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      Mein Mann gab mir die Leine und suchte nach einer Diele bei den herumliegenden Baumaterialien. Er fand ein passendes Brett und stellte es schräg an die Baugrubenwand.

      Willys Augen folgten jeder Bewegung, die Schnauze hielt er fest geschlossen. Wir lockten ihn. Vergebens. Mein Mann legte Nascherlen aufs Brett. Willy schaute weg, bekundete demonstrativ, sich nicht angesprochen zu fühlen.

      »Ich steige da nicht rein«, entschied mein Mann nach kurzer Überlegung. »Der soll sehen, wie er herauskommt.«

      Ich ließ Willy nicht aus den Augen. Er wirkte einsam und verloren.

      In Jumbo kam Bewegung, er erhob sich. Bellte. Kurz und lautstark. Ein volltönendes, angenehmes Bellen, wie eben nur ein Rottweiler eines besitzt.

      Willy richtete sich auf, bellte zurück, kurz und schrill. Eher ein Blaffen als ein Bellen. Das brachte ihn zurück ins Leben, und er trippelte auf das Brett zu. Glaubte wohl, einfach darauf emporlaufen zu können.

      Pech gehabt, er rutschte zurück.

      Beim zweiten Versuch kippte er seitlich herunter. Stand aber gleich wieder auf seinen Beinen.

      »So ein Tollpatsch«, sagte ich ärgerlich. »Komm, Willy, hopp, jetzt rauf mit dir.«

      »Der kapiert das nicht«, meinte mein Mann. »Aber ich geh auf keinen Fall …«

      Von einer Sekunde zur anderen stand Willy auf halber Höhe, schaute erst zu uns her, dann vor sich aufs Brett, um sogleich nonchalant heraufzutippeln. Als wäre dies die leichteste Übung der Welt.

      Jumbo wollte ihm entgegenspringen, die Freude blitzte ihm aus den dunklen Augen, aber Willy machte einen großen Bogen um uns. Kniff sein Schwänzchen ein und rannte los. Rannte, als wäre der Teufel hinter ihm her, die Straße hinunter, bog ab und verschwand.

      Später, auf dem Rückweg, sahen wir Willy vor der Garage seines Herrchens liegen. Er hatte es sichtlich nicht mehr gewagt, alleine auf die Pirsch zu gehen.

      Meine Schwiegereltern amüsierten sich köstlich über diese Geschichte. Unserer Jasmin hingegen tat Willy leid. »Hat er sich weh getan?«, wollte sie wissen.

      Nun, das konnten wir ihr nicht beantworten. Verletzungen hatten wir jedenfalls keine gesehen, beruhigten wir sie.

      Das ist jetzt viele Jahre her, Willy hat sogar meine Schwiegereltern überlebt. Während seiner unermüdlichen Bellattacken haben wir umgebaut, renoviert, neue Mieter bekommen und neue Nachbarn, unsere Töchter sind keine Kinder mehr, nach Jumbo kam Fenja, später hat Mira ihren Platz eingenommen, wir haben den alten Zwinger abgerissen und einen neuen gebaut, einen Gartenpavillon errichtet und den Garten umgestaltet.

      Und Willy harrt aus und bellt und bellt.

      Es ist das Jahr 2004, als ich diese Anekdote schreibe, die elf Jahre in der Ablage ruhen wird, bis sie hervorgeholt, überarbeitet und zur allgemeinen Erheiterung beitragen soll.

      Willy wird dann nicht mehr bellen. Die einsetzende Ruhe im Nachbarsgarten wird kaum wahrgenommen werden, bis wir irgendwann einmal fragen:

      »Der Willy – was ist mit ihm? Ob er nicht mehr unter uns weilt?«

      Nach Mira ist es unsere Gianna, die mit kräftigem Gebell ihr Dasein verkündet und jedem das Gefühl vermittelt: Ich pass auf eure Häuser auf.

      Darüber freuen sich alle im Mai 2015.

       Jeder zweite

       Maisonntag ist Mütterfeiertag.

       Liebe Worte, ein Strauß Blumen

       ehren Müh und Plag.

       MUTTERTAG FÜR LARA

      Benni plante Lara zu Ehren einen ganz besonders schönen Tag. Keinen mit Pflanzengaben oder Pralinen, nein das gebührte eher seiner Mutter.

      Es war Laras erster Muttertag, und er liebte sie zutiefst. Zugegeben, es war zurzeit nicht leicht mir ihr. Seine Liebe wurde gehörig auf die Probe gestellt. Ihre Figur hatte auffallend unter der Mehrlingsgeburt gelitten. Träge war sie geworden. Und extrem zickig.

      Ach, was war sie doch ein Ausbund an Fröhlichkeit gewesen, vorher, vor der großen Bescherung. Und was war geblieben? Muffige Bequemlichkeit und apathische Faulheit.

      Wenn er sie zum Spaziergehen aufforderte, bremste sie aus. Machte nur die nötigsten Schritte und kehrte unverzüglich wieder um. Mit nichts konnte er sie aufmuntern. War sie depressiv geworden? Bei all der Unterstützung, die er ihr zukommen ließ? Er verwöhnte, umhegte, liebkoste sie und gab ihr alle Zärtlichkeiten, zu denen er imstande war.

      Sogar der Arzt wusste keinen Rat mehr.

      Deshalb beabsichtigte Benni, einen Ausflug mit ihr zu unternehmen. Nur mit ihr allein. Er hatte sogar den Besuch bei seinen Eltern auf den Abend verschoben.

      Er wollte mit Lara an den See fahren, wo sie früher so gern im erfrischenden Nass herumgetobt hatten, geschwommen waren, Fangen gespielt und sich bespritzt hatten, um danach am Ufer zu liegen und sich vom sanften Hauch des Windes trocknen zu lassen, während sie ein wenig vor sich hin dösten.

      Das Wetter an diesem Maisonntag war ideal für diese Tour, warm und sonnig, aber nicht zu heiß. So, wie sie es mochte.

      Mit gelangweiltem Blick nahm Lara seine Bemühungen entgegen, demonstrierte anschaulich ihre Skepsis und schaute müde zum Autofenster hinaus.

      Am See angekommen, atmete er tief durch. Das stille Gewässer und die blühenden Sträucher ringsherum würzten die Luft.

      Lara stand neben ihm, blinzelte der funkelnden Wasseroberfläche entgegen, reckte ihre Nase in den azurnen Himmel. Schloss ihre Augen. Öffnete sie. Richtete sie auf Benni, ließ sie über sein Gesicht wandern.

      Er hätte allzu gern gewusst, was ihr in diesem Moment durch den Kopf ging.

      »Na, Kleine, zu viel versprochen?«, munterte er sie auf. Damit ihre Laune nicht wieder wegsackte.

      Sie streckte sich ausgedehnt, wie zur Bestätigung. Ihr Blick schwenkte ab, schweifte mit wachsender Aufmerksamkeit umher, nahm ein paar Spaziergänger ins Visier. Sie gab einen leisen, undefinierbaren Laut von sich.

      »Da geht es einem gleich viel besser, Lara. Oder nicht?«

      Er betrachtete sie voll Optimismus, streichelte über ihren Rücken, über ihren Kopf, kraulte sie im Genick.

      Das genoss sie. Sie drückte sich an ihn.

      Hinter ihnen kläffte ein Hund.

      Benni wandte sich um und erkannte ein junges Pärchen, etwa in seinem Alter. Ihren quirligen Yorkshire Terrier hatte Lara schon lange ins Herz geschlossen. Sie winkten her, ließen den Kleinen von der Leine, und er rannte los.

      Benni tätschelte Lara am Hintern.

      Sie brummelte unverständlich vor sich hin, sah zu ihm auf. Ein wohlbekanntes Leuchten flackerte in ihren schwarzbraunen Augen. Ihr Körper vibrierte, ihre Nasenflügel bebten. Als wüsste sie nicht so recht, wie sie sich verhalten solle. Als erwarte sie einen Zuruf oder eine Aufforderung von ihm. Dabei wusste sie ganz genau, dass sie sich frei entscheiden durfte.

      Um die Sache abzukürzen, nickte Benni ihr zu.

      »Geh!«, forderte er sie auf und gab ihr einen Klaps auf den Rücken.

      Nun war sie nicht mehr zu halten, sie preschte nach vorn. Rannte hin zu dem kleinen Hund, jagte Seite an Seite mit Charley, dem Yorkie, ins Wasser, es platschte und Fontänen schossen hoch.

      Benni stieß einen Freudenschrei aus, warf die Arme empor, machte einen Luftsprung.

      »Wie bist du denn heute drauf?«, rief die Yorkie-Halterin erstaunt und lachte.

      »Lara ging’s schlecht. Eine Wochenbettdepression wie aus dem Lehrbuch. Aber euer Charley wirkt Wunder.« Er spürte die endlose Erleichterung in seinem Herzen.

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