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Nebe. Die beiden Letztgenannten standen in enger Verbindung zu Kurt Daluege, einem früheren Wegbegleiter Adolf Hitlers, der für die NSDAP im preußischen Landtag gesessen hatte und im Auftrag Hermann Görings die Polizei zuerst von roten Elementen und dann von Anhängern Ernst Röhms gesäubert hatte. Er war derzeit Leiter der Polizei-Abteilung im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern, sollte aber bald Himmlers Stellvertreter als «Chef der Deutschen Polizei» werden.

      Unter den Mordkommissaren gab es «so ’ne und solche». Im Kreise der einen war Kappe ziemlich isoliert, denn die hatten durchweg eine andere soziale Herkunft als er und schon früh auf die Karte NSDAP gesetzt. War er der Sohn eines einfachen Fischers aus Wendisch Rietz und hatte wegen einer Stoffwechselkrankheit nicht Soldat werden müssen, entstammten die anderen zumeist der zwischen 1890 und 1900 geborenen «jungen Frontgeneration» des Bürgertums, hatten das Abitur gemacht, als Soldaten im Weltkrieg gekämpft und im Anschluss daran an Freikorpsoperationen teilgenommen. Vor oder während ihrer Kommissarausbildung hatten sie studiert, waren aber 1930 im Beförderungsstau steckengeblieben und dann aus Frust zu den Nationalsozialisten übergelaufen.

      Auch mit den Kollegen, die aus der alten kaiserlichen Beamtenschaft stammten und die Weimarer Republik von Anfang an gehasst hatten, konnte Kappe nicht viel anfangen. Zu seinem Glück existierte noch eine dritte Gruppe: Männer, die meist überzeugte Hitlergegner waren, zumindest aber den Nationalsozialisten keinerlei Sympathien entgegenbrachten, an ihrer Spitze Ernst Gennat. Aber auch anderen war Kappe freundschaftlich verbunden, so Wilhelm Meyer von der Politischen Polizei, Kriminaldirektor Fritz Scherler, dem Leiter des Straßendienstes der Abteilung IV, und Kriminalpolizeirat Reinhard Heller.

      Kappe konnte also mit Kollegen rechnen, die ihre Hand schützend über ihn hielten, auch wenn er mit Bernhard Weiß seinen einflussreichsten Förderer verloren hatte. Weiß, Jude und wie Walther Rathenau Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, hatte als Chef der Kriminalpolizei und stellvertretender Polizeipräsident erbittert gegen die Nationalsozialisten gekämpft und war in mehr als sechzig Prozessen gegen Goebbels vorgegangen. Er hatte aber 1932 alle Ämter verloren und 1933 aus Deutschland fliehen müssen.

      Noch gab es für die Kriminalkommissare keine Zwangsmitgliedschaft in der NSDAP. Um bei der Kripo arbeiten zu können, musste man aber den «Ariernachweis» erbringen, Mitglied in einer der Gruppierungen der NSDAP sein und eine «unbedingte politische Zuverlässigkeit» vorweisen. Was den ersten Punkt betraf, hatten sowohl Kappe als auch seine Frau einen einwandfreien Stammbaum, und beim zweiten Punkt konnte er gleich zwei Mitgliedschaften vorweisen, zum einen die im Reichsbund der Deutschen Beamten und zum anderen die in der NS-Volkswohlfahrt. Nur beim dritten Kriterium stand in seiner Personalakte ein großes Fragezeichen.

      Wie jeden Morgen marschierte Kappe mit dem Gedanken «Auf in den Kampf!» ins Büro. Seit sie von der Hufeisensiedlung in Britz in die Große Frankfurter Straße gezogen waren, nahe der Kreuzung Lebuser Straße, brauchte er nicht mehr mit der Straßen- und der S-Bahn ins Büro zu fahren, obwohl er das eigentlich ganz gern getan hatte. Da kam man so richtig unter Menschen. Klara war das immer ein wenig «popelig» vorgekommen, und sie träumte davon, mit der ganzen Familie schon bald in einem der KdF-Wagen zu sitzen, von denen im Februar viel in der Zeitung gestanden hatte, dem sogenannten Volkswagen.

      Kappe brauchte zu Fuß nicht länger als siebzehn Minuten bis zum Präsidium, heute aber, da ihm ein wenig taumelig war, lief er lieber zum Strausberger Platz und setzte sich in die U-Bahn. Am Alexanderplatz kaufte er sich einen Völkischen Beobachter. Das war das «Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands» und zeigte oben in der Mitte einen Adler, der einen Ährenkranz in den Fängen hielt. Darin schwebte ein vergleichsweise kleines Hakenkreuz. Zwar hasste er diese Zeitung und hätte sie am liebsten in handliche Stücke zerschnitten und auf die Toilette gehängt, aber sie war unentbehrlich für ihn. Ging er damit durch die Gänge des Polizeipräsidiums, machte das bei den hohen Herren einen guten Eindruck und schützte ihn vor jeder Verdächtigung.

      Gustav Galgenberg, sein altgedienter Kollege, war noch nicht zugegen, und so konnte Kappe erst einmal ein paar Minuten den entgangenen Nachtschlaf nachholen. Er musste richtig eingenickt sein, denn er erschrak fürchterlich, als Galgenberg plötzlich im Zimmer stand und rief: «Hände hoch! Kriminalpolizei!»

      Kappe fasste sich an den Kopf. «Mann, hast du mich erschreckt.»

      «Zankt euch nicht, und haut euch nicht, spuckt euch lieber in’t Gesicht», sagte Galgenberg, dann gratulierte er Kappe zum Geburtstag.

      «Du warst doch gestern schon da und hast mir gratuliert.»

      «Ja, aber nachträglich is doch viel schöner.» Galgenberg ließ seinen Hut elegant auf den Garderobenhaken segeln. «Wenn det ’n Wettbewerb bei der Olympiade wäre, würde ick die Goldmedaille jewinnen.» Dann plumpste er auf seinen Stuhl, borgte sich den Völkischen Beobachter und machte sich an die Lektüre. Zwar fehlte ihm sein Berliner Tageblatt, aber was sollte man machen.

      «Was gibt’s denn Neues?», fragte Kappe.

      «Noch drei Tage bis zu den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen.»

      «Ich mag weder Eis noch Schnee», brummte Kappe.

      «Hier, det wär ’n Jeburtstagsgeschenk für dich jewesen: Großempfänger Mende 215 WH - Die neueste Schöpfung von Mende. Damit kannste jede Rede des Führers janz laut hören.»

      Kappe konnte darauf nichts entgegen, denn in diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft, und auf sein «Ja, bitte, herein!» erschien sein Neffe Otto, Sohn seines älteren Bruders Oskar.

      Otto war 25 Jahre alt und im letzten Jahr von der Schutzpolizei zur Kripo gekommen, nicht ganz ohne Kappes Mithilfe. Er war ihm ähnlicher als sein eigener Sohn, und Kappe hatte irgendwie einen Narren an ihm gefressen. Otto hatte all das, was er selbst nicht hatte, vor allem die schnelle Intelligenz und eine gewisse Weltgewandtheit. Klar, er war ja auch nicht in Wendisch Rietz und Storkow aufgewachsen, sondern in Berlin.

      «Jetzt steht endlich fest, wann wir heiraten!», rief Otto. «Am 27. Juni.»

      «Na, phantastisch!», rief Kappe und staunte selber, wie temperamentvoll und emphatisch er auf diese Nachricht reagierte.

      «Heirate, und du lachst dir tot», sagte Galgenberg.

      Als Otto Kappe wieder gegangen war, machten sie erst einmal Frühstück, und danach erschien Konrad Zäcklau bei ihm im Büro, um seine Geburtstagsglückwünsche an den Mann zu bringen.

      «Herzlichen Dank», sagte Kappe, während er dachte: Die Mörder sind unter uns. Er wusste, dass Zäcklau während des Röhm-Putsches mehrere unschuldige Menschen erschossen hatte, und betete immer wieder, dass einst der Tag kommen möge, an dem man Zäcklau und seinesgleichen den Prozess machen konnte. Aber noch sah es so aus, als würde Hitlers Reich wirklich tausend Jahre dauern.

      Kappes Schreibtisch war aufgeräumt, ein neuer Fall lag nicht an. Da galt es, sich um die «nassen Fische» zu kümmern, die ungelösten Fälle, aber dazu hatte er heute Morgen wenig Lust. In solchen Phasen seines Berufslebens bestand die große Kunst darin, ungemein geschäftig zu wirken, damit keiner der Vorgesetzten merkte, dass man eigentlich nichts zu tun hatte, und einem eine Tätigkeit aufhalste, die grausam war. Er entschied sich, vor dem Aktenstudium noch die Toilette aufzusuchen.

      «Mach det», sagte Galgenberg, als Kappe ihm sein Vorhaben angekündigt hatte. «Und sei froh, det de kannst. Meine Frau braucht imma ’n Abführmittel, det mischt se sich unters Essen. Aus Vasehn hab ick am Sonnabend ihren Tella jekriegt … Und nachher hatten wa unsa Klosett schön braun jestrichen, det hätte jlatt ’n SA-Lokal sein könn’.»

      «Pst!»

      Auf dem Weg zur Toilette lief Kappe Kriminalrat Dr. Walter Zirpins über den Weg.

      «Hallo, mein Lieber, zu Ihnen wollte ich gerade!»

      Kappe war mehr erschrocken als erfreut über diese Mitteilung, denn er hielt den SS-Sturmbannführer für einen üblen Burschen.

      «Wieso, habe ich was verbrochen?»

      «Nein, das nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden.» Dr. Zirpins lachte.

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