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      Die Erklärung hierfür war einfach, aber nicht zu begreifen.

      Die Wache, welche das Essen gebracht hatte, war, das hatte er selbst in seinem geschwächten Zustand bemerkt, total betrunken und tat sich mit allem schwer.

      Obendrein war sie redselig, was den Alkoholgenuss noch umso mehr offenbarte.

      Das hatte Joaquin so noch nicht erlebt. Er war es gewohnt, dass kein Wort gewechselt wurde, ein hartes Schweigen herrschte, und dass die Stille nur durch das Knarren der aufgehenden und sich schließenden Tür und durch die Betätigung des schweren Riegels unterbrochen wurde.

      Und dass hier in dieser strengen Hölle eine Nachlässigkeit solch einer Art Einkehr fand, damit hatte Joaquin schon gar nicht gerechnet. Alles was sich ihm bisher dargeboten hatte, war militärische Genauigkeit.

      Jeder Schritt und jede Bewegung schienen vorgegeben.

      Tagtäglich hatten sie sich wiederholt.

      Und nun kam die Wache betrunken daher. Unglaublich!

      Und was noch eklatanter war und seinen Puls zum Rasen brachte: die Wache hatte vergessen, den Riegel wieder vorzuschieben.

      Konnte das überhaupt sein?

      Spielten seine Sinne ihm vielleicht einen bösen Streich?

      Er ließ sich die Ansammlung der Geräusche, die eben seine Ohren erreicht hatte, mehrmals durch den Kopf gehen. Keine Frage: Das Geräusch, welches das Vorschieben des Riegels verursachte, war nicht dabei gewesen.

      Er schlich zur Türe und lauschte in die Stille.

      Nichts zu hören? – Oder etwa doch? Ein Schnarchen vielleicht?

      Er lauschte noch angestrengter an der Zellentür. Ja, es war ein Schnarchen.

      Offensichtlich schlief die Wache da draußen auf dem Gang ihren Rausch aus.

      Vorsichtig schob er seine Finger zwischen das Gemäuer und die Zellentür, um zu prüfen, ob sie offen stand.

      Welch ein Wunder? Sie bewegte sich.

      Unfassbar! Die Tür war offen!

      Joaquin bekreuzigte sich und dankte allen Heiligen, insbesondere dem heiligen Rochus, dem Schutzpatron der Gefangenen, der vor Hunderten von Jahren selbst im Gefängnis gestorben war.

      »Heiliger Rochus, danke für dieses Wunder!«

      Was aber tun?

      Er würde mehr als eine Tür und mehr als eine Wache überwinden müssen.

      War das Ganze vielleicht auch nur eine Falle?

      Er konnte sich nach allem, was geschehen war, keine Erklärung geben. Er hatte doch ein Geständnis abgegeben. Sie hatten das zu hören bekommen, was sie wollten.

      Wochenlang, eine gefühlte Ewigkeit, hatte er in diesem dunklen Loch verbracht, und niemand hatte sich um ihn und seinen Vater gekümmert, außer dass man ihnen durch Wasser und karge Mahlzeiten das Leben erhielt. Die ersten Tage schien er allein in diesem Trakt des Gefängnisses, der unmittelbar am Ozean liegenden Burg des Heiligen Sebastian, untergebracht zu sein. Für einen jungen Mann, der gerne unter seinesgleichen war und schon immer die Gemeinschaft geschätzt hatte, die pure Hölle.

      »Man wird dich totschweigen, Amigo! Ganz langsam wird es geschehen!«

      Diese Worte, die einer der Wachleute herablassend an ihn gerichtet hatte, verstärkten sich rasch zu einer ihn immer mehr beherrschenden Empfindung.

      Stück für Stück verlor er sein Leben.

      Er vermisste die Wärme der andalusischen Sonne, selbst die bisweilen unerträgliche Hitze, die Helligkeit des aus der Höhe kommenden Lichtes, die Geborgenheit seiner Heimat, die Nähe seiner Freunde, das Gefühl der Freiheit, auch wenn sie beschränkt und von der Willkür seines Gutsherren immerzu bedrängt war. Ja, er vermisste sogar seine harte Arbeit, die gerade das zum Überleben Nötige abwarf.

      Hier fand er nichts vor, das ihm das Überleben sicherte, am wenigsten die Hoffnung.

      Sie würden ihn, obwohl er nach seinem Empfinden gerecht gehandelt hatte, mit dem Tod dafür bestrafen, dass er Gabriel befreit und ihm zur Flucht verholfen hatte. Und doch würde er das Selbe wieder tun. Es war eine Frage der Ehre.

      Er war erstaunt gewesen, wie schnell ihm die Männer von Sion de Albanez auf die Spur gekommen waren.

      Als er den Jungen nach seiner Befreiung Essen und frisches Wasser in sein Versteck gebracht hatte, waren sie aufgetaucht. Er konnte Gabriel gerade noch aufsitzen lassen und das Pferd zum davongaloppieren antreiben.

      Der verräterische Staub, den es in seinem Lauf mit dem verzweifelt um sein Gleichgewicht bemühten Jungen auf dem Rücken verursachte, hatte sich erst gerade wieder verzogen, da waren sie auch schon da. Eine Übermacht, gegen die er trotz seiner wenig ängstlichen Natur keine Chance hatte.

      »Wo ist der Junge?«

      Für Joaquin waren keine Fragen mehr offen, außer wie sie es herausgefunden hatten, an der richtigen Stelle zu suchen.

      Er fühlte, wie sich der Strick um seinen Hals legte. Ihm würde kein Leugnen helfen. Dennoch versuchte er es, auch um Gabriel einen Vorsprung zu verschaffen, der ihm Sicherheit brachte.

      »Von wem sprecht ihr?«

      Noch nie hatte Joaquin mit diesen Männern, auch wenn er ihre Gesichter kannte, ein Wort gewechselt. Sie waren ihm immer fremd geblieben wie fast alle Menschen im Dunstkreis des Gutsherrn.

      Einen Augenblick später schon war der Anführer vom Pferd gesprungen und hatte ihn am Hals gepackt.

      »Das weißt du zu gut, verfluchter Bengel!«

      Joaquin schwieg und versuchte, sich in die Situation einzufinden.

      »Und dein Pferd ist auch fort!«

      Der Anführer kam schnell zu dem einzig möglichen Schluss.

      »Du hast den Jungen damit wegreiten lassen!«

      Joaquin entgegnete nichts.

      »Hängen wirst du dafür, Sohn des Luis, wenn nicht gar die Santa Casa dir die verdammte Seele aus dem Leibe brennt!«

      Kurze Anweisungen, dann teilte sich die Gruppe auf.

      Zwei der Männer wurden abgestellt, um Joaquin zu fesseln und wegzubringen.

      Die anderen, darunter der Anführer, machten sich auf, das Kind zu verfolgen.

      Was aus Gabriel anschließend geworden war, hatte Joaquin nicht erfahren.

      Einem ersten Verhör durch seinen Herrn hatte er widerstanden. Mit Schlägen und Tritten übel zugerichtet, war er aber nah am Aufgeben gewesen.

      Sion de Albanez wandte sich ungeduldig ab und sah sich die Gewalt nicht an.

      Diese sturen Bauernsöhne, man hätte sie totschlagen können und dennoch nichts aus ihnen herausbekommen.

      So hart und trocken wie der Boden dieser Landschaft.

      Schließlich war, für Joaquin überraschend, nachdem er wieder zu denken und zu begreifen in der Lage war, von ihm abgelassen worden, gerade da ein Reiter Sion de Albanez eine Nachricht überbracht hatte.

      »Schafft ihn mir aus den Augen. Wenn er schweigen will, dann soll er es richtig tun. Die Mauern, die sein Heim werden, werden es ihm abverlangen. Er wird ihnen viel zu klagen haben, aber sie antworten ihm nicht.«

      Mit diesen Worten hatte der Gutsherr Joaquin seinem für ihn bestimmten Schicksal überlassen.

      Nachdem er einige Tage bei vollkommener Dunkelheit und Geräuschlosigkeit in seinem Verließ verbracht hatte, war es draußen auf dem Gang laut geworden. Stimmengewirr, was er zunächst wie durch einen Schleier hörte. Metallene Geräusche. Irgendwer sonst vielleicht, der auch in diesem Trakt des Todes, wie es ihm schien, eingesperrt werden sollte, schien sich dagegen zu wehren.

      »Bastardo!«

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