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      „Es passt dir wohl nie so recht, den Rat eines Weibes einzuholen?“ Der Gerüffelte schmunzelt das kräftige Weib gutmütig an.

      „Nee, es passt mir überhaupt nicht, wenn die Weiber in Männersachen reinreden. Trotzdem versucht es meine Frau immer wieder.“ Dann wird er ernst: „Es ist mir völlig einerlei, von wem ein Rat kommt, wenn er nur gut ist. Man muss halt darauf achten, dass der Rat auch tatsächlich gut ist.“

      Die drei gehen zum zweiten Wagen. Rudolf sitzt allein auf dem Bock und blickt den Ankommenden entgegen. Von Hildburga, die sonst immer an seiner Seite sitzt, ist nichts zu sehen. Gunhild schaut zu ihm auf und kann sich nicht verkneifen, den zu Starrheit Verdammten zu necken.

      „Na, du geschnitzter Holzscheit, deine Begleiterin ist wohl auf und davon, weil du ihr nicht elegant genug den Hof machst, wie?“

      „Halte dein loses Maul. Meinst du, es macht Spaß, wenn man sich kaum bewegen kann? Trotzdem bin ich froh über den straffen Verband, sonst wäre ich ausgelaufen wie ein leckes Fass. Hildburga hat mich fein zusammengeflickt, doch nun liegt sie unter den Fellen, weil sie die Kälte nicht mehr verträgt.“

      Hildebrand schiebt sich an seinen Begleitern vorbei und legt die Hand auf das Kastenbrett.

      „Wir brauchen Mutter Hildburga. Wenn uns die Ideen ausgehen, muss halt die Weisheit der Alten herhalten.“ Und lauter setzt er nach: „He, Mutter Hildburga, zeige dich, du wirst gebraucht!“ Unter der Plane ist das Rascheln der Decken zu hören, gleich darauf zeigt sich das runzelige Gesicht. Kalkweiß bildet es zum dunklen Schultertuch einen starken Gegensatz, der es noch spitzer erscheinen lässt, das silberne Haar liegt in dünnen Strähnen am Kopf, die Augen blinzeln mühevoll in das grelle Tageslicht.

      Gunhild stößt erschrocken die Luft durch die Nase.

      „Oh Gott, Hildburga, wie siehst du denn aus? Du bist ja krank!“ Keuchend hüstelt die Alte, als verschließe ihr ein Kloß den Hals, würgt sie hervor:

      „Es scheint mich erwischt zu haben. Das muss das kalte Fieber sein. Mir dreht sich alles vor den Augen.“ Sie hustet krächzend und fährt heiser fort: „Seit Jahren war ich kerngesund. Ausgerechnet jetzt holen mich solche Beschwerden ein, es ist ein Jammer!“ Rudolf legt ihr behutsam die Hand auf die Stirn.

      „Heiß bist du nicht. Du wirst dich unterkühlt haben“, stellt Gunhild besorgt fest. „Du brauchst etwas Heißes zu trinken und musst dich wieder hinlegen. Nicht auszudenken, wenn du so kurz vor dem Ziel schlapp machst.“ Hildebrand unterbricht das Gespräch:

      „Du kannst gleich wieder unter deine Decken kriechen, Alte. Matthias hat einen Kater mit, der kann dich wärmen. Der ist zwar alt wie Methusalem, aber da passt er ja zu dir.“

      „Unsinn“, brummt Reinhold, „ich habe heiße Steine geladen, das habe ich mir schon vor Jahren zur Gewohnheit gemacht. Zwischen den Fellen hält ihre Wärme lange an. Dorthin legen wir Mutter Hildburga!“ Die Kranke nickt, die Idee behagt ihr.

      „Hast du das von den Franken gelernt oder von den Sorben?“

      „Weder das eine noch das andere. Ich habe es aus dem Lothringischen.“

      Hildebrand will sich nicht schon wieder aus dem Gespräch drängen lassen und stellt schnell seine Frage zu den Bauten auf dem Berg. Da schließt Hildburga die Augen und beginnt mit rauer Stimme leise zu deklamieren:

       „An des Bächleins breiten Auen

       konnten weit nach Ost sie schauen.

       In Nord und Süd des Waldes Hängen

       konnten nicht das Tal beengen.

       Dort bauten sie auf einer Höh’

       als fortgeschmolzen ward der Schnee

       auf fels’gem Grund und auf der Stell

       nach altem Brauche ein Kastell.

       Ein Trupp von Kriegern blieb nun dort,

       die andren zogen ostwärts fort.

       Sie zogen einen halben Tag

       nicht mehr es wohl gewes’ sein mag,

       sie kamen in ein ries’ges Tal

       mit Fluss und Bach in großer Zahl.

       Auf dem hohen Bergsporn dann

       legten sie die Feste an,

       wie es ihnen war hienieden

       von König Dagobert beschieden.“

      Erschöpft hält sie inne. Hildebrand zwirbelt gedankenvoll seinen Bart. ‚Es gab also zwei Kastelle, dann muss noch eines im Osten sein. Also scheinen uns die Sorben richtig zu führen‘, dachte er.

      „Bringt Mutter Hildburga zu euch auf den Wagen, Reinhold. Dein Sohn soll sich zu Rudolf setzen, damit der jemanden zur Seite hat. Wir fahren weiter. Also hurtig, solange noch die Sonne scheint.“ Mit einem einzigen Satz ist Reinhold auf dem Wagen, umfasst mit seinen starken Armen Hildburga und als wäre sie ein Blatt im Winde, vollführt er mit ihr einen Halbkreis in der Luft und senkt die Kranke federleicht in die Arme Gunhilds, wo sie einen sicheren Halt findet. Er springt flugs wieder herab und geleitet seine Frau mit der zerbrechlichen Alten zu seinem Gefährt.

      Bevor Hildebrand sein Fuhrwerk erreicht hat, treten Heinrich und Theobald an ihn heran.

      „Ach, das habe ich ganz vergessen!“, entfährt es dem Kolonnenführer. Er hatte doch Reinholds Sohn geschickt, die beiden zu holen. Schnell klärt er die Freunde auf und während sie an ihre Plätze eilen, holpern die ersten Wagen bereits los und rollen langsam zu Tal. Ludwig, der nun neben Rudolf auf dem zweiten Wagen sitzt, schaut neugierig auf die Landschaft.

      In seiner Reife zwischen Kind und Manne stehend, betrachtet er alles von beiden Seiten aus, aufgeregt und neugierig gleich einem Knaben, Vor- und Nachteile abwägend wie ein Mann. Dabei kommt ihm zugute, dass er von Kindesbeinen an auf dem Händlerwagen seiner Eltern mitgefahren war und die Welt vom fernen Lothringen bis hin zur Elbe, vom Meer bis zu den Alpen gesehen hat. So ist er gegenüber denen im Vorteil, die nur ihr Tal und dessen kleinen Umkreis kennen und nun unversehens in der Fremde sich befinden. Unablässig tasten seine wachsamen Blicke die Unebenheiten der Senke wie auch den Waldrand ab.

      „Eine herrliche Landschaft ist es“, wendet er sich Rudolf zu, „es ist doch zu schade, dass sie noch nicht unter den Pflug genommen wurde.“ Rudolf ist es ganz lieb, sich mit dem nur wenig jüngeren zu unterhalten. Hildburga mag eine liebenswerte Begleiterin sein, aber sie ist eben doch eine alte Frau.

      „Weißt du, Ludwig, wenn die Sorben es gekonnt hätten, wären sie sicher hier sesshaft geworden. Aber wie sollen sie mit ihren Holzpflügen die Baumwurzeln dem Boden entreißen? Wir können das mit unseren Eisengeräten, aber mit Holz? – Nein, das geht nicht.“

      „Da mag was dran sein, aber in der Aue sind doch nicht so viele Wurzeln“, hält der Junge dagegen. Rudolf kann den Bauern in sich nicht leugnen.

      „Sicher, in der Aue hast du kaum Wurzeln. Doch fallen andere Unwägbarkeiten ins Gewicht: Denn im Frühjahr kann sich das kleinste Bächlein rasch in einen reißenden Strom verwandeln, der das Ackerland überschwemmt und die Saat fortspült. Gleiches kann dir bei einem heftigen Regenguss widerfahren. Kein vernünftiger Mensch will sich und sein Gut dieser Gefahr aussetzen.“

      „Stimmt, direkt am Fluss sieht man nur wenige Felder, es sei denn, ein Wall wurde aufgeschüttet“, er überlegt kurz, „ich glaube, einen Deich haben sie es genannt. Der hält das Wasser vom Acker.“ Davon hat Rudolf schon gehört, aber gesehen hat er solch einen Deich noch nie. Bei den Friesen soll es welche geben, am Meer

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