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Trotz aller traurigen Umstände war die Zeit in Brauersdorf für mich eine schöne Zeit. Wir hatten genug zu essen. Ich lebte von Milch, Brot, Kartoffeln, Gemüse, Fleisch und Speck. Speck konnte ich in der Zeit noch nicht sagen, aber bei meinem Ruf nach »Peck« wusste jeder auch so, was ich meinte.

      Im Hof gab es natürlich auch einen Hund, der hieß »Stroppi«. Bei mir hieß der »Toppi«, weil ich Stroppi auch noch nicht sagen konnte. Stroppi war ein weißer Mischlings-Hund. Der wurde schnell zu meinem Spielkameraden. Er passte aber auch gut auf mich auf, wenn z. B. alle auf dem Feld und wir beide alleine waren. Toppi zeigte mir auch ein wenig von unserer kleinen Welt im Hof und im Ort Brauersdorf.

      Im Bauernhaus ging man über die Diele auch in den Stall. Chef im Stall war der Bulle. Obwohl der angekettet war, hatte ich aber immer schwer Respekt vor ihm.

      Durch mein Erscheinen wurde er immer unruhig. Dann bewegte er sich hektisch, wenn ich mit Toppi wieder in den Stall kam. Aber die Kühe freuten sich, dass es ihn gab und auch, dass Toppi und ich wieder kamen.

      Aus einer Ecke des Hofs blickte man auch auf einen Kaninchenstall. In dem lebten sieben Kaninchen, jedes in seinem eigenen kleinen Stall. Ein Kaninchen davon war der Mann, der Rammler und die anderen waren süße Frauen. Von denen war ich besonders begeistert. Das mit den »süßen Frauen« ist auch bis heute so geblieben!

      Eines Tages habe ich gedacht, die Kaninchen müssten ja auch mal gebadet werden. Also nahm ich zwei von denen auf den Arm und ging damit über die Straße und runter zum Bach. Nachdem ich sie gut gewaschen hatte, habe ich sie zum Trocknen auf die Steine im Bach gelegt. Aber, was soll ich sagen, bewegt haben die sich leider nicht mehr. Da waren sie schon tot. Was für ein Elend! Meine Trauer kannte keine Grenzen und dazu gab’s auch noch Riesenärger.

      Ein solches Badezeremoniell mussten die restlichen Tiere dann auch nicht mehr erleben … Aber die Erwachsenen hatten schon immer Panik, wenn ich nur in die Richtung Kaninchenstall lief.

      Hinter dem Bach und am Fuß des Berges erblickte man das Backhaus; das fand ich auch sehr interessant! Da roch es immer stark nach Backwaren. Wenn nun frisches Brot gebacken wurde, war ich auch gerne dabei. Das Backhaus war dann auch einer meiner Lieblingsorte, weil es da schön warm war. Hier habe ich auch immer beim Backen zugeschaut. Manchmal durfte ich den Teig probieren, denn der schmeckte auch so gut wie es roch, mhhhh.

      Manchmal kamen uns Opa und mein Ömchen besuchen und blieben einige Tage bei uns. Sonst wohnten sie ja bei Omas Schwester Regine.

      Einmal war Opa mit dem Zug von Netphen nach Düsseldorf gefahren, um sein Fahrrad zu holen. Zurück ist er zu Fuß von Düsseldorf mit seinem Fahrrad und einem großen Koffer hinten drauf angereist. Das waren dann mal eben schlappe 150 km Fußweg. Als er bei uns ankam, war er doch sehr erschöpft. Er wollte aber sein Fahrrad haben, um in Netphen beweglich zu sein. Netphen war ja, wie ich schon sagte, Ömchens Heimat. Dort lebten die meisten Mitglieder ihrer Familie.

      Aber Netphen war damals nicht mehr als ein kleines Nest und deshalb war ein ÖPNV auch nicht wirklich vorhanden.

      Irgendwann im Frühjahr kam der Tag, an dem die amerikanischen Soldaten nach Brauersdorf und auf unseren Hof kamen und ihn beschlagnahmten. Dann hat man uns Bewohner zuerst einmal mit dem Nötigsten in den Keller verfrachtet.

      Kurz darauf mussten wir auch dort wieder raus, da man das Bauernhaus komplett als Kommando-Zentrale benutzen wollte. Wo aber sollten wir jetzt hin?

      Da hatten die drei Männer (2 vom Hof und mein Opa) kurzerhand entschieden, ein großes Erdloch in den dem Hof gegenüber liegenden Waldhang zu buddeln. Dazu ging man vom Hof über die Straße über die Bach-Holzbrücke am Backhaus vorbei in den Waldhang.

      Unsere Männer hatten sich mit dieser Idee ganz schön was vorgenommen.

      Drei Tage haben sie gebuddelt. Dann sind wir alle in das große Erdloch umgezogen, das die Männer unserer Familien ausgebuddelt und mit Reisig und Ästen abgedeckt hatten.

      Mutti und mir gegenüber waren die Amerikaner aber immer sehr nett. Zu Anfang hatte meine Mutter immer Weinkrämpfe bekommen, wenn die »Jungens« erschienen. Manchmal brachten sie uns sogar Schokolade und andere Leckereien. Darüber haben wir zwei uns natürlich sehr gefreut und unseren Angehörigen auch etwas mitgegeben.

      Nach einigen Tagen waren sie auf einmal weg, die Amerikaner. Jetzt konnten wir endlich wieder auf den Hof zurück. Damit hatten Mutti und ich auch unser Zimmer wieder zur Verfügung und bis auf den Krieg, war alles wieder gut.

      Der Krieg war dann im Mai 1945 endlich vorbei. Einige Monate später wurden Mutti, meine Großeltern und ich mit unseren Sachen auf einen großen LKW geladen und wieder nach Düsseldorf gebracht.

      (In der Neuzeit wollte ich den Hof in Brauersdorf noch einmal besuchen, aber da war davon nichts mehr zu sehen. An der Stelle hatte man eine Talsperre gebaut.)

      August 1945 in Altenhundem. In diesem Jahr wurden durch Bomben von 390 Häusern in Altenhundem 26 zerstört und 156 beschädigt, da Altenhundem ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war. Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn meine Mutter mit mir dort geblieben wäre?!

      Meine Mutter und ich waren aber zu dem Zeitpunkt, Gott sei Dank!, schon wieder in Düsseldorf, obwohl Düsseldorf mittlerweile auch zu fast 50 % zerstört war. Aber ich hatte meine Heimat gefunden. Das Haus meiner Großeltern war ja auch unbeschädigt.

      In Düsseldorf angekommen, lebten Mutti und ich dann, gut versorgt, bei Opa und meinem Ömchen.

      Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Ömchen war meine Mutter, Opa war der strenge Vater und Mutti war meine Freundin. Mit Mutti konnte ich immer spielen, lachen und manchmal auch dummes Zeug machen. Einmal haben wir im Haus der Großeltern »nachlaufen« gespielt. Erst sind wir auf die Terrasse, dann durch das Badezimmer-Fenster wieder in das Haus. Das hatte viel Spaß gemacht. Das hätten Opa und Ömchen aber nicht gut gefunden, wenn sie das gesehen hätten. Aber manchmal waren sie eben auch mal nicht da.

      Nach Kriegsende hatte Mutti die Idee »wir zwei besorgen uns mal eine eigene Wohnung«.

      Die wurde dann irgendwie in Eller Wirklichkeit. In einem unbeschädigten Haus auf der Gertrudisstraße genau neben der neugotischen Gertrudiskirche, die 1901 eingeweiht wurde. Die eigentlichen Mieter waren nämlich für längere Zeit verreist und hatten uns beiden ihre Wohnung überlassen. Diese »Traumwohnung« bestand aus drei Räumen: 1 Küche, 1 Schlafzimmer und 1 Bad.

       1.Mein 1. Umzug April 1946

      Es wurde auch eine sehr schöne Zeit für uns beide. Ich hatte jetzt das Gefühl, dass meine Idee Wirklichkeit und Mutti meine Freundin war.

      Wir gingen viel spazieren, z. B. auf das Gelände des Eller Schlosses. Durch eine kleine Zufahrt ging man direkt auf das Schloss mit seinem im klassizistischen Stil gehaltenen Haupthauses zu. Über dem mittleren Giebel überragte ein mächtiger Turm mit Krüppelwalmdach das Ganze. Dort gingen wir dann vorbei und an der hintersten Wiese des Schlossgeländes durften wir Spiele machen, nachlaufen und wir träumten von der Zukunft und dass mein Vater bald aus dem Krieg zurückkäme.

      Das hatte Mutti mir jedenfalls immer erzählt, obwohl er da schon lange tot war?!

      Fast alle großen deutschen Städte waren am Kriegsende ziemlich zerstört. Und die Verwüstungen betrafen nicht nur die äußeren, materiellen Verhältnisse, sondern auch die geistig-seelische Verfassung von uns, den Überlebenden.

      Es grenzt an ein Wunder, dass ich mit meiner Mutter und meinen Großeltern in diesen Zeiten der großen Desillusionierungen und Orientierungslosigkeit Schritte in eine friedvollere Zeit machen konnten.

      Zunächst nach der Währungsreform, dann mit dem beginnenden sogenannten »Wirtschaftswunder« der frühen 50er Jahre erlebten wir, wie das Leben wieder freundlicher und auch reichhaltiger wurde. Die alltäglichen Sorgen um ausreichendes Essen und vernünftige Kleidung ließen allgemein nach.

       2.Mein 2. Umzug September

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