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Leben, Bewegung und Fashion“, die Damen beeindrucken mit „lichten, duftigen Toiletten“, die Herren tragen schon zur Mittagszeit den Smoking. Man ist stolz darauf, dass man hier, an diesem einzigartigen kakanischen „Sammelpunkt des high-life“, präsent ist, genießt nach „Lust und Laune sociale Amusements“ oder gibt sich auch nur der ungestörten Ruhe hin. Belohnt wird der Erholungsreisende mit der „Empfindung gehobener Kraft und frischesten Lebensmuthes“; Voraussetzung dafür sind eine gut gefüllte Reisekasse und eine entsprechende seelische und charakterliche Disposition: „Abbazia ist nichts für Herdenmenschen! Es ist ein vornehm stiller Kurort, ein zur Wirklichkeit gewordenes süßes Märchen, das seine eigens dafür gestimmten Gemüther verlangt“, schreibt 1897 die Reisejournalistin Flora Horn aus Grüna in Sachsen über die ganz besondere Atmosphäre des Seebads, dem sie, angezogen von der unwiderstehlichen „Sehnsucht nach Blüthenduft und lauen Lüften“, im Frühling und Sommer 1896 einen Besuch abstattet: wohlhabende, distinguierte Menschen in gepflegter Umgebung, ohne Hektik, eingebettet in die lichtdurchflutete Welt der Adriaküste. „Es lernt sich hier sehr schnell das Nichtsthun, eine Fähigkeit, die zu üben der an Thätigkeit gewöhnte Mensch an anderen Orten oft viele Mühe braucht“, weiß Flora Horn ihren Lesern zu berichten. Das dolce far niente erfüllt den Augenblick, der Alltag des Nordens verliert in diesem „köstlichen Hafen des Friedens“ seine Bedeutung, Dasein ist wunschloses Genießen: „Wir schwelgen in Meereswollust und dem schmeichelnden Musikgesang … nur der Minute gehört jetzt unser ganzes Sein, kein Vorwärts, kein Zurück … eine stumme Bitte: ,O Sonne, stehe still!‘ und ein Zurückdrängen alles Kommenden: ,après nous le déluge!‘“

      Attraktion für die Gäste aus dem Norden: die Palmen von Abbazia. Ansichtskarte, um 1905.

      „Nach uns die Sintflut!“ – nirgendwo passt dieses Wort besser als hier, wo sich ein distinguirtes Curpublicum allenfalls über die Höhepunkte des nächsten „Weißen-Kreuz-Balls“ im Hotel Kronprinzessin Stephanie echauffiert, nicht aber über Preiserhöhungen bei Brot und Fleisch, die die Arbeiter Wiens auf die Straße treiben. Abbazia, das „gottgesegnete Stück Land an der Küste des Quarnero“, ist die Enklave des Mondänen in Altösterreich, ein Ort, an dem das Verdrängen und Vergessen der wirklichen Welt zum Prinzip erhoben worden ist, glanzvolle Bühne für eine Gesellschaft, die in Ruhe und Stille genießt, die das Laute scheut, manches Unangenehme ausblendet. Ein Ort mit eigenem Rhythmus, frei vom „modernen Teufel, genannt Nervosität“ (Peter Rosegger), ihn „zu preisen reicht weder Zunge noch Feder hin“, schwärmt 1890 der bekannte Kurarzt k. k. Sanithäts-Rat Dr. Alexander Wettendorfer aus Baden. Ja, man ist stolz auf Abbazia, denn es ist die Geschichte eines kakanischen Erfolgs, über die man berichten kann; wo einst „Dürftigkeit und Weltvergessenheit vorwalteten“, blüht nun ein Winter-Kurort und Seebad, der „wirtschaftlichen Segen“ entlang der ganzen Küste, der „Österreichischen Riviera“, verbreitet, der dem „internationalen High-life Rendezvous“ gibt und für immer mehr gut betuchte Gäste zur Alternative für Nizza, Cannes oder Hyère wird. „Jedem Österreicher“, so behauptet die „illustrirte Cur- und Bade-Zeitung“ Hygiea, „ist Abbazia in’s Herz gewachsen“, sein „Aufstreben“ bedeute ein „österreichisches Interesse“.

      In Abbazia erschafft sich Kakanien in wenigen Jahrzehnten eine eigentümliche Parallelwelt, aufgebaut aus an den Quarnero exportierten kulturellen Versatzstücken, die das Land der Lorbeerhaine in ein zauberhaftes Stück „Österreich am Meer“ verwandeln, in eine perfekte „Heillandschaft“, in der die „fröhliche Apokalypse“, von der Hermann Broch später spricht, virtuos zelebriert wird: Nirgendwo sonst blühen Tratsch und Klatsch prächtiger, nirgendwo sonst fühlen sich die Kranken gesünder und die Einsamen glücklicher, nirgendwo sonst gibt man sich sorgloser angesichts einer Welt, die immer dreister mit dem Feuer spielt. Das Amüsement kennt hier keine Pause und kurz ist die Langeweile, immer raffinierter, immer vielfältiger wird das Angebot: Zwischen weichen Walzerklängen und schmetternden Märschen, zwischen Konfettischlachten und Varietéabenden, Tanzkränzchen und Parkfesten, Lawn-Tennis-Turnieren und Schwimmkonkurrenzen fällt es leicht, sich unbeschwert und unpolitisch zu geben; es ist ein Schweben in Genuss und Glück und Leichtsinn vor prachtvoller Kulisse und in herrlichen Dekorationen. Ja, hier am Quarnero will man diese Augenblicke ungetrübter Lebensfreude festhalten, sie festzurren unter diesem unheimlich blauen Himmel und nie mehr entfliehen lassen. Die Erste Gesellschaft Kakaniens feiert in Abbazia, der heiteren Bastion des Doppeladlers am Meer, ihre letzte Erfüllung, findet hier zu ihrer vollendeten, reinen Form, ehe sie mitgerissen wird vom verhängnisvollen Gang der Weltgeschichte. Was blieb, ist der Traum von einem Ort im Süden, der „einmal bei Österreich war“, der italienisch wurde, später jugoslawisch und kroatisch und in dem die Hauptstraße „Marschall-Tito-Straße“ heißt und nicht mehr „Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums-Reichsstraße“, in dem die Hotels und Villen zwar vielfach andere Namen tragen, aber heller in imperialem Glanz erstrahlen denn je. Der alte Geist Kakaniens ist noch zu spüren, wer ihn fassen, ihm ahnend begegnen möchte, muss nur die Augen öffnen … Abbazia ist versunken, Opatija jedoch nicht unerreichbar. Wie sang man doch im Wien der Zwischenkriegszeit so treffend:

       Wer a Göd hot, der foahrt noch Abbazia,

       und wer kans hot, foahrt in ’n Übazieha …

      Erstes Südbahnhotel in Abbazia: das Hotel Quarnero. Photochromdruck, um 1890.

      Das Hotel Kvarner heute.

      urch Jahrhunderte, ja, Jahrtausende war es das Land der Fischer und der Piraten gewesen. Nie hätte sich hier jemand freiwillig niedergelassen, nur um die Schönheit der Landschaft zu genießen. Liburnia hatten die Römer diesen Küstenstrich Illyriens genannt und seine Bewohner, die Liburnier, waren geschätzt für ihre Fertigkeit im Bau seetüchtiger Schiffe, gefürchtet für ihre Raubzüge über Meer. Eine ganze Kriegsflotte hatte das Imperium zur Unterwerfung der Liburnier in das Meer vor der istrischen Küste entsandt; einen Winter lang lagen die Galeeren im Hafen von Val Augusta (Mali Lošinj) und machten von hier aus Jagd auf die liburnischen Schiffe. Den Schauplatz dieser langwierigen Kämpfe bezeichnete man als Mare Quaternarium, das „aus vier Teilen bestehende Meer“, für dessen merkwürdig zerrissene Inselwelt die Römer im Mythos eine makabre Erklärung fanden: Medea, die mörderische Königstochter aus Kolchis, hätte auf der Flucht ihren Bruder Absyrtos zerstückelt, um so König Aetes, ihren Vater und Verfolger, aufzuhalten. Die einzelnen Gliedmaßen des armen Absyrtos lägen so noch immer verstreut im Meer: einen Schenkelknochen könne man in der Insel Cherso (Cres) erkennen, einen dünnen Armknochen in Lussin (Lošinj), Veglia (Krk) sei sein Schulterblatt gewesen und die Inseln Unie, Levrera und Sansego seien weitere Knöchelchen des Ermordeten. Die Eilande des Quarnero (heute: Kvarner) trugen daher in alter Zeit auch den Namen „Absyrtische Inseln“. Freilich gab es auch andere Erklärungsversuche: Eingedenk der zahlreichen Opfer, die schwere Stürme hier immer wieder unter den Seeleuten forderten, leiteten die Venezianer, jahrhundertelang Herrscher über den Quarnero, seinen Namen von italienisch carnivoro (= „der Fleischfressende) ab. Und nüchterne Interpreten aus dem Norden wollten noch später eine Verwandtschaft zu „Karst“ und „Kärnten“ erblicken – Quarnero hätte also seine Wurzel in kar, dem keltischen Wort für „Stein, Felsen“.

      Wäschermädchen am Strand von Abbazia. Gemälde von Olga Wisinger-Florian.

      © Giese & Schweiger, Kunsthandel Wien.

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