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wusste Kappe nicht, wie er darauf reagieren sollte. War der Bremer Industriellensohn nun wirklich ein NS-Gegner, oder hatte er die Absicht, ihn, Kappe, in eine Falle zu locken? Es konnte aber auch sein, dass Deterding noch einen anderen Tick hatte, den nämlich, immer und um jeden Preis witzig sein zu wollen. Vielleicht hätte er lieber Komiker beim Kabarett statt Kriminalkommissar werden sollen. Kappe schwieg also und fragte Deterding dann, ob ihn die Olympischen Spiele auch schon in ihren Bann gezogen hätten.

      «Na, und ob!», rief Deterding und trommelte zur Abwechslung einmal gegen die Scheibe des Mordautos. «Besonders interessiert mich die leichte Athletik, ich war schließlich selber mal Läufer, über 800 und 1500 Meter. Vor zwei Jahren habe ich sogar Martin Kammholz geschlagen, und das ist schon wer.»

      «Und warum sind Sie nicht dabei?» Kappe zeigte in Richtung Olympiastadion.

      «Weil mein Herz nicht mitgemacht hat», antwortete Deterding. «Herzmuskelentzündung nach einer verschleppten Influenza. Davon habe ich mich nie richtig erholt. Aber für den Polizeigebrauch reicht es noch.»

      «Wären Sie denn lieber über 800 oder über 1500 Meter gestartet?», wollte Kappe wissen.

      «Schwer zu sagen. Über die kürzere Strecke haben wir Lanzi, den Italiener, und den Amerikaner Woodruff an der Spitze, über die längere Distanz die Neuseeländer und Beccali, den Sieger von vor vier Jahren.»

      «Und die Deutschen?», wollte Kappe wissen.

      «Über 800 Meter haben wir Rudolf Harbig, meiner Ansicht nach unser größtes Talent aller Zeiten, und über 1500 Meter Martin Kammholz. Der könnte es in diesem Jahr schon schaffen.» Ihr Fahrer war neu in Berlin, durch irgendwelche Verbindungen aus dem schwäbischen Dettenhausen in die Reichshauptstadt gekommen. Er hielt nun oben auf der Stößenseebrücke und sah auf die Havelchaussee hinunter, die 25 Meter tiefer lag. «Das ischt ja ’n Ding, da wolle mer hin, aber wie?» Er konnte es nicht fassen. Auf dem Stadtplan hatte das ganz einfach ausgesehen, da kreuzten sich Heerstraße und Havelchaussee scheinbar auf demselben Niveau.

      «Wie wir dort hinkommen? Ganz einfach», sagte Deterding, «wir nehmen Tempo auf, durchbrechen das Brückengeländer, segeln auf den Stößensee hinab und fahren als Flugboot ans Ufer.» Kappe war am Abend noch mit seinem alten Freund Theodor Trampe verabredet und wollte das Dienstliche so schnell wie möglich hinter sich bringen. «Sie müssen wenden und noch einmal zum Scholzplatz zurück, dann entweder rechts in die Straße Am Postfenn oder links über die Angerburger Allee runter zur Havelchaussee.»

      Der Fahrer bedankte sich, merkte noch an, dass Tote ja mit dem Warten keine Schwierigkeiten hätten, und machte sich auf den Weg.

      Deterding hatte im Präsidium eine Skizze mit dem genauen Fundort erhalten. «Havelchaussee, schräg gegenüber von Pichelswerder, da wo am Rupenhorn die Bootsstände beginnen.»

      Kollegen von der Schutzpolizei hatten die östliche Fahrbahn der Havelchaussee auf einer Länge von hundert Metern abgesperrt, so dass sie, als sie vom Postfenn kamen, keine Mühe hatten, ans Ziel zu gelangen. Ihre Kriminaltechniker waren schon wesentlich eher eingetroffen als sie, und Dr. Krause vom Erkennungsdienst fasste kurz seine bisherigen Erkenntnisse für Kappe und Deterding zusammen.

      «Der Tote ist männlich, um die dreißig Jahre alt und gestorben, weil man ihm den Schädel zertrümmert hat. Der Blutverlust muss erheblich gewesen sein, da sich aber hier im Waldboden - auf den ersten Blick jedenfalls - keine Blut- und Kampfspuren finden, kann darauf geschlossen werden, dass der Mann anderswo umgebracht und erst danach hier abgelegt worden ist. Es spricht alles dafür, dass man ihn in der Nacht mit einem Kraftfahrzeug hierher verfrachtet und ins Gebüsch geworfen hat. Das Gelände steigt hier steil an, und kein Wanderer, der von oben durch den Wald kommt, wird den Abhang runterrutschen. Und dass hier ein Kraftfahrzeug hält, kommt auch sehr selten vor. Der Täter konnte also damit rechnen, dass sein Opfer nicht so schnell gefunden wird. Es war reiner Zufall, dass die Dame da hinten bei einem Spaziergang ausgerechnet an dieser Stelle dringend im Gebüsch verschwinden musste. Sie und ihr Mann sind gleich ins Forstamt gelaufen, um uns zu alarmieren.»

      Kappe bedankte sich und hätte am liebsten Deterdings Hände festgehalten, denn der junge Kollege trommelte auf der Kühlerhaube den Radetzkymarsch, was Kappe gehörig auf die Nerven ging. «Mit einem Kraftwagen, sagen Sie … Es gibt nicht viele, die einen besitzen, und die gehören im Allgemeinen den höheren Ständen an. Oder es handelt sich um ein Dienstfahrzeug …»

      «Nun halten Sie mal die Luft an!», rief Dr. Krause.

      «Ein Dienstfahrzeug der Reichspost, der Reichsbahn, der Bewag oder der Gasag», sagte Deterding. «Oder an was haben Sie gedacht?»

      Kappe hatte kein Interesse daran, dieses Thema weiter zu vertiefen, und drückte vorsichtig die Zweige zur Seite, um sich den Toten selber anzusehen. Etwa zehn Meter vom Straßenrand entfernt lag er. Es war klar, dass man ihn hergeschleift hatte, denn im Humus und der Schicht alter Blätter ließ sich eine breite Furche erkennen. Der Mann trug eine dunkelblaue Trainingshose und ein weißes Unterhemd, jegliches Schuhwerk fehlte.

      «Ist ja interessant», sagte Deterding, der Kappe in kurzem Abstand gefolgt war.

      Kappe blieb stehen und drehte sich um. «So ist es. Daraus können wir schließen, dass es ihn nicht auf offener Straße oder bei einem feierlichen Anlass erwischt hat, sondern bei sich zu Hause, wo er wahrscheinlich Pantoffeln getragen hat. Die sind dann verlorengegangen, als man ihn hierher transportiert hat.»

      «Und das bestimmt nicht mit der Straßenbahn», fügte Deterding hinzu. «Womit wir wieder beim Kraftwagen wären …»

      Kappe konnte das Gesicht des Ermordeten noch nicht erkennen, weil der auf dem Bauch lag. Trotz seiner vielen Dienstjahre und der vielen Leichen, die er schon berührt hatte, erfüllte ihn immer noch eine Art heiliger Schauer, wenn er einen Toten vor sich hatte. Erstarrt stand er da.

      Deterding war es schließlich, der den Mann an der Schulter packte und auf den Rücken drehte.

      Da schrie Kappe auf. «Gott, das ist ja der Wanzka!» Deterding war ein Stück zurückgeprallt. «Sie kennen den?»

      «Ja, das war eine schillernde Figur. Zuletzt haben wir uns in Schwerin gesehen, beim Seefeldt-Prozess. Karl-Heinz Wanzka war ein kleiner Gauner mit einer ganzen Latte von Vorstrafen als Einbrecher, Hehler, Erpresser und Zuhälter. Überall hatte er seine Finger im Spiel und wusste immer alles. Für uns hat er auch gearbeitet, Liebermann von Sonnenberg hat ihn als Spitzel eingesetzt, um mit unseren Berufsverbrechern fertig zu werden.»

      «Das klingt nicht so, als ob er nur Freunde gehabt hat», merkte Deterding an. «Aber vielleicht waren seine Freunde gefährlicher für ihn als seine Feinde …»

      «Danke für die Warnung», sagte Kappe.

      «Was nun?», fragte Deterding.

      Kappe überlegte einen Augenblick. «Wir fahren jetzt zu Wanzkas Wohnung, die Adresse dürfte ja unschwer zu ermitteln sein, und prüfen, ob es irgendwelche Spuren gibt.» Er sprach mit Dr. Krause, und der veranlasste das Notwendige.

      Als Kappe und Deterding anderthalb Stunden später vor dem Mietshaus Naunynstraße 6 ankamen, hatten die Kollegen von der Kriminaltechnik schon ganze Arbeit geleistet.

      «Der Mann ist nicht in seiner Wohnung erschlagen worden, sondern vor seinem Kellerverschlag. Die Blutspuren sind nicht völlig beseitigt worden», wurde Kappe berichtet.

      «Wie sind Sie denn auf den Keller gekommen?», fragte Deterding.

      «Weil oben bei ihm am Brett der Kellerschlüssel gefehlt hat.»

      «Sehr schön», sagte Kappe, war aber mit seinen Gedanken schon bei seinem Freund Theodor Trampe, mit dem er abends verabredet war. «Morgen ist auch noch ein Tag. Da fangen wir dann an, uns in seinem Umfeld umzuhören.»

      So warfen sie nur einen flüchtigen Blick in Keller und Wohnung und machten sich dann wieder davon, um noch etwas von ihrem Sonntag zu haben.

      Hermann Kappe sah sich immer wieder um, ob ihm jemand folgte. Es waren herrliche Zeiten, in denen man als Kriminalkommissar auf Nummer sicher gehen musste,

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