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große Verdienst des „Jeschu“-Forschers liegt in der Rückübersetzung der auf Griechisch überlieferten angeblichen Jesus-Worte in die aramäische Ursprache, also in die Sprache, in der er tatsächlich sprach und lehrte. In mühsamer jahrzehntelanger Kleinstarbeit, zu Zeiten, in denen Digitalisierung ein Fremdwort war und Sprachstudierende noch mit Zettelkästen statt am Computer arbeiteten, erforschte Schwarz eine Vielzahl altsyrischer Quellen und legte auf diese Weise eine stattliche Vokabelsammlung an, in der er die Wörter um neue Bedeutungsvarianten ergänzte. Als Aramäisch-Kenner wusste er zudem, dass Jesus nicht in Prosa gesprochen haben konnte, sondern in Versform. Diese orientalische Poesie muss nicht nur phonetisch wunderschön gewesen sein, sondern aufgrund der Sprachmelodie und des genau festgelegten Versmaßes auch eingängig genug, um sie sich zu merken. Genau das wollte der jüdische Wanderprediger erreichen: Seine Zuhörerinnen und Zuhörer sollten seine Worte im Gedächtnis behalten. Wie sonst hätten sie sie jemals be-herzigen sollen? Die aramäisch sprechenden Schüler des Rabbi Jeschu, die er bekanntermaßen als Prediger und Botschafter aussandte, brauchten zum Teil Dolmetscher, damit ihre griechischsprachigen Hörer sie überhaupt verstanden. Was beim Simultandolmetschen bis zum heutigen Tag gepatzt wird, kann man als Zuhörer*in mit ausreichend Sprachkompetenz in Ziel- und Ursprungssprache in den Medien oft genug mitverfolgen. Günther Schwarz nutzte also seine Aramäisch-Sprachkompetenz und übersetzte die Lehre Jesu von der fehlerhaften griechischen Einheitsübersetzung unter Berücksichtigung des poetischen Versmaßes, in dem Jeschu gesprochen haben muss, ins Aramäische zurück und von da aus neu ins Deutsche. Und siehe da: Plötzlich ergeben so viele Worte Jesu, die in der landläufigen und gewohnten Übersetzung bei jedem mitdenkenden Menschen bisher nur große Fragezeichen hinterlassen hatten, einen tiefen Sinn.

      Bleiben wir beim Stichwort „Sinn“ und schauen ein Beispiel für einen dieser schwerwiegenden Übersetzungsfehler an. In seinem Buch „Die hundert wichtigsten Worte Jesu. Wie er sie wirklich gesagt hat“8 greift Franz Alt die bekannte Stelle aus dem Markus-Evangelium in der geläufigen Einheitsübersetzung heraus: „Habt Salz in euch und haltet Frieden untereinander“. Leicht provozierend fragt der Autor uns Leser*innen, ob wir den Satz „Habt Salz in euch“ verstünden.9 Nein, verstehen wir nicht. Können und müssen wir auch nicht, weil es sich dabei „um eine peinliche Fehlübersetzung“10 handelt. Tatsächlich wird der Begriff „Salz“ und „gesalzen“ im Talmud symbolisch gebraucht und bedeutet im übertragenen Sinn: „scharfsinnig“. So liest sich die Rückübersetzung von Günther Schwarz gleich ganz anders: „Wenn ihr scharfsinnig wäret unter euch – ihr würdet friedlich leben miteinander.“ Plötzlich wird der sprichwörtliche Schuh daraus bzw. ein eingängiges und für jedermann leicht verständliches Wort dieses großen Friedensstifters Jeschu. Nichts bräuchten wir mehr für unsere Welt als genau diesen Scharf-sinn, der endlich all die unheilvollen Kriege und un-sinnigen Konflikte beenden würde. Wenn wir uns auf dieses einfache Wort zurückbesinnen, können wir sofort anfangen mit einem friedlichen Miteinander, jede und jeder in der eigenen kleinen Welt.

      Wir können uns hier nicht mit den vielen anderen falsch überlieferten Jesus-Worten beschäftigen, ebenso wenig wie mit den ganzen Übersetzungsfehlern, die beharrlich weitertradiert werden. Erwähnt sei noch einer der folgenschwersten Fehler, der das Christentum unglaubwürdig und lächerlich macht und an dem vor allem die unbelehrbare und veränderungsresistente katholische Kirche dogmatisch festhält: „Jungfrau“ statt „junge Frau“. Jeschu war der Sohn von Josef und Maria und er behauptete noch nicht einmal von sich selbst, Gott zu sein, geschweige denn, von einer Jungfrau geboren worden zu sein, sondern von der vermutlich 16-jährigen Maria, eben einer jungen Frau.11 Für alle weitere Erhellung und „Auferweckung“ empfehle ich wärmstens die Bücher von Franz Alt sowie die bereits zitierte Website von Günther Schwarz, auf der sein Sohn die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit der Öffentlichkeit zugänglich macht.12 Die Früchte dieser Arbeit sind also nicht irgendein schwer zugängliches Geheimwissen oder anderweitig schwere Kost. Im Gegenteil: Die Erläuterungen zur Entstehung der Übersetzungen sowie die Rückübersetzungen selbst lesen sich spannend wie ein Krimi und man fällt von einem „Aha!“-Erlebnis ins nächste. Warum also haben diese Erkenntnisse nie Einzug gehalten in die gängigen Bibelübersetzungen, Kommentare und liturgischen Bücher? Mit Franz Alt gefragt: „Wovor haben die christlichen Kirchen eigentlich Angst? Vor der Wahrheit, die in Jesu Muttersprache zu finden ist?“13

      Wir Menschen tun uns extrem schwer, etwas, das wir jahrzehntelang für bare Münze genommen haben, über Bord zu werfen und uns auf etwas Neues einzulassen. Wenn es sich dabei dann auch noch um etwas so Zentrales handelt wie die Lehre Jesu, die für Kirchenvertreter*innen im Idealfall das Fundament ihres Lebens darstellt, ist es eine unerhörte Kränkung, wenn jemand das, was man zeitlebens als unumstößliche Wahrheit angenommen hat, anzweifelt oder gar über den Haufen wirft. Es erinnert an die kopernikanische Wende, die Sigmund Freud als die erste große Kränkung des menschlichen Narzissmus definierte. Inzwischen wurde und wird die Menschheit durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder aufs Neue „gekränkt“. Wenn ich plötzlich mein Weltbild und damit mein ganzes etabliertes Denken verändern muss, kann sich das wirklich wie eine Kränkung anfühlen. Denn damit verbunden drängt sich die Frage auf: War dann alles, was ich bisher dachte und glaubte, ein einziger Irrtum? Erst wenn es gelingt, über diese Verletzung hinwegzukommen, stellt sich ein neues Freiheitsgefühl ein, das tatsächlich an eine „Auferweckung“ erinnert.

      Bezüglich der Jesus-Worte mache ich selbst mir klar: Ich habe mir jahrzehntelang wieder und wieder Aussagen angehört, die nicht stimmten. Über manche von ihnen habe ich mir den Kopf zerbrochen und viele komplizierte Auslegungen von Theologinnen und Theologen gehört oder gelesen. Im ersten Moment stellt sich jetzt ein Verlassenheitsgefühl ein. Über einen unzuverlässigen Menschen sagte meine Großmutter gern: „Wenn man sich auf den verlässt, ist man verlassen.“ So habe ich mich verlassen auf die Worte, die mir vom System Kirche und ihren Vertretern überliefert, um nicht zu sagen weisgemacht wurden. Dass ich mich ein wenig verlassen fühle, wenn ich feststelle, dass vieles davon blanker Un-Sinn war, erscheint mir eine nachvollziehbare Reaktion. Künftig bei jedem Blick ins Neue Testament hinterfragen zu müssen, ob die Jesus zugeschriebenen Worte in dieser Übersetzung richtig sind oder nicht, verunsichert mich. Doch als vernunftbegabter Mensch, der der Wahrheit so nah wie möglich kommen möchte, halte ich diese Erschütterung, dieses innere Beben, aus. Wenn ich dann einen Schritt weitergehe, entdecke ich die phänomenale Chance, die dieses Erkennen von Wahrheit mir und hoffentlich vielen anderen Menschen schenkt: Endlich können sich all die Ungereimtheiten in Wohlgefallen auflösen! Künftig brauche ich vielleicht gar keine Theologen mehr bemühen, um zu verstehen, was Jesus gesagt hat. Das leuchtet auch viel mehr ein: Die von ihm berufenen Jüngerinnen und Jünger waren einfache Leute aus dem Volk. Wie hätten sie ihn verstehen sollen, wenn er in solch komplizierten Bildern und Rätseln gesprochen hätte? Erst recht die Hörerinnen und Hörer, die in Scharen kamen und sich von ihm be-geistern ließen. Sie mögen auf einen Dolmetscher angewiesen gewesen sein, wenn sie des Aramäischen nicht mächtig waren, ganz sicher aber brauchten sie keine Schriftgelehrten, die ihnen die komplizierten Reden dieses Jeschu erklären und verdeutlichen mussten. Ich denke an eine Verwandte, die mir wenige Wochen vor ihrem Tod ein entlastendes und befreiendes Vermächtnis mit auf meinen weiteren Weg gab. Sie, die ihr Leben lang theologische Schriften studiert und sich mit verschiedenen Lehrmeinungen auseinandergesetzt hatte, um immer mehr von ihrem Glauben zu verstehen, sagte mir in ihrer letzten Lebensphase, in der sie meist nicht mehr orientiert war, in absoluter Klarheit: „Ich habe etwas begriffen: Es ist alles viel einfacher, als ich dachte.“ Das nenne ich doch mal eine frohe Botschaft!

      Ich vermute, dieser Jesus wollte es uns mit dem, was er vermitteln wollte, so einfach wie möglich machen. Wenn wir zu dieser Einfachheit, Klarheit und Unmittelbarkeit zurückfinden, wird seine Botschaft wieder attraktiv werden, „anziehend“ im Wortsinn für viele Suchende. Vor allem für stark durch die christlichen Kirchen mit ihrer umständlichen Lehre geprägte Menschen mag das gar nicht so leicht sein. Je mehr entstellte Botschaften man mitbekommen hat, desto mehr muss man infrage stellen und möglicherweise über Bord werfen. Beim Neuentdecken dieses Zimmermannssohnes aus Westgaliläa wünsche ich uns allen das, was man im Buddhismus den „Anfängergeist“ nennt: etwas, das man schon sehr oft getan hat, in einer Haltung zu tun, als wäre es zum

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