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Mal war er hellwach.

      Er kannte diese Stimme.

      Papa!

      Es war die Stimme seines Vaters!

      Papa! Wie können Sie dir das nur antun?

      »Ich bin hier, Papa! Hörst du?«

      Luis hörte die Stimme seines Sohnes und wehrte sich noch mehr gegen seine Widersacher und gegen sein Verbringen in eines dieser dunklen, nassen Löcher hier.

      »Lasst mich zu ihm! Joaquin, mein Junge …«

      Das Stimmengewirr erhob sich zu einem fürchterlichen Radau.

      Jetzt waren sie vor seiner Zelle angelangt.

      »Papa!«

      Joaquin trommelte mit Wucht gegen die Tür.

      Wenn er nur die Kraft gehabt hätte, sie aufzubrechen. Er hätte seinem Vater beigestanden und ihn aus den Händen seiner Gegner befreit. So aber musste er sich dem deprimierenden Gefühl der Ohnmacht hingeben.

      Die Stimmen entfernten sich etwas.

      Endlich hörte er, wie eine Zelle aufgesperrt wurde. Kurze Zeit danach wurde die Tür wieder zugeschlagen und der Riegel mit dem gleichen Geräusch wie bei seiner Zellentür vorgeschoben.

      Die Schritte der Wachleute kamen wieder näher.

      Joaquin hätte schreien müssen. Aber er biss sich auf die Lippen und wartete ab.

      Schließlich kehrte Stille ein. Aber es war eine ganz andere Stille als die, die ihn hier empfangen hatte.

      Was war mit Vater?

      »Papa?«

      Joaquin hatte sich auf den feuchtkalten, modrig riechenden Boden geworfen.

      Er rief durch den Schlitz zwischen Tür und Boden hindurch.

      »Papa, bist du heil?«

      Nach endlos langer Zeit erst eine schwache Erwiderung.

      Luis hatte Mühe, Kraft für seine Stimme zu finden.

      *

      Die Unterbringung von Vater und Sohn in nahe beieinander liegenden Zellen geschah nicht ohne Grund. Rund um die Uhr waren tonlose, lautlos wie Schatten dahergekommene Spitzel postiert, die jedes Wort zwischen den beiden mitbekommen sollten.

      Eine Zeit lang noch vermochten Luis und Joaquin ihren Mund über die Sache gut im Zaum zu behalten. Sie witterten diese lautlose Gefahr, die sich draußen auf dem Gang zwischen ihren Zellen niedergelassen hatte. Aber irgendwann wird selbst die größte Gefahr, die doch nur im Verborgenen bleibt und sich nicht zeigt, als solche nicht mehr wahrgenommen.

      Die List der Gegner, sie ging auf.

      Erst nur erfolgte eine zaghafte Andeutung darüber, was ihnen widerfahren war. Dann aber wurde der Austausch, noch dazu irgendeine Reaktion auf den Anfang ihrer Unterhaltung ausgeblieben war, immer klarer und verständlicher.

      Die Spione in der Dunkelheit blieben still und schrieben weiter mit.

      Letztlich hatten sie so viel notiert, dass es für zehn Anklagen gegen beide gelangt hätte.

      Umso überraschter zeigte sich nach Tagen Enrique Lopez, der Kommandant des Gefängnisses, als er Weisung erhielt, Joaquin vorzuladen und ihm zu signalisieren, dass sein Vater unbestraft bleiben würde, wenn er nur ein Geständnis unterzeichnete.

      »Das verstehe, wer will. Beide haben sie den Tod verdient!«

      Joaquin setzte kein Vertrauen in die Worte von Lopez. Und was für ein Geständnis sollte er überhaupt unterschreiben?

      Es war seinem Gegenüber anzumerken, dass ihm der Glaube an die eigenen Worte fehlte.

      Vorsicht! Manch ein Wortbruch, von dem er gehört hatte, manchen, den er schon miterlebt hatte.

      Die Oberen, die vorgaben, sich allem verpflichtet zu fühlen, die vorgaben, von Gott persönlich die Gnade ihrer Macht erhalten zu haben, sie fühlten sich weder ihm noch irgendeiner Gerechtigkeit verpflichtet und noch nicht einmal dem von ihnen Geäußerten.

      Wer die Macht hatte, lieferte sie der Freiheit ihrer Launen aus. Was gestern noch festen Bestand haben sollte, galt am nächsten Tag mitunter nichts mehr, Bündnisse, Verträge oder noch mehr einfache Zusagen gegenüber Untergebenen inbegriffen.

      Und für wen sie sich erst einmal interessierten und wen sie verfolgt und festgenommen hatten, den ließen sie doch nicht einfach wieder laufen.

      Nur warum mussten sie einen alten Mann noch bedrängen, einen Menschen der immer seine Pflicht getan und alle Zeit für seinen Herrn gearbeitet und sich abgemüht hatte? Warum mussten sie ihn bestrafen für etwas, das keiner Strafe wert war.

      Dass sein Vater sich für Gabriel eingesetzt und ihn zu schützen versucht hatte, war aller Ehre Genüge getan.

      Konnte es sein, dass ihre Einsicht so weit gediehen war?

      Joaquin rätselte.

      »Was soll ich unterschreiben?«

      Er versuchte die Stille zu beenden, die nur ihn unter Druck setzte. Enrique Lopez blickte angestrengt auf das vor ihm ausgebreitete Schreiben. Das Lesen des auch ihm unbekannten Textes fiel ihm offensichtlich schwer. Schließlich ließ er es sein.

      »Hier, lies selbst, wenn du es kannst!«

      Barscher Befehlston zur Wiederherstellung der Autorität.

      Zögerlich nahm Joaquin das Papier an sich und überflog es. Sehr rasch verengten sich seine Augen. Schrecken in die Starre des Gesichts geschrieben, während der Kommandant ungerührt einen Flecken eingetrockneten Blutes auf seinem Hemd musterte.

      »Gabriel ist tot?«

      Joaquin wollte nicht glauben, was er da las.

      »Wie ist das passiert?«

      Der Kommandant erinnerte sich an die Worte, mit denen er das Papier erhalten hatte.

      »Vom Pferd gefallen und das Genick gebrochen. – Und du hast ihn wegreiten lassen!«

      Eine grausame Antwort, lapidar ihm entgegnet.

      Joaquin schluckte und starrte den Kommandanten an, blickte ihm auf die Lippen, so als müsse eine Veränderung der Mimik oder ein Wort, ein Satz die enge Situation auflösen und allen Schrecken von ihm nehmen. Doch der Gesichtsausdruck von Lopez blieb gleich, seine Lippen bewegten sich nicht.

      Vom Pferd gestürzt!

      Er sah das letzte Bild von Gabriels Flucht vor seinen Augen. Seine Unsicherheit auf dem Rücken des Tieres.

      Ja, es konnte so sein, wie es der Kommandant geäußert hatte. Und wenn es so war, dann traf ihn die Schuld allein.

      Nicht mehr verlangte dieses Schriftstück, als dass er diese Schuld eingestand.

      Egal, ob er es gut gemeint hatte und Gabriel retten wollte.

      Langsam nahm er den auf dem Tisch bereit liegenden Federkiel an sich und tauchte ihn in das Tintenglas, das geöffnet für das Leisten seiner Unterschrift bereit stand. Ein letztes Nachdenken, dann räumte er ein, am Tod von Gabriel schuld zu sein.

      Enrique Lopez nahm das Geständnis an sich, warf einen Blick auf den Namensschriftzug mit dem Kreuz an seinem Ende, sagte nichts und verließ den Raum. Zugleich trat die Wache wieder ein und brachte Joaquin zurück in seine Zelle, die ihm nun fast wie eine Zuflucht vorkam. Er wollte niemanden sehen, wollte seine Schuld mit sich selbst ausmachen.

      Auch seinem Vater verschloss er sich und antwortete ihm den ganzen Tag nicht auf seine unablässigen Fragen, die er verwirrt durch das Dunkel stellte.

      *

      Und jetzt plötzlich, da er mit nichts mehr als mit seiner Bestrafung rechnete, nach drei Tagen an Qual, in denen er nur den Wunsch verspürt hatte, einem Priester seine Schuld zu beichten und um göttliche Vergebung zu bitten, ein Wunsch, der ihm mit höhnischen

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