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also viel mehr Spunde sein, als wir bislang vermutet haben. Und sie haben die Richtung geändert. Es scheint, als wollten sie unsere Straße nutzen.«

      »Soll’n Sprengkörper einsetzen?«

      »Das wird ihre Ankunft verzögern, aber nicht verhindern. – Komm!«

      Beide zogen sich einige Hundert Meter in den Wald zurück. Alexej sprach mit Jegor, dem Kommandanten. Der wies an, in aller Schnelle mit den bereitgelegten Bäumen die Straße zu versperren. Es war schwere Handarbeit, bis die fünfzig Männer etwa zehn der großen Kiefern auf der Straße platziert hatten.

      Jegor ließ die letzten vorhandenen verbotenen Sprengladungen unter der Brücke anbringen. Diese führte vor der dürftigen Stadtsicherung über ein nicht sonderlich gewaltiges Flüsschen. Zwei Männer blieben zurück, die anderen verteilten sich im dichten Wald vor dem Stadtrand.

      Jonathan lauschte. Schon heulten die hässlichen Turbinen der BAT2000 in unmittelbarer Nähe! Er zauderte. »Sollten’s Volk ins Rückland schicken«, schlug er vor und sah abwartend hinüber zu Jegor.

      »Ist zu spät, Jonathan. Längst zu spät.«

      Die ersten Spunde näherten sich, ihre zerstörerischen Waffen im Anschlag. Jonathan kannte die gräulichen Projektile, die in fast jedem Körper stoppten, um eine halbe Sekunde später zu explodieren. Sie kamen wie Nadeln geflogen, wenn die Spunde gleichzeitig im Dauerfeuer schossen, zerrissen Mauern, Türen und Leiber.

      Noch schwiegen die Waffen. Vielleicht ahnten die Spunde nicht, was für eine große Enklave vor ihnen lag.

      Sie liefen in engen Linien, jeweils fünfzig Spunde dicht nebeneinander. Alle sahen gleich aus, denn sie trugen homogene graue Uniformen. Und sie zeigten keine Gesichter, die blieben hinter spiegelnden Visieren versteckt.

      Die ersten Kolonnen trafen auf die Barrikade. Wie Ameisen stürzten sie sich darauf und zerrten die großen Bäume mühelos aus dem Weg.

      Ein BAT2000 fuhr in die vordere Linie, schob die Barrikade gänzlich zur Seite, stoppte mitten auf der Straße und klappte geräuschvoll gewaltige Behälter auseinander. Unzählige Luken öffneten sich, aus denen die tödliche, graue Masse herausquoll. Zweitausend weitere Spunde nahmen Aufstellung, vereinigten sich mit denen, die ohnehin bereits zu Fuß marschierten.

      Jonathan dachte an den kleinen Paul, dachte an seine Tatjana, ein zartes Mädchen, das sich oftmals mehr zutraute, als ihr Körper bewerkstelligen konnte. Das Haus war nicht weit vom Stadtrand entfernt.

      »Wir ziehen uns in die Stadt zurück!« Jegor, der diesen Krieg seit siebenundsechzig Jahren miterleben musste, lief bereits durch den Graben. »Gleich sprengen wir die Brücke!«

      Die war nur eine Biegung der Waldstraße von den Angreifern entfernt. Die Spunde konnten die Brücke noch nicht sehen, aber lange würden sie von der fehlenden Verbindung nicht aufgehalten werden. Die Hänge zum Flüsschen waren flach und leicht zu überwinden.

      Mit schweren Beinen folgte Jonathan Jegor. Laub raschelte unter seinen Füßen.

      Detonationen erschütterten den Waldboden, die Druckwelle ließ Bäume schwanken, Dreck flog durch die Luft. Als sich die Männer im Graben erhoben hatten, sahen sie vor sich, unmittelbar am Waldrand, die grauen Schatten! Die Spunde kamen nicht nur von hinten, sie kamen auch von der Seite!

      »Черт ублюдки!«, zischte Jegor in der verbotenen Sprache. »Verdammte Bastarde!«

      Die Männer hetzten weiter, entfernten sich aber von der Stadt. Aus allen Richtungen kamen plötzlich diese Spunde! Sie mussten den Überfall detailliert geplant haben.

      Hektisch schaute sich Jonathan um. »Da! Rettungsbaum!«, rief er, kroch auf einen außergewöhnlich hohen Baum mit dichter Krone zu und erklomm bereits, gefolgt von den Kameraden, die ersten Stufen einer Leiter aus Seilen. Solche Bäume waren selten, sie wurden von den Neumoskauern nur für absolute Notfälle eingerichtet. Weit oben, im Schutz der Krone, gab es ein Baumhaus, das Jegor, Jonathan und zwei weiteren Männern Schutz bot. Die Leiter wurde eingeholt. Jegor gab das Fernglas Jonathan, der nun versuchte, etwas zu erkennen. Jonathan aber sah nichts außer den unzähligen Spunden, die ohne Pause auf die Stadt zustampften. Dann hörte er die ersten zischenden Projektile, kurz darauf die knallenden Detonationen.

      »Wir müssen …«, entfuhr es ihm.

      »Ja. Wir müssen ihnen helfen. Doch können wir es nicht. Es ist unmöglich, Jonathan, wir wären sofort tot. Noch bevor wir den Boden erreicht hätten. Damit würden wir nichts erreichen. Viele Schlachten haben wir gewonnen, aber diese werden wir wohl verlieren, mein Junge.«

      Jonathan war nahe daran zu verzweifeln. Verlieren? Nichts tun sollte er? Aber Paulchen! Und Tatjana! Der junge Mann weinte und verfluchte Die Zehn und ihre verdammten Spunde. Erbarmungslos bohrte sich das Prasseln explodierender Projektile in Jonathans Gehirn.

      Inbrünstig flehte er, irgendjemand möge Tatjana und dem kleinen Paul beistehen, damit die Spunde sie nicht fanden.

       Passus 3

       Ausschließlich Privilegierte Beamte und Staatseigene der EDR haben das Recht, im Schutze der Kuppelstädte zu leben.

      Völlig außer Atem erreichte Simo den Tunnel, der zum Rottenquartier führte, eine künstlich gebaute, recht große Höhle, auf der Westseite in den Apenninen gelegen. Sogleich empfand er die ihn umgebende Dunkelheit als einen Kerker, blickte zum wiederholten Male zurück ins Tageslicht, zurück in die Freiheit. Erst dann ging er mit erhobenem Haupt auf das Menschenkind zu, das bereits auf ihn zu warten schien.

      01-Spundgruppenführer-Elia stand dort und lauerte – breitbeinig, als wäre er die Rottenführerin persönlich. Schräg hinter Elia stand Linu, die Nummer 13, der Spundzweigboss von Simos Zweig, der jedoch in Elias Anwesenheit nichts zu sagen hatte.

      Ohne jedes Wort stellte sich Simo vor dem Spundgruppenführer in Position, mit leicht geöffneten Beinen, den Oberkörper durchgedrückt, die Arme im Rücken, das Visier heruntergerollt. Stolz zeichnete sein Gesicht darunter.

      Elia wollte Simos Stolz nicht entdecken. »Raum K8. Übung 26.« Das war alles, was er zu sagen hatte.

      ›Schwanzloser Rattenfurz‹, dachte Simo, sprach die Beschimpfung jedoch nicht aus. Im Visier blinkte die Güte 90. Selten hatte ein Räudiger diesen Wert erreicht. Und dabei hatte Simo unheimlich viel Zeit mit 12-Spund-Juli verplempert. Auf dem Rückweg hatte der Kleine die Hilferufe Julis gehört, hatte so plötzlich gestoppt, dass er der Länge nach ins Gras gerutscht war. Und als er sich hochgerappelt hatte, um zu helfen, hatte er entdeckt, dass bereits jemand am Abgrund stand, um Juli zu helfen. Simo hatte sich nicht noch einmal umgesehen, war blitzschnell zum Tunnel gehastet.

      »Yäh, 01!«, rief er, drehte sich um und rannte durch den Tunnel. Am Terminal kniete er ab, schlüpfte geschickt aus dem Pelz und warf ihn in die Klappe, dann lief er im Laufschritt in einen Nebentunnel, stellte sich vor Tor K8 und trat ein, nachdem sich das Tor geräuschvoll geöffnet hatte.

      In der Halle kämpften bereits vier Paare. Unter anderem war Paul zugegen, der eine Übung ohne Waffe gegen 35-Spundzweigboss-Marv führen musste, einen Educares, der Paul in allen Belangen überlegen war. Was für ein unfairer Kampf!

      Simo blickte hoch zur Tafel und traute seinen Augen nicht. »Kampfplatz 9, Übung 26 : 17-Spund-Simo gegen 12-Spund-Juli«, stand in einer flimmernden Zeile geschrieben. Er ausgerechnet gegen Juli im Nahkampf? Was war das für ein blöder Zufall? Übung 26 war Nahkampf mit Keule. Aus einer Halterung nahm Simo einen länglichen Kunststoffstock, der mit beiden Händen geführt werden musste, weil er ansonsten schnell zu schwer wurde.

      Kaum hatte sich das Tor geschlossen, da öffnete es sich wieder und Juli trat ein. Auch er griff sich eine Keule und schritt wortlos zum Kampfplatz 9, einem kreisrunden Segment. Nachdem Juli das Segment betreten hatte, senkte sich die undurchlässige, zwei Meter hohe Plastikglasumrandung. Ein Entweichen war nun unmöglich.

      Unwillkürlich

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