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immer sich eine Möglichkeit zur Überprüfung bietet, stoßen wir auf Widersprüche und Vermutungen. So fehlen zu den für das Frühmittelalter überlieferten Personen und Ereignissen fast alle sicher datierbaren Artefakte. Dagegen finden sich zu einer Vielzahl von Berichten der Antike überprüfbare Bestätigungen – aber offenbar durchweg um drei Jahrhunderte verschoben. Bei diesem Befund erscheint nur eine Erklärung möglich: Unsere gebräuchliche Jahreszählung stimmt nicht mit den für das Römerreich tradierten Jahreszahlen überein. Allerdings haben sich in manchen Fällen neben den unstimmigen auch Hinweise auf das wahre Datum geschichtlicher Ereignisse erhalten. Zusammen mit den physikalischen Messwerten lässt sich aus diesen ein beweiskräftiges, überzeugendes Bild der Vergangenheit gewinnen.

      Die extreme, von einigen Skeptikern vertretene Vorstellung einer etwa zur Zeit der Renaissance vollständig gefälschten Überlieferung ist dagegen unhaltbar, eben weil sie aller Erfahrung über menschliche Möglichkeiten und Motive widerspricht.

      Und wer schließlich die Aussagekraft naturwissenschaftlich gewonnener Daten grundsätzlich anzweifelt, der muss sich fragen lassen, auf welche Weise sich seine Position dann überhaupt prüfen und bewerten ließe.

       Darf man an der Chronologie denn zweifeln?

      Unsere Jahreszählung erscheint sakrosankt. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Die Jahreszahlen beziehen sich auf die Geburt Christi. Auf den ersten Blick schließt daher der Zweifel an der Stimmigkeit der Zahlenfolge auch den Zweifel am zentralen Ereignis des christlichen Glaubens ein. Wem ist schon bewusst, dass mit dieser Art, die Jahre zu benennen erst viele Jahrhunderte nach den im Neuen Testament beschriebenen Ereignissen begonnen wurde, dass sie erst im 14. Jahrhundert erstmals in einer päpstlichen Urkunde benutzt wurde? Unsere Jahreszählung beruht jedenfalls auf einer Rückberechnung des Geburtsjahres Christi durch fehlbare Menschen!

      Sodann bildet die Abfolge der historischen Ereignisse die Voraussetzung dafür, sich ihr mit den Mitteln der Logik zu nähern. Dort wo Vorher und Nachher nicht mehr zu bestimmen sind, lässt sich keine Kausalität erkennen und daher auch kein Verständnis gewinnen. Wer könnte sich auf so etwas einlassen?

      Ganz offensichtlich lässt sich die Jahreszählung auch nicht um einen bestimmten Wert verändern, ohne dass dies weitere Unstimmigkeiten zur Folge hätte: Das Zusammenspiel von Schaltjahren, Wochentagen und Mondlauf wiederholt sich erst nach 532 Jahren. Hinzu kommen weitere, offenbar nie geänderte Zyklen wie die jüdische Jahrwoche oder die 15-jährige Steuerperiode der Römer.1

      Schließlich bildet das, was wir von Eltern und Lehrern über die Vergangenheit gelernt haben, den Kern unseres gesicherten Wissens. Der Gedanke, dieses Wissen könnte der Korrektur bedürfen, ist vielen Menschen kaum erträglich – insbesondere dann, wenn davon auch noch ihre berufliche Reputation berührt wird.

      Was aber hätte es zu bedeuten, wenn unsere Jahreszahlen nicht die Anzahl der seit der Geburt Jesu oder seit Kaiser Augustus vergangenen Jahre angäben? Etwas in uns sträubt sich gegen diese Möglichkeit. Worauf können wir uns dann überhaupt noch verlassen? Verständlich, dass fast jeder von uns erst einmal mit Abwehr oder gar mit Zorn auf eine solche Zumutung reagiert.

      So stellt sich uns die Frage: Sind wir bereit, für unser Wissen – wenn es denn nötig ist –, uns von lieb gewonnenen Vorstellungen zu verabschieden und auch die dann nötige Trauerarbeit zu leisten? Wir müssten uns ja die Begrenztheit des Wissens einzugestehen, das wir vertrauensvoll von unseren Eltern und Lehrern übernommen haben. Zum Lohn dafür werden wir möglicherweise jedoch der Wahrheit ein Stückchen näher kommen.

      Seit zwei Jahrzehnten sorgt die folgende These für Unruhe: »Zu Anfang des Mittelalters wurde die Jahreszählung des Abendlandes um fast dreihundert Jahre erhöht.«1 Was davor geschah, so die Konsequenz, läge daher weniger weit zurück als überliefert! Die durch diesen Eingriff neu entstandenen dunklen Jahrhunderte des frühen Mittelalters wären in der Folgezeit mit erfundenen oder schlicht geklonten Überlieferungen gefüllt worden.

      Sie werden jetzt fragen: Gibt es denn für eine derartige Unstetigkeit der Jahreszählung irgendeinen konkreten schriftlichen Hinweis aus jener fernen Zeit? Ja, den gibt es tatsächlich! Ein Schreiben des kaiserlichen Sprechers Leo von Vercelli an Papst Gregor V. aus dem Jahr 998 gipfelt in der Anweisung: 'Auf Befehl des Kaisers bereinigt der Papst die Jahrhunderte'.1

      Aber was wäre denn damals 'zu bereinigen' gewesen? Die Antwort fällt nicht schwer, wenn wir die überlieferte Geschichte des Oströmischen Reiches betrachten: Genau 304 Jahre beträgt der Abstand zwischen Herakleios I. und Konstantin dem Großen, den beiden bedeutendsten Kaisern Ostroms. Beide regierten mit jeweils 31 Jahren gleich lang. Gleich lang regierten auch ihre gleichnamigen Nachfolger, von denen, wie wir noch sehen werden, ebenfalls gleiche Taten berichtet werden. Geschichte wiederholt sich aber bekanntlich nicht! Die frühere der Überlieferungen (fast das ganze 4. bis 6. Jahrhundert der Geschichte Ostroms) erscheint als eine Verdoppelung der späteren. Nun gilt Konstantin der Große aber auch als einer der bedeutendsten Herrscher des Westens. Dessen Überlieferung musste durch sein zu frühes Erscheinen durcheinander geraten. Angesichts der geplanten 'Wiederherstellung des Römischen Reiches' bestand jedenfalls dringender Handlungsbedarf!

      Beruht unser Schulwissen auf einem Irrtum?

      Nur auf den ersten Blick scheint die überlieferte Geschichte stimmig zu sein und im Einklang mit allen Beobachtungen und Zeitreihen zu stehen. Das muss auch nicht verwundern: Bei unrichtigen Voraussetzungen scheint sich manchmal auch eine falsche Hypothese zu bestätigen. Hinzu kommt der menschliche Faktor: Widersprechen die Beobachtungen einem sicher erwarteten Ergebnis, so liegt es nahe, Vermutungen anzustellen, um doch noch Stimmigkeit zu erzielen. Auch die Möglichkeit fehlerhafter Datenerfassung oder Interpretation kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

      Wir wollen daher in den folgenden Kapiteln alle verfügbaren Beobachtungen auf ihre Aussagekraft hin überprüfen. Dabei wird sich zeigen, dass 'Beweisführungen' zu Gunsten der überlieferten Chronologie ohne Ausnahme auf unbewiesenen Annahmen beruhen. Mit jeder Zusatzhypothese zur Einordnung einer Beobachtung wird aber bekanntlich die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Ursprungshypothese den wahren Sachverhalt wiedergibt1.

      Sodann wollen wir prüfen, inwieweit sich die verfügbaren Daten mit der alternativen Erklärung einer um drei Jahrhunderte verschobenen Jahreszählung vertragen. Nur wenn dies in jedem Fall gegeben ist, lässt sich sagen, dass diese Erklärung mit hoher Wahrscheinlichkeit die wahre zeitliche Abfolge der geschichtlichen Ereignisse widerspiegelt.

       Ad hoc-Annahmen allüberall – ein Anfangsverdacht

      »Es regnet – aber ich glaube es nicht!« In dieser Form wird Moores2 Paradoxon zumeist präsentiert. Hier stehen sich eine Sachaussage und eine diametral entgegengesetzte, auf Erfahrung begründete Meinung gegenüber. Eine solche Verknüpfung sich ausschließender Aussagen begegnet uns auch in dem Satz

       »Naturwissenschaftliche Datierungen widersprechen der historischen Überlieferung – aber das ist völlig unvorstellbar!«

      Ein solches unerträgliches Paradox kann nur dann mit dem Geglaubten versöhnt und damit aufgelöst werden, wenn sich stets eine Erklärung finden lässt, die im Einklang mit der Naturwissenschaft steht. Eine solche Ad hoc-Hypothese ist somit eine für den Einzelfall geschaffene wissenschaftliche Hilfskonstruktion mit dem Zweck, eine Theorie gegen die ihr widersprechenden Beobachtungen zu stützen. Solange keine überlegene, überprüfbare These vorliegt, – so der Zirkelschluss – 'muss' sie richtig sein, da nur sie den Widerspruch auflöst.

      Ein paar Beispiele:

      - Die meisten überlieferten Berichte über Sonnen- und Mondfinsternisse der Antike weichen nach Ort und Zeit von modernen Rückrechnungen ab. Alle stimmigen Berichte über das eindrucksvolle Ereignis einer totalen Sonnenfinsternis wären anscheinend verloren gegangen.

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