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Schirach hielt Wort: Am 21. November 1927 war der Saal »so überfüllt, daß die Studenten auf den Kachelöfen hockten«.128 Hitler musste sein Versprechen einlösen und sprach zum Thema »Der Weg zu Freiheit und Brot«, der Auftritt wurde zu einem triumphalen Erfolg, und Schirach hatte von nun an bei Hitler einen Stein im Brett: Er war der Mann, der ihm die Studenten gebracht hatte. 1930 konnte Hitler, der anfangs bezüglich der Studenten so skeptisch gewesen war, in der NS-Wochenzeitung Die Bewegung schreiben: »Nichts gibt mir mehr Glauben an den Sieg unserer Idee als die Erfolge des Nationalsozialismus auf der Hochschule.«129

      Im Februar 1928 wurde Baldur von Schirach Hochschulgruppenführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) in München und leitete daneben auch noch einen SA-Trupp. Ab Juli 1929 übernahm er die Führung des NSDStB. Er gründete überdies 1929 den Akademischen Beobachter, eine Zeitschrift, die im Dezember 1929 eingestellt und durch die Wochenschrift Die Bewegung ersetzt wurde, die ebenfalls nicht lange existierte (bis Mai 1931).130

      Hinter diesen nüchternen Daten zur erfolgreichen Parteikarriere verbergen sich heftige Auseinandersetzungen zwischen Wilhelm Tempel (1905–1983), dem Mitbegründer des NSDStB 1926, der die Reichsleitung übernommen hatte, und Schirach, der, wie erwähnt, die Münchner NSDStB-Hochschulgemeinde (HGM) leitete, die in der kurzen Zeit seit der Gründung bereits drei »HGM-Führer« verbraucht hatte.131 Während der Jurastudent Tempel und seine Gruppe eher auf Aktivismus setzten und sich als »Jugend- und Wehrbewegung« verstanden, die aber abseits von einigen Großversammlungen nicht wirksam wurde, wollte Schirach die kaum sichtbare HGM zu einem »geistigen Mittelpunkt im akademischen Leben Münchens« machen. So ließ er neue Klubräume mit einem Empfangsraum, einer Bibliothek, einem Schlafzimmer für sich selbst, Wohnräume für drei weitere HGM-Funktionäre und einem »Damenzimmer« einrichten.132 Dahinter steckte aber ein massiver strategischer Konflikt, denn Schirach wollte – ähnlich wie die Parteispitze – die NSDAP öffnen und durchaus bürgerliche Kreise ansprechen. Die Gruppe um Tempel hingegen zielte eher auf proletarische bzw. kleinbürgerliche und ökonomisch nicht so erfolgreiche Schichten.

      Dazu gehörte unter anderem auch die zeitgleich im Mai 1928 erfolgte Gründung des »Kampfbundes für deutsche Kultur«, dem auch Schirachs Vater und die Bruckmanns als Proponenten angehörten. Tempel versuchte Schirach loszuwerden und enthob ihn seines Amtes. Längst hatte dieser aber nicht nur die Unterstützung Hitlers, sondern auch jene von Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels und ließ sich im Juli 1928 zum neuen Reichsführer des NSDStB wählen.133 Da die Fraktionen in sich total zersplittert waren, entschied Schirach die Wahl mit sechs von 17 Stimmen nur knapp für sich, vier Delegierte votierten für den Dresdner Hochschulgruppenführer Herbert Knabe. Hitler hatte angeblich bei dieser Wahl den Kieler Vertreter Dr. Joachim Haupt forciert und Schirach nur als Stellvertreter gesehen, doch Haupt bekam nur drei Stimmen.134 Tempel selbst hatte zu sehr die Positionen des linken Otto-Strasser-Flügels vertreten, die der Münchner Parteizentrale, aber auch Goebbels in Berlin ein Dorn im Auge waren. Das eigentliche Ziel Hitlers zu diesem Zeitpunkt war bereits die Machtergreifung auf möglichst breiter sozialer Basis und unter Einschluss bürgerlicher Kreise.

      Neben der Hinwendung der Studentenbewegung zu konservativ-bürgerlichen Schichten versuchte Schirach, der selbst keiner schlagenden Studentenverbindung (Korporation) angehörte, den NSDStB in Richtung traditioneller Korporationen zu öffnen.

      Trotz des sehr glücklichen und knappen Erfolges in der Wahl zum Studentenführer nahm Schirach 1928 eine kurze Auszeit von der Politik, um mit seiner Mutter in die USA zu reisen und sie bei Verwandtenbesuchen in Philadelphia und New York zu begleiten. Dort erhielt er sogar von seinem Onkel Alfred E. Norris ein Angebot, in dessen Bank in Manhattan einzusteigen.135 Schirach hatte jedoch längst Gefallen an der Politik gefunden und war trotz des schwachen Wahlergebnisses der NSDAP bei der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 – die NSDAP erreichte nur 2,6 Prozent und zwölf Mandate – nach wie vor ein Anhänger Adolf Hitlers.

      Insgesamt gesehen agierte der NSDStB unter Schirachs Führung als Mitgliederorganisation vorerst nicht besonders erfolgreich: 1933 waren nur 4,8 Prozent der Studenten beim Bund organisiert.136 Bei einigen Wahlen konnte der NSDSTB aber durchaus größere Stimmenzuwächse verzeichnen – etwa an den Universitäten in Greifswald und Erlangen im Wintersemester 1929/30 mit mehr als 50 Prozent, in Kiel erlangte der NSDStB beachtliche 33 Prozent.137

      Doch Schirach war, das sollte sich bald zeigen, an klassischer Hochschulpolitik nicht wirklich interessiert, sondern versuchte, die Studenten als Wählergruppe insgesamt für die NSDAP zu erobern. So organisierte er eine Großveranstaltung, um Adolf Hitler in das akademische Milieu einzuführen. Inzwischen hatte er auch selbst schon einige Erfahrung als Redner gesammelt und inszenierte sich durchaus bereits als »Diva«: So gab es bei manchen Veranstaltungen sogenannte »Bedingungen für Schirach-Versammlungen«: »Es ist dafür zu sorgen, daß Pg. von Schirach nach der Rede nicht von jedem Pg., der hierzu Lust verspürt, befragt werden kann […] Pg. von Schirach ist stets in einem Hotel unterzubringen. Unterkunft im Privatquartier bedarf ausdrücklicher vorheriger Zustimmung.«138

      Trotz der ideologischen Nähe blieben viele »Alte Herren« in den Korporationen, die den politischen Parteien im Allgemeinen grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, auf Distanz zur NSDAP-Führung. Auch mit Schirach gab es immer wieder Konflikte, da er selbst keiner Verbindung angehörte. Schirach gelang es aber trotzdem, immer mehr junge Korporierte auf die Seite der NSDAP zu ziehen, 1929 hatte der NSDStB bereits in 170 Verbindungen Mitglieder. In den Jahren 1930/31 eroberte der NSDStB an elf Universitäten die absolute Mehrheit und wurde an zehn Hochschulen stärkste Fraktion.

      Im Zeitraum Herbst 1930 bis Frühjahr 1931 gab es dann einen massiven Konflikt in München zwischen dem »Münchner Studenten-Convent« und Schirach, aber auch der NSDAP-Reichsleitung: Wilhelm von Holzschuher, der Sekretär des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der NSDAP, war Mitglied der schlagenden Burschenschaft »Corps Franconia« und lehnte die Duellforderung eines anderen Mitglieds in diesem Corps ab. Schirach wurde – nach eigenen Angaben139 – ebenfalls zum Duell gefordert, da er das Corps kritisiert hatte. Angeblich nahm Schirach die Forderung an, bestand aber auf Pistolen.

      Gleichzeitig versuchte seine spätere Frau Henny Hoffmann durch direkte Intervention bei Hitler, dieses Duell zu verhindern. Schirach wiederum stoppte die Publikation des Duellverbots durch Hitler im Völkischen Beobachter, dem Zentralorgan der NSDAP, um in den Kreisen der waffentragenden Corps sein Gesicht zu wahren. Letztlich wurde diese Auseinandersetzung aber auf höchster Ebene und durch das Einschreiten von Hitler und seinem Stellvertreter Rudolf Heß niedergeschlagen.140 Schirach wurde aber zu einer bedingten Strafe von sechs Monaten Festungshaft verurteilt, da er gegen § 201 des Strafgesetzbuches »Annahme einer Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen« verstoßen hatte. Diese heute absurd klingende Duell-Geschichte und die Reaktion des Staates darauf sind ein anschauliches Beispiel für die rückwärtsgewandten Diskussionen in der Weimarer Republik, die letztlich von den eigentlichen Problemen und den Zielsetzungen der NSDAP in Richtung totaler Machtergreifung ablenkten. Gleichzeitig symbolisieren sie den Versuch, die traditionellen Eliten wie die Corps für den Nationalsozialismus zu gewinnen.

      Kultstätte: Der Ehrensaal der SA mit der »Blutfahne« in der Geschäftsstelle der NSDAP in der Münchner Schellingstraße 50. Foto: Heinrich Hoffmann.

      Eva Braun im »Photohaus Hoffmann« 1930. Braun war seit 1929 bei Hoffmann angestellt und lernte über ihn Hitler kennen. Offiziell blieb sie bis 1945 Angestellte des Unternehmens Hoffmann. Foto: Heinrich Hoffmann.

      Zwar gab es durchaus noch starke interne Widerstände, die sogar in einer von 31 Gruppen unterzeichneten Denkschrift endeten, in der Schirachs charakterliche und organisatorische Fähigkeiten massiv bezweifelt wurden. Diese Intrige organisierte sein Stellvertreter Reinhard Sunkel (1900–1945), der Reichsorganisationsleiter des NSDStB. Hitler schätzte aber Schirachs Fähigkeit, neue bürgerliche Wählerschichten anzuziehen

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