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zu setzen und zu versuchen, in der von Soldaten überlaufenen Festung auf unbekannten Gängen und in den vielen Abzweigungen den Weg in die Freiheit zu finden.

      Er öffnete die Tür.

      »Heiliger Rochus, steh mir bei!«

      Immer noch schwankte er in seinem Vorhaben. Er konnte nicht ausschließen, sein Tun jederzeit abzubrechen und in die Zelle zurückzulaufen und auf seinem Lager zu warten, dass die Wache ihren Rausch ausgeschlafen hatte und das Missgeschick vertuschte.

      Die ersten Schritte auf dem Gang waren wie der unberechtigte Zutritt zu einer neuen, nie gekannten Welt.

      Luis sah sich von allem Bösen heimgesucht, als er die Stimme von Joaquin so nah an seinem Ohr hörte.

      Tatsächlich trennte nur die Zellentür Vater und Sohn.

      Eine einzige Tür, eine einzige verdammte Tür.

      »Du musst gehen!«

      »Ich kann es nicht, Vater! Ich kann dich nicht hier zurücklassen!«

      Luis war zu alter Stärke erwacht. – Dieses Geschenk des Himmels musste genutzt werden. Er hatte beide für verloren angesehen. Jetzt zum Glück war das Tor zur Freiheit einen Spaltbreit geöffnet. Ganz öffnen musste es Joaquin aber selbst.

      »Mich werden sie bald frei lassen. Der Kommandant selbst hat gesagt, dass ich frei komme, wenn du das tust, was sie wollten. Und du hast es getan. Also …!«

      Luis ahnte, was das Wort des Kommandanten noch wert sein würde, wenn er erfuhr, dass der Sohn getürmt war statt die für ihn bestimmte Strafe zu erhalten.

      Nein, dann würde er nie mehr die Freiheit wiedersehen.

      Doch Luis wusste auch, dass Joaquin dem Tod geweiht war, wenn ihm die Flucht nicht gelang oder er sie erst gar nicht antreten wollte.

      Dazu hätte es nicht einmal des Geständnisses bedurft.

      Aber da es von ihm abgefordert war und er es abgegeben hatte, stand es sicher fest, dass sein Tod fest beschlossene Sache war.

      »Verliere jetzt keine Zeit, mein Sohn!«

      »Vater!«

      Luis stand vom Boden auf.

      »Ich segne dich, mein Sohn! Erweise dich meiner und unserer Ahnen würdig und geh! Wir werden uns wiedersehen! Es wird so sein!«

      Und wenn es im Himmel sein wird!

      Joaquin wusste, dass sein Vater keine weiteren Worte folgen ließ. Noch einmal prüfte er, ob die Zellentür zu öffnen war. Am Türriegel war ein Schloss angebracht, so dass er gesichert war.

      Warum dieses zusätzliche Tun bei einem alten Mann, bei dem man keine Angst haben musste, dass er ausbrechen wollte und konnte?

      Der Riegel, der seine Zelle absperrte, war nicht gesichert. – Merkwürdig!

      Luis hörte, wie Joaquin sich zögerlich entfernte. Er war angespannt, aber auch erleichtert.

      Doch den anderen Sohn, den hatte er verloren. Die Nachricht schmerzte und erfüllte sein Herz mit unendlicher Trauer. Die Nachricht von Gabriels Tod, von Joaquin überbracht.

      In Joaquins Gegenwart hatte er sich noch zusammennehmen können, doch nun ergriff die Trauer vollends den Geist und seine Seele.

      Ja, Gabriel war auch ihm ein Sohn gewesen. Das Glück, das sein Freund Pablo mit ihm erlebte, hatte auch sein Herz mit Freude erfüllt.

      Armer, armer Pablo! Das zweite helle Licht, um welches das Schicksal ihn beraubt hatte.

      Herr, wo nur bist du mit deiner Gnade? Wie kann deinem Diener nur solch ein Los zuteilwerden? Welche grausame Prüfung mutest du ihm zu?

      Wer nur konnte Pablo die furchtbare Nachricht überbringen und wer nur konnte dem Freund und auch Margarita zur Seite stehen, da er hier lebendig begraben war und die Freiheit ihm verwehrt wurde?

      Luis faltete die Hände und begann zu beten. Für Gabriel, für Pablo und Margarita und natürlich auch für Joaquin.

      Luis betete ohne Unterlass. Das war alles, was er tun konnte. Es war wenig, aber der Herr in seinem Entschluss gab ihm keine andere Möglichkeit.

      All das, was sein Leben ausmachte, war in fürchterliche Bedrängnis geraten.

      Wahrheiten, unabänderliche, lasteten auf ihm, und die Mächte des Schicksals schickten sich an, weiteres Unheil zu senden und weitere Last auf ihn zu laden.

      Wenn nur Joaquin die Flucht gelingen würde, dann würde er kein Wort der Klage gegen den Herrn erheben.

      Das schwor er in seinem Gebet mit Gott. – Alles lag nun in seiner Hand.

      Er musste hoffen, dass der Heiland sie jetzt nicht verließ.

      Luis betete weiter, betete so viel wie nie in seinem Leben zuvor.

      Der lehmigfaulige Geruch in dem Dunkel des Ganges wurde nur kurz durch den Gestank von Alkohol unterbrochen, als Joaquin den betrunkenen, auf dem Boden zusammengesunken da liegenden Wachsoldaten erreichte. Ohne Erfolg verlief die eilige Suche nach einem Schlüssel für das Schloss an der Zellentür seines Vaters.

      Jetzt tastete Joaquin sich weiter vor. Bald erreichte ihn das Schnarchen des Soldaten nicht mehr.

      Noch einmal dachte er sich zu seinem Vater zurück. So schlimm die Empfindung, ihn einem ungewissen Schicksal zu überlassen.

      »Dafür werde ich dich büßen lassen!«

      Die Worte waren an Sion de Albanez, seinen Herrn, gerichtet.

      Da, ein Licht! Der schwache Schein einer Fackel, der sich an eine der nasskalten Wände geheftet hatte.

      Äußerste Vorsicht nun! Jeden Augenblick konnte er auf weitere Wachen stoßen.

      Wo Licht brannte, fanden Menschen ihren Weg.

      Joaquin atmete gepresst, unfähig einen geordneten Plan zu fassen. Vielleicht musste er sich augenblicklich entscheiden, was zu tun war.

      Jetzt war er dem Schein der Fackel sehr nahe gekommen. Sie war dazu bestimmt, einen Raum zu erhellen, von dem vier Gänge in verschiedene Richtungen abzweigten.

      Joaquin erreichte den Raum mit sehr langsamen Schritten. Durfte er sich diese Langsamkeit überhaupt erlauben? Es konnte keine Stunden dauern, bis entdeckt sein würde, dass er sich nicht mehr in seiner Zelle befand.

      Niemand da! Kurzes Durchatmen.

      In welche Richtung sollte er jetzt weitergehen? Er steckte den Kopf in jeden Gang. Durch eines der Gewölbe kam von weither Lärm. Lärm wie von einer ausschweifenden Feier.

      Joaquin konnte sich auf das Ganze keinen Reim machen.

      Wochenlang diese lähmende Stille und nun dieser von Ausgelassenheit zeugende Lärm. Wenigstens erklärte sich jetzt der Zustand der Wache, die ihm das Essen gebracht hatte.

      Es ist eine Falle! Es kann nur eine Falle sein!

      Die Nachlässigkeit, welche die Wachmannschaft an den Tag legte, war einfach zu auffällig. Er verstand es noch immer nicht. Mehr als dass sie ihn gefangen hielten, konnten sie doch gar nicht erreichen.

      Aber auch wenn sie ihn in eine Falle locken wollten, musste er es nutzen, dass er sich außerhalb seiner Zelle aufhalten und bewegen konnte.

      Einen offenen Kampf kann ich nicht suchen.

      Dies schien ihm das Schlechteste in dieser Situation zu sein. Er war waffenlos.

      Seine Gegner hatten die Übermacht.

      Also durfte er nicht auffallen, musste er untertauchen und es zu Wege bringen, dass man ihn nicht wahrnahm, schon gar nicht als den Gefangenen aus dem unteren Bereich des Gefängnisses.

      Er brauchte eine Uniform. Ja, das war der Weg zur Rettung. Ja, er brauchte eine Uniform, so wie sie hier alle trugen.

      Sofort dachte Joaquin an den betrunkenen Soldaten

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