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haben.

       Klosterruine in Hude

      Ich hatte schon keinen Mut mehr, in das Loch zu steigen, aber die Jungen, vor allem mein älterer Bruder, fanden es toll, bis eines Tages, als wir alle gespannt vor dem Loch hockten und Steine von denen in Empfang nahmen, die innen arbeiteten, eine Stimme hinter uns erscholl: „Was macht ihr da eigentlich?“ Hinter uns stand mein Großvater und sah zu, wie wir uns aufrichteten. „Ist da jemand drin?“ fragte er auf das Loch deutend und dann im uns nur zu gut bekannten Befehlston: „Kommt sofort da raus!“. Dann hielt er uns eine Standpauke über die Gefährlichkeit solcher Spiele. Wie leicht hätte die Höhle oder der Gang über uns zusammenbrechen und uns begraben können. Wenige Tage später veranlasste die Gemeinde, dass unser Gang zugeschüttet und jeder Einstieg unmöglich gemacht wurde. Die Geschichte aber, dass Kinder den sagenhaften Klostergang gefunden hätten, hielt sich lange in der Gemeinde.

       Worüber wir gelacht haben

      Wir sechs Konfirmanden unseres Dorfes, die aufs Gymnasium gingen, hatten jeden Dienstagnachmittag Konfirmandenunterricht im Studierzimmer unseres Pastors. Zu den anderen Konfirmanden ging der Pastor morgens in die Volksschule. Es war im Spätherbst und schon dunkel, als wir um 18:00 Uhr die Pastorei verließen und uns auf den Heimweg machten. Einer der Jungen hatte in seiner Hosentasche vier Kerzenstummel mitgebracht, die wir in die Augenhöhlen der beiden steinernen Totenköpfe klebten, die rechts und links die Steinpfosten des Friedhofstores flankierten. Wir zündeten kichernd die Kerzen an und versteckten uns dann hinter einem Gebüsch, um zu warten, ob jemand vorbeikäme, der sich erschrecken könnte. Es dauerte gar nicht lange, da kam eine dicke Frau auf einem Fahrrad angefahren. Sie stoppte abrupt, als sie die leuchtenden Augenpunkte rechts und links vom Friedhofseingang sah. Dann begann sie laut zu schreien „Hilfe“ und „Herr Pastor, Hilfe“. Sie kam kaum wieder auf ihr Fahrrad und rannte mehr schiebend als fahrend schreiend auf die Pastorei zu. Wir platzten fast vor Lachen, sodass auch wir Mühe hatten, unsere Räder zu besteigen. Dann sahen wir zu, dass wir wegkamen. Im Laufe der Woche wurde es uns allen aber langsam doch etwas mulmig, und am darauf folgenden Dienstag saßen wir nicht ganz so entspannt im geistlichen Studierzimmer wie sonst.

      Unser Pastor baute einleitend statt jeder Begrüßung schweigend vier winzige Kerzenstummel vor sich auf, sah uns sechs der Reihen nach an und sagte dann: „Wir ändern den gewohnten Verlauf des Unterrichts heute etwas und wollen uns stattdessen mit dem Bibelspruch ‚Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang‘ befassen.“

       Schattenspiele

      Es war Herbst und im Garten hatte das große Aufräumen schon für diese Saison sein Ende gefunden. Auf einer großen freien Fläche sammelten wir seit zwei Jahren alles alte Holz, Äste und Zweige der beschnittenen Obstbäume, Baumstubben und Wurzeln. Die Nachbarn brachten ebenfalls seit langem alle brennbaren Abfälle dorthin, sodass sich ein fast haushoher Holzstoß aufgetürmt hatte. Dieser Holzstoß sollte im Rahmen einer Übung für unsere freiwillige Feuerwehr abgebrannt werden. Schon Tage vorher hatten wir Kinder mit Freunden und unter Mithilfe der Feuerwehrleute den Holzstoß einmal umgeschichtet, um etwa darin versteckte Kleintiere wie Igel und Kaninchen zu verscheuchen und das Holz fachgerecht zu schichten, damit beim Abbrennen nichts passieren konnte.

      Nun war es soweit. Die Dämmerung hatte eingesetzt, die Feuerwehr war mit beiden Löschzügen vor Ort, und in sicherer Entfernung wartete die ganze Nachbarschaft, und vor allem wir Kinder, auf das kommende Schauspiel.

      Die Fachleute setzten Brandbeschleuniger in das Holz, eine Lunte wurde drangehalten. Schon brannte es an allen vier Seiten. Die Flammen griffen schneller und schneller um sich. Der brennende Holzstoß warf seinen hellen Schein auf die in respektvoller Entfernung stehenden Zuschauer. Dazwischen bewegten sich wie scharfe Scherenschnitte vor einer hellen Wand die Feuerwehrleute, die Wasserschläuche wie Schlangen hinter sich herzogen. Als der erste Wasserstrahl in die Flammen schoss, zischte es laut auf und eine Wolke von Wasserdampf und Qualm breitete sich vor dem hellen Feuer aus und verdunkelte die Gesichter.

      Aus der Ferne wirkte dieses ganze Bild wie ein unheimlicher Gespenstertanz vor dem rot glühenden Holz. Erst recht die herumgehenden Personen, die den unerlässlichen Klaren an Feuerwehr und Zuschauer in bereitgehaltene Gläser ausschenkten, sahen als dunkle Schatten vor dem hellen Feuer wie Zuschauer bei einer rituellen Handlung aus. Der Spuk hatte ein Ende, als wir Kinder uns alle mit auf Stöcke gesteckten Kartoffeln der Glut näherten und in dem verglimmenden Holz Backkartoffeln garen durften, während die Erwachsenen redend und lachend beisammen standen und Bier und Korn tranken.

       Auf der Bühne

      Mehrere Jahre lebte ich mit meiner Familie in Frankreich und ging dort auf eine französische Schule. In der ersten Deutschstunde des neuen Schuljahres machte uns unser Deutschlehrer den Vorschlag, das Jahr über ein Theaterstück einzuüben und es dann am Schuljahrsende im nächsten Sommer an der Schule aufzuführen. Wir alle waren Feuer und Flamme. Die erste Frage war: Was sollen wir spielen? Nach längeren Diskussionen – unser Lehrer hatte mehrere Vorschläge – entschieden wir uns für „Unsere kleine Stadt“ des amerikanischen Schriftstellers Thornton Wilder. Gemeinsam lasen wir das Stück mit verteilten Rollen und brauchten lange, bis wir alle Rollen zur allseitigen Zufriedenheit besetzt und verteilt hatten.

       „Unsere kleine Stadt“ in einer Schüleraufführung

      Von nun an trafen wir uns jeden Samstagmorgen in der Schule und begannen, statt des sonst erteilten Deutsch- und Geschichtsunterrichts unser Theaterstück einzustudieren. Erst im Laufe der Zeit wurde uns klar, was wir uns da vorgenommen hatten, und dass wir als Laienschauspieler oft glaubten, uns übernommen zu haben und es nicht zu schaffen. Aber das Wunder geschah: Je länger wir uns mit dem Stück befassten, auswendig lernten, einübten und probten, desto mehr wurden wir von einem unglaublichen Eifer gepackt und dem Ehrgeiz, es zu schaffen und die anderen am Schuljahresende ebenso zu begeistern wie uns. Es war trotzdem eine mühselige Arbeit und dauerte Monate, bis das Stück Konturen bekam.

      Das Theaterstück drehte sich um zwei Familien in einer kleinen Stadt: Die des Redakteurs der örtlichen Zeitung und die des Arztes. Ich spielte die Frau des Arztes und ich erinnere mich vor allem bei den Proben an eine Szene, in der der Arzt seine Frau in den Arm nehmen muss. Hölzerner als wir zwei das bei der ersten Probe versuchten, kann man sich einfach nicht bewegen. Die Kommentare der kritisch zuschauenden Schulkameraden konnten bissiger nicht sein und Dr. Böttinger meinte gutmütig zu meinem Partner, das müsse er noch üben. „Ja, wie denn“, fragte der ratlos, woraufhin ein anderer trocken meinte: „Na, mit einem Bügelbrett!“ Alles lachte, aber ich war doch etwas pikiert. Irgendwann wurden wir aber alle gelöster und je besser es lief, desto mehr gefiel es uns. Im Frühjahr wurde die Frage der Kostüme drängend und alle nähfähigen Mütter nähten und änderten die notwendigen Kostüme aus alten Kleidern. Handwerklich geschickte Väter halfen beim Bau der Kulissen.

      Unsere Begeisterung erlahmte nicht eine Sekunde, höchstens Niedergeschlagenheit machte sich ab und zu immer wieder breit, wenn eine Szene nicht so klappen wollte, wie wir und unser Lehrer als Regisseur es gerne gehabt hätten. Und dann kam der große Tag der Aufführung. Es war ein unglaublicher Erfolg. Unsere Aula war bis auf den letzten Platz besetzt und es ergab sich die Notwendigkeit, das Stück sogar noch ein zweites Mal zu spielen, weil nicht alle Zuschauer beim ersten Mal erfasst werden konnten; denn jeder in der Schule, der Deutsch lernte, war gekommen und sämtliche Väter und Mütter natürlich auch. Das größte Kompliment war, dass wir von der deutschen Schule in Paris eine Einladung bekamen, auch dort noch einmal zu spielen, weil unser Stück sogar bis dorthin bekannt geworden war. Nie zuvor und nie wieder bin ich, sind wir, glaube ich, alle, mit so einem unendlichen Gefühl von

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