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sehen wir in dem Moment aus wie Drillinge. Mein rotes Gesicht und der wilde Ausdruck darin passen gut zu ihren roten Locken.

      Apropos rote Haare. Die Haare erinnern mich an das Buch „Der Zauberer Faulebaul“. Der luchst einem Jungen, der zu faul ist zum Lernen, seine wunderschönen roten Locken ab und lässt ihn dafür, ohne lernen zu müssen, gut in der Schule sein. In diesem Buch könnten die beiden die Hauptrolle spielen, vom Aussehen und auch vom Charakter her.

      Mein Vater ist sehr gewissenhaft und pünktlich, was seine Arbeit betrifft. Gestiefelt und gespornt fährt er mit dem Fahrrad von zu Hause los, als wenn es etwas zu tun gibt, was ganz wichtig und unverschiebbar ist. Nach der Arbeit ist er kaputt und legt sich mit einem Kissen auf dem Bauch hin. Oberstes Gesetz ist es jetzt, ihn nicht beim Schlafen zu stören. Auch wenn er aus der Nachtschicht kommt, müssen wir mucksmäuschenstill sein.

      Vati ist auf eine gewisse Regelmäßigkeit in seinem Leben bedacht. So darf er auf keinen Fall seine geliebte Tagesschau verpassen. Egal was passiert. Punkt 19 : 00 Uhr muss er vorm Fernseher sitzen.

      Vati verreist auch gerne. Wenn seine Arbeit ihm ein paar freie Tage beschert, dann kann es passieren, dass er nach Hause kommt und sagt: „Mutti, zieh die Kinder an, wir fahren jetzt zu Oma!“ Das findet meine Mutti gar nicht witzig. Oft ist sie mitten in der Arbeit und soll dann alles stehen und liegen lassen? Aber eins ist gewiss: Vati fährt! Mit oder ohne Mutti. Manchmal wählt Mutti die letzte Variante. Einmal wollte Vati auch Hals über Kopf wegfahren und bedrängte meine Mutter so doll, dass sie sich furchtbar anstrengen musste, ihre Arbeit zu schaffen. Dabei kam sie mächtig ins Schwitzen. Als sie das Fenster öffnete, um den frisch gebohnerten Fußboden schneller trocknen zu lassen, stand sie natürlich im Zug und wurde dadurch furchtbar krank. So hat sie es jedenfalls erzählt. Das will sie auf keinen Fall noch einmal riskieren.

      Vati wird des Öfteren von seinem Betrieb zur Kur geschickt. Dann fährt er sehr leidend hin und kommt voller Schaffenskraft wieder nach Hause zurück. Dreimal dürft ihr raten, was Mutti dazu sagt.

      Doch einmal kommt er nicht wie gewohnt nach ein paar Wochen sichtlich erholt, sondern vorzeitig und etwas deformiert in einem Krankenwagen zurück. Er erzählt uns dazu folgende Geschichte. Vati will am Sonntagmorgen die Kirche besuchen. Doch das Kliniktor ist noch verschlossen. Da hopst er einfach aus dem Fenster und über die Klinikmauer. Das ist scheinbar keine gute Idee, denn er bricht sich dabei ein Bein. „Was mache ich nur?“, denkt sich mein Vater verzweifelt. „Wenn die Klinikleitung das rausbekommt, muss ich den Kuraufenthalt selber bezahlen. So viel Geld habe ich nicht!“ Er liegt im Dreck in seinem guten Anzug und jammert vor Schmerzen vor sich hin. Aber auch seine Lage lässt ihn verzweifeln. Da sehen ihn seine Zimmergenossen vom Fenster aus und erkennen die Situation. Sie ziehen ihn wieder über die Mauer zurück und auch noch durchs Fenster wieder hinein. Mein Vater kann die Schmerzen beim Hin- und Herzerren kaum ertragen, aber da muss er jetzt durch. Zum Schluss legen sie ihn unterhalb einer Treppe im Heim ab. So sieht es so aus, als wäre er die Treppe hinuntergestürzt und hätte sich dabei das Bein gebrochen. Als der Arzt kommt, fragt er skeptisch: „Was? Hier soll Herr Wedding hinuntergefallen sein? Da stimmt doch etwas nicht!“ Die Zimmergenossen halten vor Schreck den Atem an und mein Vater schaut niedergeschlagen und voller Schmerzen ganz dumm aus der Wäsche. „Na, wollen wir das mal glauben“, meint der Doktor und macht sich daran, alles für Vatis Genesung in die Wege zu leiten. Mein Vater wird seinen Zimmerkameraden und dem Arzt, der mitspielte, immer dankbar sein.

      „Das hätte ganz schön ins Auge gehen können“, sagt er am Ende ernst. Doch dann sitzt ihm wieder der Schalk im Nacken und er meint grinsend: „Da bin ich wohl noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.“

      Nun liegt Vati zu Hause und ist auf seine drei Mädels angewiesen, wenn Mutti nicht daheim ist. Zum Glück sind gerade Sommerferien. Die drei bekommen die Aufgabe, meinem Vater morgens das Wasser zum Waschen zu bringen und sie müssen ihm außerdem noch das Essen machen. Doch kaum sind sie aufgewacht, schmieren sie sich erst einmal selber eine Stulle und sind sofort nach draußen verschwunden. Beim Spielen denken sie nicht an ihren Vater und sein kaputtes Bein. Bis sie etwas Gestreiftes auf dem Verandafußboden entdecken. „Ach du Schreck, das ist doch Vati in seinem Pyjama“, geht es ihnen schuldbewusst durch den Kopf. „Den haben wir ja ganz vergessen!“

      Er kriecht mit hochrotem Kopf auf der Erde entlang und schafft es gerade so, auf den Hof zu gelangen. Dort macht er sich schimpfend bemerkbar. „Was soll das denn, ihr spielt hier und ich bekomme kein Wasser zum Waschen und kein Essen! So geht das aber nicht!“

      Die Mädels schämen sich unheimlich, ihren Vater vergessen zu haben. Wie er da so auf dem Fußboden liegt, tut er ihnen unendlich leid. Auf einmal wissen sie ganz genau, wie sie handeln müssen. Erst helfen sie ihm ins Bett, dann rennen sie schnell los, um alles zu erledigen. Eine flitzt und holt die Wasserschüssel mit frischem Wasser. Die andere bringt die Handtücher und die dritte sorgt dafür, dass das Frühstück neben dem Bett steht.

      Dieses Erlebnis hält sie aber nicht davon ab, den alten Rollstuhl, den Mutti von Oma für Vati geliehen hat, zum Spielen zu benutzen. Das alte Monster zieht sie magisch an. Ein großer, schwarzer Lederstuhl mit drei Rädern - zwei große neben dem Stuhl und ein kleines, bewegliches in der Mitte hinten. Die Fußstütze, ein schwarzer Holzkasten, kann man hoch- und runterklappen. Durch das dritte Rad, das bewegliche, ist der Rollstuhl ganz schön mobil. So kann man sich mit ihm blitzschnell um die eigene Achse drehen. Das macht großen Spaß.

      „Kommt, wir spielen mit dem Ding draußen“, schlägt Marlene vor. Es ist gerade Nachmittag und die Stahlwerker kommen von der Schicht nach Hause. Marlene sitzt im Stuhl, Ela steht dahinter und versucht, ihn mit voller Kraft in Gang zu bringen. Erst geht es ziemlich schwer. Dann fängt sie an zu rennen. Zum Schluss rast der Rollstuhl fast von alleine los. Das bringt Marlene auf eine Idee: „Ela, komm, setz du dich jetzt mal rein!“

      Sie rennt mit Eleonora und dem Wagen einer ganzen Traube Arbeitern entgegen. Kurz bevor sie sie erreichen, gibt sie dem Ungetüm noch einen gewaltigen Schups und Eleonora rast samt Rollstuhl in die Menschenmassen. Eleonora schämt sich fast zu Tode, als sie so durch die vielen Arbeiter rast. Die springen schnell zur Seite. Manche schimpfen, manche finden es auch witzig und lachen über meine Schwestern.

      Die Peinlichkeit ist schnell vergessen und das Spiel geht von vorne los. Wer auf dem Stuhl sitzt, schämt sich und schreit, und der andere schupst und lacht sich halb kaputt.

      Annedore ist eigentlich ein süßes Mädchen, jedoch mit sich und ihrer Umwelt nicht ganz zufrieden. Zum Beispiel ärgert sie sich ständig, dass Eleonora und Marlene solche schönen lockigen Haare von meinem Vater geerbt haben und sie nicht. Zudem hätte Anne auch liebend gerne ein Instrument gespielt. Doch meine Eltern sind erst bei Eleonora und Marlene auf die Idee gekommen, ihre Kinder in die Musikschule zu schicken. Einmal kommt sie zu mir in mein Bett, umklammert mich und weint bitterlich: „Du hast so eine zarte Haut und ich so ein beschissenes Pickelgesicht.“

      Kein Wunder, geht es mir durch den Kopf, ich bin erst fünf Jahre alt und du 15, mitten in der Pubertät. Dabei muss sie gar nicht so jammern! So schlimm wie sie tut, sieht sie doch gar nicht aus. Irgendwie kann sie das Leben nicht so nehmen, wie es ist. Mutti macht sich große Sorgen um Anne. Meine Schwester fühlt sich schon frühzeitig für Ela und Marlene verantwortlich. Es kommt schon mal vor, dass sie die beiden mit ihren Fäusten verteidigt.

      Einmal kommen alle drei vom Kindergarten, da begegnet ihnen ein Mann mit Motorrad. Der fragt: „Will nicht eine von euch mit mir eine Runde drehen?“ Ela und Marlene sind schon ganz heiß auf die Motorradfahrt. Sie reißen und ziehen an Annes Hand und streiten sich, wer zuerst mit dem Mann mitfahren darf. Anne hält die beiden mit Gewalt fest. Zu dem Motorradfahrer sagt sie unmissverständlich, dass sie jetzt nach Hause müssten.

      „Ein Glück, dass Anne so reagiert hat“, sagt meine Mutter später. „Wer weiß, was sonst noch passiert wäre?“

      Meine Mutter kann sich hundertprozentig auf Anne verlassen, wenn sie ihr die Kleinen anvertraut. Lange vor dem Ereignis ist sie, um das zu prüfen, den dreien hinterhergeschlichen. Sie wirft sich einen alten, schwarzen Mantel mit Kapuze über und fängt extra stark an zu

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