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frösteln ließ.

      »Chris hat mir gegenüber einen Namen erwähnt, eine Person, die Sie kennen.«

      »Wer sollte das sein?« Auch Fredrik wurde nun mulmig zumute und er wandte sich mit besorgtem Blick zu Olivia.

      »Sagt Ihnen der Name Aba etwas?«

      Aus den Gesichtern Olivias und Fredriks wich schlagartig das Blut. Blass, mit weit aufgerissenen Augen sahen sie die Lehrerin an. »Aba«, flüsterte Olivia, als ob sie den Namen eines Schreckgespenstes wiederholen würde.

      »Sie kennen Aba? Wer ist dieser Aba?«

      Olivia stand auf und ging zum Panoramafenster des Wohnzimmers. Daniela und Fredrik sahen ihr hinterher. Beiden den Rücken zugekehrt, flüsterte Olivia gerade so laut, dass Daniela die Worte noch hören konnte: »Aba ist kein Mann. Aba ist eine ehemalige Sklavin. Als sie erschien, wurde uns das ganze Schicksal ihres Fluches bewusst. Ich dachte …« Olivia drehte sich um und sah mit tränennassen Augen zu Fredrik. »Ich dachte, es ist vorbei, Fredrik. Nicht schon wieder! Sie hat uns Stephen genommen. Nicht auch noch Chris, nicht den Kleinen!« Benommen sackte Olivia auf die Knie und begann hemmungslos zu schluchzen.

      Fredrik sprang auf, lief zu seiner Frau und legte ihr den Arm um die Schultern. »Beruhige dich, Olivia, das hat doch nichts zu bedeuten!«

      »Nichts zu bedeuten?«, kreischte Olivia. »Nichts zu bedeuten? Warum sonst ist Miss Rudolph hier, wenn es nichts zu bedeuten hat? Fredrik, Aba hat Stephen, unseren Sohn, aus dem Leben gerissen – und jetzt, jetzt spannt sie ihr giftiges Netz um Chris.«

      Die heftige Reaktion Olivias erschreckte und ängstigte Daniela. Wild kreisten Tausende von Fragen in ihrem Kopf, während sie still auf die Kniende starrte. Dann fand sie ihre Sprache wieder: »Diese Aba hat Ihrem Sohn etwas angetan? Ich dachte, er sei bei einem Attentat ums Leben gekommen. Und wer ist Stephen? Ich war der Meinung, Ihr Sohn hatte den gleichen Namen wie Ihr Enkel?«

      Keineswegs trugen die Fragen Danielas in diesem Augenblick dazu bei, Trost zu spenden. »Geben Sie uns einen Moment, Miss Rudolph! Sie sollen alles erfahren.« Fredriks Miene war wie in Stein gemeißelt.

       Kapitel 40: Plauderstunde

      »Daniela, das ist ja eine Überraschung! Komm rein. Hat Chris dir nicht gesagt, dass er heute bei seinen Großeltern ist?« Sandra lachte mit ihren strahlend weißen Zähnen und gab Daniela einen flüchtigen Begrüßungskuss auf die Wange.

      »Ich hoffe, ich störe nicht. Ist mir ganz recht, wenn Chris nicht hier ist, dann können wir uns ungestört unterhalten.«

      »Na, dann komm mit in die Küche. Ich schneide gerade Gemüse für die Spaghetti-Soße. Du kannst gerne zum Essen bleiben.«

      Sie nahmen auf zwei Barhockern Platz, die vor einem frei stehenden Arbeitsblock in der geräumigen, lichtdurchfluteten Küche standen.

      »Ich schneide freiwillig die Zwiebeln«, grinste Daniela, während Sandra Karotten wusch und mit einem Schabemesser bearbeitete.

      »Was gibt’s Neues? Macht Chris Fortschritte?« Sandra lächelte gelöst. Seitdem Daniela den Privatunterricht vorgeschlagen hatte und dieser nun schon seit Monaten hier im Haus stattfand, erschien ihr Chris wesentlich entspannter zu sein. Offenkundig vermittelte Daniela ihrem Sohn etwas, wozu sie als Mutter nicht imstande war: die Klarheit, dass jegliche Begabung, die Chris von den anderen Kindern unterschied, etwas Normales an sich hatte.

      »Und ob er Fortschritte macht! Es ist wirklich sensationell, wie er sich entwickelt! Ich bin überzeugt, dass es die beste Entscheidung war, seine Fähigkeiten nicht durch die Schule fördern zu lassen. Wer weiß, auf welche Ideen dieses Institut gekommen wäre!« Daniela tränten die Augen.

      »Aber du bist bestimmt nicht gekommen, um wässrige Augen vom Zwiebelschneiden zu bekommen.« Sandra schmunzelte.

      »Aber sicher doch, nur deswegen.« Daniela lachte auf. »Nein, Spaß beiseite. Ich wollte mich mit dir über Chris unterhalten. Wie war das so, als er noch kleiner war? Ab welchem Zeitpunkt hast du gemerkt, dass er, wie drücke ich es aus, anders ist?«

      Sandra überlegte kurz. »Eigentlich vom ersten Augenblick an. Meine Ärztin legte mir Chris nach der Geburt auf den Bauch. Sicher hatte Dr. Sisley damals die Befürchtung, das Äußere von Chris würde mich verstören. Doch so war es nicht.« Verträumt betrachtete Sandra die Karotte in ihrer Hand. »Chris sah mir so durchdringend in die Augen … Sein Blick, verstehst du … Ich hatte das Gefühl, dass er ganz tief in mein Inneres eindringt. Das hört sich jetzt gewiss verrückt für dich an, aber so war es. Alles um mich herum schien unbedeutend. Nur seine Augen, ganz tief in mir.«

      »Ich kenne diesen Blick«, flüsterte Daniela. Ein kurzes Schweigen der Frauen erfüllte die Küche.

      »Dann, als Baby, lag er oft minutenlang auf seiner Decke, derart ruhig, dass ich es gelegentlich mit der Angst zu tun bekam. Er starrte, fixierte einen Punkt, als ob er konzentriert etwas betrachten würde. Nur wenn ich mich direkt vor ihn stellte, wanderten seine Augen zu mir – und dann lächelte er. Schon früh begann er zu krabbeln, dann zu laufen und irgendwann, er war noch keine fünf Jahre alt, nahm er sich die Bücher aus dem Schrank. Zuerst dachte ich, er befühlt die Seiten oder stellt sonst was damit an. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, dass er lesen würde. Woher auch sollte er lesen gelernt haben? Dennoch, er las und merkte sich Wort für Wort, Zeile für Zeile, Seite für Seite. Irre, oder?«

      Daniela überlegte: Bestimmt erging es ihr ähnlich wie mir – Chris kann einem ab und an eine Gänsehaut bescheren. »Hat Chris mit dir jemals über …« Sie wollte auf das Thema des Erzengels und Aba überleiten. Doch irgendetwas ließ sie mitten im Satz verstummen. Es war wie das Flüstern einer kleinen Elfe, die vermeintlich im Gehörgang, dort, zwischen Hammer und Amboss, saß und ihr zu verstehen gab, dass es keine gute Idee sei, weiterzureden. »Brich nicht dein Versprechen, welches du gegeben hast, hörst du!«, schien die Elfe zu flüstern. »Nicht jetzt. Die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt liegt allein bei Chris!«

      »Was meinst du damit, ob Chris mit mir jemals …?«, fragte Sandra und das Geflüster in Danielas Gehörgang erstarb.

      »Ach nein! Mir ist da nur ein Gedanke … aber das können wir ein andermal … Nicht so wichtig.«

      »Dann reich mir doch die Zwiebeln. Ich muss später zwei Kinder satt bekommen.«

      In einem großen Topf köchelte dickflüssige Soße für die Spaghetti, während die beiden Frauen über zwei Stunden hinweg bei einem Glas Weißwein anderen Gesprächsstoff gefunden hatten. Das Klingeln an der Tür unterbrach die Diskussion über die kommende Mode des Frühjahrs.

      »Das werden Chris und Meira sein. Ich mach rasch auf. Stellst du derweil die Teller auf den Tisch?« Sandra glitt vom Barhocker und drückte kurz Danielas Hand. Von draußen hörte die Lehrerin die Stimmen der Kinder und die ihrer Großeltern. Kurz danach stürmten beide Kids herein. »Hab ich es dir nicht gesagt? Hunger wie die Werwölfe«, feixte Sandra, als sie hinter den Kindern zurückkam.

      »Olivia und Fredrik bleiben auch zum Essen. Chris, läufst du bitte nach oben und weckst Oma Rachel? Sie hat den ganzen Nachmittag geschlafen. Sag ihr, es gibt Essen.«

      Chris eilte nach draußen und ins obere Stockwerk. Meira folgte ihm kreischend.

      »Na, die beiden sind ja bester Laune«, meinte Daniela, als sie Olivia und Fredrik begrüßte. Sie hatte den Eindruck, dass sich die Mienen der beiden bei ihrem Anblick verdüsterten.

      »Hallo, Miss Rudolph. Geht es Ihnen gut?«, fragte Fredrik und zwischen seinen Augenbrauen formte sich eine kleine Falte.

      »Ja, danke. Ich habe Sandra ein wenig Gesellschaft beim Kochen geleistet. Sie kennen das ja: Wenn sich zwei Frauen über Schuhe und Mode unterhalten, vergeht die Zeit wie im Flug.«

      »Schuhe und Mode?«, hakte Olivia nach.

      »Schuhe und Mode«, versicherte Daniela geistesgegenwärtig.

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