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gehen Touristen durch unsere Gasse. Nicht so viele wie im Sommer, denn der Herbst zeigt sich in den Weinfeldern. Die Blätter der Bäume und Büsche werden von Tag zu Tag farbiger. Zuerst vereinzelte Weinstöckchen, dann ist plötzlich die perfekte Farbtabelle zu sehen, wie in jedem Jahr.

      Theo tritt neben mich, spricht mich an: »Hast du Lust, mit mir nach Vaison-la-Romaine zu fahren? Ich bin nicht gern allein unterwegs.«

      Er schaut mich erwartungsvoll an, verzieht den breiten Mund zu einem Lächeln.

      Sein Lächeln sieht aus, als wollte er sogleich in Tränen ausbrechen.

      Theo kommt aus Reute in Tirol, ist von Beruf Graphiker und viel älter als ich. Einige der anwesenden Künstlerinnen und Künstler im Atelier konnten ihn bereits in vorhergehenden Aufenthalten kennenlernen.

      Da ich neu im Atelier bin, war es mir bisher nicht vergönnt. Theo sagt, in jedes Bild, in jede Arbeit gehören drei rote Pünktchen. Er hält sich immer daran. Bei »Pünktchen« fällt mir eine lustige Episode ein.

      Als vor einigen Jahren mein französischer Freund Robert in der deutschsprachigen Schweiz zum Hotelfachmann ausgebildet wurde, musste er auch in der Küche helfen. Es war schrecklich heiß und er sagte laut und deutlich: »Ist das schwul hier«, damit hatte er seinen Spitznamen ›Pünktchen‹ für die Zeit der Ausbildung weg. Na, und mit Theos Pünktchen ist es eine andere Sache.

      Mit seiner Meinung bin ich nicht einverstanden. In eine Schwarz-Weiß-Zeichnung gehören für mich keine roten Pünktchen.

      Was nun, da ich ohne ein Auto selten nach Vaisonla-Romaine kommen kann, nehme ich sein Angebot wahr. Theo fährt über die Römerbrücke nach oben in die imposante Altstadt und wir schauen uns den mittelalterlichen Ort an. Später sitzen wir bei guter Aussicht gemütlich auf der Terrasse des ›Hotel Beffroi‹. Obwohl es noch am Nachmittag ist, bestellt Theo ein kleines Menü für sich.

      Ich erfahre, dass er im Atelier nicht alles isst, am Essen mäkelt. Alles, was weiß aussieht, lehnt er ab, ohne es zu verkosten, auch die köstlichen Käsesorten, Kuchen und Desserts. Dabei ist das große Abendessen immer ein köstliches Erlebnis.

      Ich freute mich auf das Abendessen und nahm in Vaison-la-Romaine nur ein Getränk zu mir.

      Rechtzeitig zum Essen sind wir zurück in Séguret. Beim Aussteigen aus dem Auto bedanke ich mich für das Mitnehmen, für den kleinen, interessanten Ausflug. Wir stehen am unterirdischen Gang, Theo sagt: »Dafür bekomme ich ein Bussi von dir, das ist in Österreich so üblich!«

      Nicht von mir: »No, no«, ist meine Antwort und Theo geht lachend davon.

      Tage mit Malen und Zeichnen im Atelier oder in der Umgebung vergehen, Theo findet andere Gesellschaft. Eine Künstlerin aus Süddeutschland hat großen Gefallen an ihm gefunden.

      Er zeigt ihr, wie ein gutes Pastell gemalt wird, und sie erzählt mir, er brauche immer eine junge Frau an seiner Seite. Da ich weiß, dass er verheiratet ist, schweige ich klugerweise.

      Gäste kommen und gehen, oft nimmt mich ein nettes Ehepaar aus Bielefeld mit in die Botanik.

      Während Margret, eine Hobbymalerin, neben mir zeichnet, sucht Gerd auf seinen Spaziergängen nach neuen, malerischen Motiven für uns Malerinnen. Dabei sammelt er oft in der Gegend seltene Gräser und Blüten. Einmal brachte er ein Sträußchen vierblättriger Kleeblätter und war mächtig stolz auf seinen Geheimplatz.

      Eines Tages kam Werner, ein Freund von Theo aus Wien, in Séguret an. Werner ist Bildhauer und Bernsteinschleifer, er malt und zeichnet sehr gut.

      Sein Freund, der Graphiker Theo, gestaltet oftmals die Schriften für Werners Kataloge. Theo stellt mir Werner vor und sagt: »Laura arbeitet fleißig und gut, sie könnte mit uns auf Motivsuche gehen.«

      Werner, ein großer schlanker Mann von 46 Jahren mit einem schwarzen Lockenkopf, strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Er schaut mir in die Augen, sagt kein Wort und geht lächelnd dahin.

      Er könnte mir gefallen, denke ich und arbeite an einer farbigen Zeichnung von Langlets Garten weiter.

      Nach einer Woche verabschieden sich die Bekannten aus Bielefeld von mir und den anderen Künstlern, sie fahren zurück nach Hause. Es ist noch früh am Morgen, königsblau der Himmel, kein Wölkchen ist zu sehen.

      Schnellen Schrittes gehe ich durch unsere Gasse zum Frühstückshaus und setze mich zu Theo und Werner an den runden Holztisch.

      Werner fragt: »Möchtest du morgen mit uns in die Camargue fahren?

      Wir könnten zusammen die Kapelle der Schwarzen Madonna in St.-Maries-de-la-Mer besichtigen und auch in der Gegend malen.«

      Mir fiel sofort wieder die letzte Fahrt mit Theo nach Vaison ein, ich war skeptisch und wollte eine Bedenkzeit.

      »Sei doch nicht so empfindlich«, rief Theo aus, wir könnten eine Regelung treffen. Er erzählte Werner von der Fahrt und von dem verlangten Kuss.

      Werner lenkte ein, er meinte, Rat zu wissen. Verschmitzt begann er zu erzählen: »Ich liebe übrigens nicht nur Frauen, sondern im Besonderen meine Katzen. In meinem Atelier in Wien gibt es eine ganze Meute dieser Spezies. Im Bernsteinmuseum und in meinem Schloss schleichen diese Tiere ständig umher, gehen mir ab und an ganz schön auf die Nerven. Also habe ich sie mir erzogen.

      Wenn sie auf den Tisch, auf die Zeichnungen und Farben springen oder mir zu nahe kommen, sage ich laut und deutlich: ›Drei Meter!‹ Wie wäre das mit dir und Theo, liebe Laura?«

      Da ich für Regeln solcher Art zu haben bin, frage ich Theo, ob er damit einverstanden ist. »Falls du mir zu nahe kommst, mich anfassen oder küssen möchtest, dann sage ich zu dir: ›Drei Meter‹, ist das klar?« Belustigt stimmt Theo zu.

      Ich freute mich riesig auf die Camargue mit den dicht bewachsenen, blaugrau blühenden Salzwiesen und dem quicklebendigen Vogelparadies, mit

      Flamingos, Stieren und weißen Pferden.

      Es sind natürlich keine Wildpferde mehr und auch die Stiere haben ihre Besitzer.

      Es ist abgemacht, wir verabreden uns für den nächsten Morgen am Pinienbrunnen.

      Beim Verlassen des Frühstückshauses rufe ich den Künstlern zu: »Mit Malgepäck und Badesachen bitte.« In Gedanken sehe und rieche ich das Meer, male wieder das weiße Haus unter den Schirmpinien.

      In der folgenden Nacht schlafe ich unruhig, packe meinen Rucksack und warte auf die Abfahrt.

      Pünktlich um sieben Uhr fahren wir aus dem Ort hinaus. Werner fährt, Theo hat mir den Beifahrersitz überlassen. Die Tour geht über Orange zum ersten Halt nach Aigues-Mortes.

      Den Ort kannte ich schon von früheren Fahrten. Es ist noch still auf dem Platz unter den großen Platanen, wir bestellen unser Frühstück, blinzeln in die wärmende Sonne und sind einfach glücklich, da zu sein.

      Nur wenige Touristen gehen an uns vorüber, die Einheimischen haben frische Baguette unter dem Arm oder tragen Körbe mit Gemüse und Obst nach Hause.

      Wir machen keinen Rundgang an oder auf der Mauer, die den Ort umschließt.

      Ich denke zwar an die vielen Sorten kandierter Früchte in den Auslagen der kleinen Geschäfte, sage es aber nicht, wir fahren weiter.

      Es beginnt eine farbige, sumpfige Landschaft mit Strandseen und Reisfeldern.

      Violett schimmern die kleinen Sträucher in den Seen. Die zahlreichen, im Wasser stehenden Flamingos leuchten rosa in der Morgensonne.

      Dann bestimmen wieder die riesigen Pinien, Sümpfe, Wiesen und die weißen Hütten der Viehhüter die Landschaft.

      In St.-Maries-de-la-Mer angekommen, finden wir sofort einen Parkplatz im Schatten. Elf Uhr schlägt die Stunde des Uhrturmes. Der große Patz in der Ortsmitte ist erfüllt von Musik und Stimmengewirr – es ist Markttag. Mehrere Frauen in bunten Kleidern laufen auf mich zu, sie stecken mir eine bunte Brosche an, wollen Geld dafür.

      Schnell kommt Werner mir zu Hilfe, er flüstert

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