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Walter Goetz analysiert in der Deutschen Biographie Bartels’ Werke konzise: »Die ›Geschichte der deutschen Literatur‹ und die ›Einführung in die Weltliteratur‹ (3 Bände, 1913) zeigen ihn als einseitigen Parteigänger des Rassenprinzips und des Antisemitismus; von da an sind seine zahlreichen Arbeiten zumeist nicht Wissenschaft, sondern Propaganda zugunsten eines rein völkischen Schrifttums.99

      Schon vor 1914 war er in seinen Publikationen als prononcierter Antisemit hervorgetreten, wie die Pamphlete Heine-Genossen. Zur Charakteristik der deutschen Presse und der deutschen Parteien (1907), Judentum und deutsche Literatur (1912) oder Deutsch-jüdischer Parnaß (1912) zeigen. In seiner Denkschrift Der Siegerpreis zu Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 forderte er bereits die dauerhafte Besetzung Polens und des westlichen Russlands und »Vorposten an Düna und Dnjepr und am Schwarzen Meer.«100

      Der Weimarer Nationalsozialist, HJ-Gebietsführer und Freund Baldur von Schirachs, Rainer Schlösser (1899–1945), der als »Reichsdramaturg« bei Goebbels Karriere machen sollte, beschrieb die Rolle von Adolf Bartels für die nationalsozialistische Literaturpolitik präzise: Bartels habe in der »Literaturbetrachtung das nationalsozialistische Prinzip vorweg genommen«.101

      Volkhard Knigge, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar, legt in seinem ZEIT-Artikel Professor Bartels’ Bücher die Wechselwirkung zwischen dem ursprünglich völkisch-rassistischen Antisemitismus102 und dem Nationalsozialismus klar und unmissverständlich dar: »Antisemitismus mit Bartels, das war keine Sache für knüppelschwingende Fanatiker, sondern eine wissenschaftlich begründete kulturelle Notwendigkeit für belesene, vaterlandsliebende Patrioten. Die Weimarer Botschaft lautete: ›Wer in unserer Zeit nicht Antisemit ist, der ist auch kein guter Deutscher.‹«103

      Die Aussage Schirachs, dass er zwar die antisemitischen Schriften von Chamberlain und Bartels gelesen habe, aber erst durch Henry Fords Buch Der internationale Jude. Ein Weltproblem (Leipzig 1922) zum NS-Antisemiten wurde, kann nicht stimmen. Der rassistische Antisemitismus war gerade im Weimarer Umfeld von Schirach längst angekommen und hatte sich mit konservativ-nationalistischen antidemokratischen Positionen aus der Zeit vor 1918 zu einem gefährlichen politischen Konglomerat verbunden. Es war kein Zufall, dass Hitler so früh in Weimar auch in den Kreisen bürgerlicher Eliten wie der Schirachs akzeptiert wurde und der junge Sprössling ein glühender Hitler-Verehrer wurde. Adolf Bartels, der mit der Familie Schirach gut bekannt war, soll Sohn Baldur auch Privatunterricht gegeben haben – vermutlich zur Geschichte der deutschen Literatur.104

      In Nürnberg 1946 ein wichtiger Eckpunkt in Schirachs Verteidigungslinie: Die Lektüre von Henry Fords antisemitischer Hetzschrift »Der internationale Jude« und der Schriften des Weimarer Judenhassers Adolf Bartels (unten rechts) hätten ihn zum Antisemiten gemacht. Der Kommentar von Hans Frank dazu: »Er wollte, daß jeder glauben solle, er sei bloß ein irregeführter unschuldiger Junge gewesen. Er hat fast so getan, als sei Henry Ford für Auschwitz verantwortlich!« (Gustave M. Gilbert, Nürnberger Tagebuch, 346).

      Ein Schnappschuss des Schwiegervaters Heinrich Hoffmann: Henriette und Baldur von Schirach kurz nach der Hochzeit im März 1932.

       4. ES GEHT VORWÄRTS!

       Der Aufstieg zum Studentenführer

      Adolf Hitler hatte den Gymnasiasten Baldur von Schirach zwar nach München eingeladen, aber nicht auf ihn gewartet. So galt es, den Kontakt zum »Führer« neu herzustellen – wie sich zeigte, keine einfache Aufgabe. Rudolf Heß wimmelte den zudringlichen Studiosus, der um einen Termin bei Hitler bat, ziemlich ungnädig ab, und selbst Elsa Bruckmann scheiterte mit ihren Bemühungen. Schirach erkannte, dass er Hitler mit einer neuen Aufgabe konfrontieren und für sich gewinnen musste. Und dann war da auch das Studium, das er ganz nach den eigenen Vorlieben und Interessen gestaltete. Seine erste Bleibe in München bezog er in der Franz-Josef-Straße in Schwabing, eine »zünftige Studentenwohnung«.105

      Schirachs eigenen Eintragungen im SA-Führerfragebogen vom 13. März 1931106 zufolge habe er in München vier Semester Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte studiert; laut den Unterlagen der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sogar fünf Semester – vom Sommer-Halbjahr 1927 bis inklusive Sommer-Halbjahr 1929.107 Die Studentenkartei vermerkt nur das Studium der Germanistik, das auch sein Schwerpunkt gewesen sein dürfte. Über etwaige Prüfungserfolge lässt sich anhand der Unterlagen im Archiv der LMU München keine Aussage treffen. Baldur von Schirach sah, wie er in seinen Memoiren festhält, seine Universitätszeit eher als Nebenbeschäftigung an, im Zentrum stand bereits seine Parteiarbeit für die nationalsozialistische Bewegung.108

      In Erinnerung geblieben sind ihm Vorlesungen über englische Literatur bei Max Förster, einem auch international bekannten Experten für altenglische Philologie, und in Kunstgeschichte bei Wilhelm Pinder. Der aus Kassel stammende Kunsthistoriker war ein betont völkischer Gelehrter109, der unverhohlen die Stärkung der deutschen Nation durch die Rückeroberung der von Slawen eingenommenen »östlichen Wohnsitze« propagierte und über das »germanische Blut- und Geschichtserbe« referierte. Schon 1930 attackierte Pinder öffentlich den Kustos in der Pinakothek August Liebmann Mayer als »Kunstjuden«. Mayer wurde nach 1933 entlassen und nach seiner Flucht nach Frankreich 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten engagierte sich Pinder offen für den Nationalsozialismus und Adolf Hitler, wurde aber trotz Aufnahmeantrag niemals Mitglied der NSDAP.

      Schirach frequentierte eigenen Angaben zufolge auch das Goethe-Kolleg bei Hans Heinrich Borcherdt, der als außerordentlicher Professor für Neuere Deutsche Literatur seit 1926 auch das Institut für Theatergeschichte in München leitete. Wie Baldur von Schirachs Vater war er nicht nur Sohn eines Offiziers, sondern trat auch dem antisemitischen »Kampfbund für deutsche Kultur« bei, dies aber erst 1931. Borcherdt galt unter den NS-Hochschulfunktionären noch 1937 als Anhänger der Bayerischen Volkspartei, der zudem noch mit der »Tochter eines bayerischen Ministers der Systemzeit« verheiratet war.110

      Letztlich gab es keine aktuellen Bedenken gegen ihn, und er erhielt auch eine Reisegenehmigung, um am 2. März 1937 im Deutschen Klub in Wien, einem elitären Netzwerk von Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Antisemiten, über den »Staatsgedanken des deutschen Idealismus« vorzutragen.111 Borcherdt wurde 1942 auf eine ordentliche Professur in Königsberg berufen.

      Schirach junior meinte im übrigen mit selbstbewusster Überheblichkeit auch als Mitglied der Shakespeare-Gesellschaft in Weimar alle bekannten Anglisten Deutschlands schon gekannt zu haben.112

      In seinen Erinnerungen nennt Schirach weitere beeindruckende Wissenschaftler, die er in den Salons der Familie des Geheimrats Schick und vor allem durch den Salon der Bruckmanns kennengelernt hatte. Dazu gehörten beispielsweise der Romanist Karl Vossler, der Historiker Hermann Oncken und der Ägyptologe Wilhelm Spiegelberg, die kurz auch politisch zugeordnet werden sollen.

      Vossler, ein bedeutender Romanist, ist die große politische Ausnahme in der hier referierten Liste. So sprach er sich als Rektor 1926/27 für die Gleichstellung der jüdischen Studentenverbindungen aus und ließ bei Feiern das bei Rechtskonservativen und Nationalsozialisten verpönte schwarz-rot-goldene Reichsbanner hissen.113 1930 ging er sogar so weit, öffentlich zu fragen: »Wie werden wir die Schande des Antisemitismus los?«114 Er wurde 1937 vom NS-Regime zwangspensioniert.

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