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      Nachdem ihr Chef sich wieder hingesetzt hatte, äußerte Nora etwas spitz: „Ich weiß ja nicht, in was für Kreisen du verkehrst, aber in dieser Galerie haben wir bisher immer alles bis zum Termin geschafft, und das werden wir auch diesmal.“ Dann fuhr sie versöhnlicher fort: „Ich gebe zu, dass nichts dazwischenkommen und auch niemand krank werden darf. Natürlich werden wir in den letzten vier Wochen sicher mal länger machen müssen. Urlaubssperre versteht sich von selbst. Lass uns noch über die Eröffnungsfeier reden! Gibt es schon genaue Pläne? Da wird ja sicher deine Schneekönigin mitmischen wollen. Jetzt, wo klar ist, dass der Minister kommt.“ Den Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. Sie sah ihren Chef gespannt an.

      „Frau Barkow ist meine Vorgesetzte, Nora, und ich muss sagen, nach dem unrühmlichen Abgang ihres Vorgängers, der im Übrigen keinen Finger für uns gerührt hat, bin ich ganz froh, dass sie sich ein bisschen für unsere Galerie interessiert.“

      Nora warf empört „ein bisschen?“ ein, wurde aber sofort von Günther unterbrochen. „Nein, Nora, lass mich ausreden! Sie zeigt uns, dass sie die Galerie will. Andere Städte haben sich längst von ihren Kultureinrichtungen getrennt, Museen geschlossen oder in andere Trägerschaften überführt. Da kann ich dir Dutzende von Beispielen aufzählen. Letztendlich ist mit unserem Stadtmuseum auch nichts anderes passiert. Für die Politik ist Kultur keine Pflichtaufgabe, das weißt du ganz genau. Aber Politik wird nun mal von Menschen gemacht, und da kann es nicht schaden, die Bürgermeisterin auf unserer Seite zu haben. So, und jetzt du!“

      „Okay, okay, du hast ja recht, wir werden das Beste draus machen. Was bleibt uns auch anderes übrig.“

      „Und wenn Frau Barkow und das ganze Stadtparlament sich am Ende mit unserer neu präsentierten Stadtgeschichte schmücken und hier mit ihren Gästen herkommen, kann das ja nur gut für uns sein. Vielleicht wird dann auch wieder mehr Geld für Sonderausstellungen fließen“, schloss Günther.

      „Was ist denn nun mit der Eröffnung? Hast du schon Musik?“, hakte Nora noch einmal nach.

      „Ja, Musik ist klar. Ich hab eine Big Band engagiert, die ich von einem Konzert kenne. Ziemlich abgefahren, die Jungs.“ Er grinste und sah plötzlich sehr jung aus. „Ich dachte, das ist mal was anderes. Büfett ist auch geregelt, wird vom DEUTSCHEN HOF gesponsert. Dann das Übliche, Reden, Grußworte und so weiter. Und die Schneekönigin wollte noch Kinderballett, also hab ich das auch organisiert. Natürlich Schwanensee.“ Er verdrehte die Augen. „Find ich ja bisschen übertrieben, aber was soll’s! Den Sekt servieren dann die älteren Ballettmädchen der Jugend-Theatergruppe.“

      „Na, das klingt ja ganz toll. Da hast du wohl deine Hausaufgaben schon gemacht.“

      „Nur die Einladungsliste fehlt noch, das Plakat und die Kleinigkeit der Ausstellung.“ Nora tippte auf ihren Zeitplan. „Wie gesagt, wir tun alles, deshalb muss ich jetzt los. Lass uns nächste Woche wieder reden, und bitte, unterschreib die Leihverträge und schick sie ab! Mit der Versicherung hab ich telefoniert, Herr Meyer ist mit der Summe einverstanden.“

      „Wird gemacht, Frau Schönemann.“

      Günther schloss hinter Nora die Tür und atmete tief durch. Er setzte sich an den Schreibtisch und fühlte sich auf einmal sehr erschöpft. Langsam drehte er sich um und zog den Thieme/Becker aus dem Regal.

      7

      Es klopfte. Johannes steckte seinen Lockenkopf durch den Türspalt. „Sie wollten mich sprechen, Chefin?“

      „Setzen Sie sich, Johannes. Ich hab Ihnen den neuen Zeitplan gemailt. Wie wir ja nun seit gestern wissen, haben wir nicht mehr so viel Zeit bis zur Eröffnung. Schauen Sie sich’s mal an! In diesem Monat muss unbedingt noch die Liste mit den exakten Nummern für die einzelnen Exponate fertig werden. Die Nummern sind ja dann später identisch mit den Beschriftungsnummern in den Vitrinen. Wie weit sind Sie denn damit?“

      „Fast fertig. Nur der Abschnitt Neustadt im neunzehnten Jahrhundert fehlt noch.“

      „Ja, ich weiß, darum kümmere ich mich in den nächsten Tagen. Da wollten wir die aufstrebende Wirtschaft anhand von neu entstehenden Unternehmen zeigen. Ich glaube, im Fundus des ehemaligen Stadtmuseums finden wir dazu schöne Beispielobjekte. Ich werde mich mit Leo mal umsehen. Dann kann er gleich den Zustand prüfen und zur Not noch das eine oder andere restaurieren. Wir bringen die Sachen ins Zwischenmagazin, sodass Sie alles aufnehmen und vermessen können. Die Karteikarten mit Angaben zu jedem Exponat lege ich bei. Ach ja, und geben Sie gleich alles in das Inventarisierungsprogramm ein! Das ist ein Abwasch. Der PC dort ist wieder in Ordnung.“

      Ihr Handy klingelte. Hanna war dran. Sie gab Johannes ein Zeichen, dass sie fertig waren.

      „Hanna! Na, Schwesterherz? Was gibt’s denn?“

      „Oh, nichts Besonderes. Ich dachte nur, wir könnten mal wieder zusammen Kaffee trinken? Hast du heute Zeit?“

      Nora überlegte kurz. „Wie wär’s um vier im PUSSICAT?“ „Abgemacht! Bis nachher. Muss noch ein Schwergewicht massieren. Danach kann ich eine Stärkung gebrauchen.“ Sie lachte gackernd, und Nora fiel mit ein. So hatten sie schon als Kinder herumgealbert und noch jetzt, als erwachsene Frauen, konnten sie jede Geburtstagsrunde mit ihrem ansteckenden Lachen erheitern oder nerven, je nachdem. Hannas Ex hatte immer eine Augenbraue gehoben und keine Miene verzogen, aber das war eine andere Geschichte.

      Drei Stunden später saß Nora auf einer Couch im PUSSICAT und wartete auf ihre Schwester, die fast jedes Mal zu spät kam. Das Café hatte im letzten Jahr neu eröffnet und war der Renner in Neustadt. Inzwischen musste man reservieren, um einen Tisch zu bekommen. Die Inhaberin war eine üppige Mittvierzigerin, die sich damit einen Lebenstraum erfüllte. Sie stand selbst hinterm Tresen, begrüßte alle Gäste persönlich und nahm die Bestellungen auf. Den Kaffee und selbstgebackenen Kuchen brachten dann die Herren, die sie aufs Feinste angelernt hatte. Alle kamen aus artfremden Berufen und waren zuvor arbeitslos gewesen. Sie trugen lange Kellnerschürzen und weiße Hemden. Man kam sich wegen ihrer ausgesuchten Höflichkeit vor, wie in einem Wiener Kaffeehaus. Auch die Ausstattung des Lokals ähnelte einem solchen. Es gab runde Holztische mit geschwungenen Beinen, Sessel und Sofas mit Biedermeier-Bezügen, Rüschengardinen, Rosen in kleinen Vasen und gedimmtes Licht. Was Nora besonders freute, war, dass an den Wänden Gemälde von Neustädter Künstlern hingen, Landschaften und Stillleben, die die Wirtin eigens angekauft hatte. Rosi selbst war stets sorgfältig geschminkt und frisiert. Die dunklen Locken hatte sie mit einem breiten Band gezähmt. Heute war es ein grünes. Sie war ziemlich groß und versteckte ihre drallen Rundungen in einer Haremshose und einem sogenannten Überwurf. Der hatte aber einen so tiefen Ausschnitt, dass wenigstens ihr toller Busen zur Geltung kam, nicht zuletzt durch die goldene Kette mit einem Pfeil als Anhänger, der direkt darauf zeigte.

      Nora war jedes Mal beeindruckt von ihrer Aufmachung. Sie selbst hatte zwar Schuhe mit hohen Absätzen an, aber kombiniert mit Jeans und Pullover. Morgens musste es immer schnell gehen. Sie schminkte nur die Wimpern und pinselte etwas Rouge auf, damit sie nicht so blass wirkte. Aus Schmuck machte sie sich nichts, sie trug lediglich ihren Ehering und fast immer die gleichen Ohrringe.

      Jetzt kam Rosi an ihren Tisch. Inzwischen kannten sie sich schon etwas, und Nora nahm ihr nicht übel, dass sie sagte: „Na, Schätzchen, du wartest doch nicht etwa auf einen Lover?“

      Nora lachte. „Nein, auf meine Schwester. Sie kommt sicher gleich.“

      Hanna arbeitete als Physiotherapeutin in einer Praxis in Neustadt. Nach ihrer Scheidung war sie von Friedrichshagen hierhergezogen. Sie hatte vor fünfzehn Jahren ihre Familie wegen eines anderen Mannes verlassen. Das war damals in ihrem Heimatort ein ziemlicher Skandal gewesen. Auch ihre Eltern hatten sehr darunter gelitten, zumal Anton, ihr Neuer, der Neffe ihrer Mutter war. Hanna, dieses Schaf, hatte alle Schmach auf sich genommen und war ausgezogen.

      Nora war von Anfang an klar gewesen, dass sie wohl kaum die alleinige Schuld am Scheitern ihrer Ehe trug. Erst viel später hatte sich herausgestellt, dass auch ihr Schwager längst eine andere liebte. Er hatte es nur nicht an die große Glocke gehängt.

      Am

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