie die Müdigkeit, die einen in einem übervollen Kaufhaus befällt. Ein weiterer downloadbarer Baustein leitet an, wie das Fürbittengebet mit einer Klangschale „sounddesignt“ werden kann. Textbausteine, auf einzelne Zeilen bekannter Kirchenliedmelodien zu singen, für alle Slots der Agende. Ein Textbaustein für das Kyrie am Sonntag Kantate, in dem es heißt „Gib uns Melodien, die von deiner Freiheit singen“, ein Gebet, mit dessen spontaner Erhörung nicht gerechnet wird, denn die Gemeinde soll anschließend EG 178.9 singen, die bekannteste aller Kyrieversionen. Neue Lieder für alle Slots der Agende durch alle Zeiten im Kirchenjahr. Kirchennahe Shops vermarkten alle erdenklichen Motive der christlichen Malerei (Schwerpunkt Renaissance und Barock). Im analogen Format der Aufstellkarte oder des 3D-Aufstellbilds sind sie für den Kindergottesdienst geeignet, für die Erwachsenenveranstaltung gibt es sie digital. Musikverlage vermarkten alle erdenklichen kontrapunktischen Stückchen (Schwerpunkt Renaissance und Barock) des Formats „Spieldauer ca. 2 Minuten“ und mit Emotionswert „neutral“ unter Titeln wie Orgelmusik im Gottesdienst, Neue Orgelmusik für den Gottesdienst, Leichte Orgelmusik für den gottesdienstlichen Gebrauch und so weiter. Finanziell geht der Trend zum Mikropricing im Centbereich je Download.

      Die Produktpalette ist prinzipiell unendlich

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