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spielen die Nachteile keine Rolle. Das ist wie beim Kräuteraufguss.“

      „Ist ja gut, Alte“, wendet Theobald begütigend ein, „wir wollen ja gar nicht zanken. Aber den Kleinen loben wird man noch dürfen?“

      „Ach, ihr Mannsbilder, doch nicht, indem ihr Vater und Mutter schmäht!“ Sie wendet den Männern den Rücken zu und schlurft zu ihrem Wagen zurück.

      Hildebrand schmunzelt in seinen Bart.

      „Das Weib ist schlau. Eine Schande, dass sie von den Schwarzkitteln gescholten wird. In einem hat sie besonders recht: Wir müssen die Stärken des Einzelnen nutzen.“

      „Hast du mich deswegen rufen lassen?“, mischt sich unversehens eine brummige Stimme ein. Johannes baut sich in seiner Hünenstatur vor Hildebrand auf und lässt die Axt auf die Handfläche klatschen. Trotz des kühlen Wetters trägt er einen ärmellosen Kittel, sein protziges Muskelspiel imponiert den Männern gehörig.

      „Wo steht die tausendjährige Eiche, die uns den Weg versperrt?“

      Der Herkules muss der einzige Mann in der Kolonne sein, der nicht die Ursache des Stopps erkannt hat.

      „Du hast wohl geschlafen, du Goliath?“, fährt ihn Heinrich an, den das Protzen des Dicktuers beträchtlich stört, da es sich doch immer wiederholt. „Wir sind auf die Sorben gestoßen!“

      „Ha, die sollen nur kommen, denen schlage ich auf den Wanst, dass sie noch bis übermorgen laufen!“ Der Riese schaut selbstüberzeugt in die Runde.

      „Keinen sollst du prügeln“, beendet Hildebrand die Kraftmeierei und lässt seine flache Hand derb auf den nackten Oberarm des großen Kerls sausen, „wir wollen jemandem vorführen, dass wir nicht unbewehrt sind. Deshalb wirst du jetzt mit mir gehen, aber immer fünf Schritte hinter mir bleiben, und auf gar keinen Fall auch nur ein Wort sagen. Ist das klar?“ Darauf dreht sich der Älteste um und stapft davon. Johannes hat zwar das Gesagte verstanden, nicht aber recht den Sinn begriffen. Da ihm das Denken ein wenig schwerfällt, zuckt er nur mit den Schultern und folgt in angewiesenem Abstand.

      Als die beiden Männer bei Reinhold ankommen, erblicken sie an seiner Seite einen imposanten Mann in weißem Gewand. Über seiner Schulter liegt ein dunkelblauer Umhang, der von einer bronzefarbenen Fibel gehalten wird. Trotz seines hohen Alters steht er aufrecht in geradezu königlicher Haltung und überragt Reinhold um Haupteslänge. Der weiße Bart fällt wellig über die Brust, sein Haupthaar ebenso weiß und gewellt reicht bis tief in den Rücken. Ernst und unbeugsam schaut er aus wässrigen Augen den Ankommenden entgegen. Hinter ihm stehen seine Begleiter in derben Kitteln, gut bewaffnet mit Speeren und Schwertern, aber keinesfalls Gewalt verkörpernd.

      Hildebrand nickt dem augenscheinlichen Anführer der Sorben grüßend zu. Die Hände mit den Flächen nach vorn streckend dokumentiert er seine friedliche Gesinnung. „Ich grüße euch, in deren Land wir eingedrungen sind. Wir suchen keinen Händel mit euch, wohl aber eine Bleibe bei den Unsrigen, die schon hier leben.“ Während Reinhold übersetzt, nickt der Alte leise und streicht sich würdevoll über den Bart. Seine Antwort kommt ruhig und in melodischer Weise über seine Lippen. Wie von dem kleinen Bernhard angedeutet, ist die fremde Sprache tatsächlich von vielen Zischlauten durchsetzt und rollenden R.

      Reinhold bringt seinen Gefährten das Gesagte zum Verständnis: „Sie sind aus dem übernächsten Tal ostwärts gekommen, wo sie an einem Steinbach leben. Ihr Dorf liegt weitab von ihrem Volk, sie leben von der Jagd. Der Durchzug der Ungarn fügt ihnen immer wieder großen Schaden zu. Deshalb dulden sie gern unsere Krieger in ihrer Nähe, wo sie eine uralte Burg aus Vorzeiten bewohnen. Er will uns dorthin geleiten.“

      ‚Das wäre eine große Erleichterung für die letzte Etappe des Zuges, es entledigte uns der Erkundung des Weges‘, überlegt Hildebrand. ‚Aber es könnte ebenso gut eine Falle sein. Womöglich verschwindet unsere Kolonne in diesem Urwald auf ewig?‘ Er wirft Reinhold einen fragenden Blick zu. „Sie werden uns nicht erschlagen und sich unserer Wagen bemächtigen?“ Der Alte muss in Hildebrands Miene gelesen haben, dass dieser die Lauterkeit seines Anerbietens infrage stellt. So spricht er erneut zu Reinhold, der nun übersetzt:

      „Wir sollen ihm trauen, sagt er. Sie würden uns seit gestern beobachten und hätten sie uns überfallen wollen, wäre der Hang, an dem Rudolf verunglückte, die beste Gelegenheit gewesen. Ein Bote soll zu unseren Leuten unterwegs sein, sie würden uns gewiss jemanden entgegenschicken.“ Hildebrand wägt das Gehörte ab. Darf man dieses Wagnis eingehen? Immerhin sieht er sich in der Verantwortung für zwölf Familien und will nicht leichtsinnig sein.

      „Wir sollten auf das Angebot eingehen, die Zeit wird knapp“, sucht Reinhold die Zweifel zu nehmen, „die Besiedlung ist so spärlich hier, dass die Sorben kaum auf Hilfe von den eigenen Leuten hoffen können. So sind wir ihnen doch zahlenmäßig überlegen. Wenn nicht, haben wir ohnehin verloren.“

      „Da hast du wohl recht, doch dürfen wir sie auf keinen Fall an unsere Wagen heranlassen, sie sind unser einziger Schutz“, stimmt er zu. „Bitte sie, uns die Trasse freilegen zu helfen. Vielleicht gehen sie darauf ein.“

      Als Reinhold die Worte übersetzt, lacht der Alte breit und seine Begleiter schmunzeln verstehend.

      „So seid ihr Germanen, euer König drängt in unser Land bis zum großen Elbestrom, sodass ihr zu Recht befürchten müsst, nicht willkommen zu sein. Nun, wir lieben auch euren Karl König nicht sehr, doch leben wir weitab in der Wildnis. Wenn sich mehr Menschen hier ansiedeln, können wir uns besser gegen die Ungarn zur Wehr setzen. Also begrabt euer Misstrauen. Wir bleiben euch vorerst fern und machen den Weg frei“, lässt er wissen, hebt die Hand und wendet sich mit seinem Gefolge ostwärts.

      „Oje, nun ist er aber beleidigt!“, fährt es aus Hildebrand. Reinhold wehrt ab:

      „Ach wo, er weiß wohl, wie es in uns aussieht. Der blickt direkt in die Seele, wie Mutter Hildburga, und braucht eigentlich gar nicht unsere Worte. Bestimmt ist er ein Priester.“

      „Wie zu Hause der Pater Hermius?“, mischt sich Johannes in das Gespräch. „Der Mann sieht aber ganz anders aus, gar nicht so dunkel gekleidet und ein Kreuz trägt er auch nicht um den Hals.“

      „Eben“, spottet Hildebrand, „und das Haar ist nicht rasiert, sogar der Rosenkranz fehlt. Mein Gott, du Hohlkopf, das sind keine Christen!“ Der Lange blickt erschrocken hinter den Sorben her.

      „Was denn, das sind Götzenanbeter, so wie die alte Hildburga?“

      „Ach, Junge, lass unsere gute Hildburga aus dem Spiel. Sie ist vielleicht eine bessere Christin als wir alle!“, unterbricht ihn Reinhold. „Überdies: Wenn die Sorben Gott einen anderen Namen geben als wir, so bleibt er doch derselbe.“

      Johannes steht das Unverständnis deutlich ins Gesicht geschrieben. Zu unbeweglich ist sein Denken, als dass er die Worte begreifen könnte. Als Hildebrand abwinkt und zu den Wagen zurückgeht, folgen ihm Johannes und Reinhold, wobei der Ältere dem anderen erklärt:

      „Auch unser Volk war früher anderen Göttern zugewandt. Doch im Laufe der Zeit lernten wir, dass Wotan nur ein anderer Name für Gott ist. Von Jesus haben wir erst spät erfahren. Trotzdem waren wir immer gottesfürchtig. So mag es wohl bei den Sorben auch sein. Wir dürfen sie nicht verteufeln, sondern müssen sie für uns gewinnen. Schließlich wollen wir doch friedlich mit ihnen zusammenleben.“ Die Worte begreift der Große und nickt zustimmend.

      Die Fuhrleute haben sich bereits am ersten Wagen zusammengefunden. Die Frauen und Kinder bilden nicht weit von ihnen eine zweite Gruppe. Alle schauen gebannt auf ihren Führer, der recht ungehalten auf die Versammlung blickt.

      „Seid ihr nicht mehr gescheit?“, grollt er. „Ohne jede Obacht lasst ihr die gesamte Kolonne! Was glaubt ihr, wie schnell euer gesamtes Hab und Gut fort sein kann? Eindeutig war festgelegt, wie gesichert wird!“

      „Wird es ja auch!“, tönt eine helle Stimme aus dem Geäst. Überrascht richtet Hildebrand seinen Blick empor, wo

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