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Jahren setzte sie die Firma auch in den Sand und der alte Firmeninhaber war danach wieder der Chef. Auch hier sollte das Verfahren mangels Masse eingestellt werden. Einer der kleinen Chefs einer geprellten Firma, die ihre Außenstände nun unwiderruflich den Bach herunter gehen sah, hatte einen Schwager bei einer Bank. Dieser fand heraus, dass sein Chef noch über ein weiteres Konto mit 80.000 Euro verfügte, genau dem Zahlungseingang der letzten Baustelle. Dieses machte der kleine Chef bei Gericht geltend. Das Konto wurde nun in die Konkursmasse einbezogen und es kam nicht zu einer Einstellung mangels Masse. Hier zeigt sich grenzenlose Raffgier. Wie die Arbeitnehmer oder die geprellten Lieferanten abschneiden, interessiert herzlich wenig. Oder sollte man das „herzlich“ in diesem Zusammenhang verbieten?

      Abends fuhr Frank-Peter noch in den Garten, die Pflanzen brauchten dringend Wasser, vor allem diejenigen, die in Kübeln standen. Hier kam er ins Gespräch mit der Tochter seines Gartennachbarn Ulrike. Sie ist Kontrolleurin bei den Leipziger Verkehrsbetrieben.

      „Ich denke, die Kontrolleure sind von einer Fremdfirma?“, fragte Frank-Peter. „Ja, aber diese ist eine 100-prozentige Tochter der Verkehrsbetriebe“. Frank-Peter erfuhr, dass mit der Ausgliederung der Kontrolleure in eine Tochtergesellschaft 1997 der Lohn um 300 Euro verringert wurde. Urlaubsgeld wurde gestrichen und das Weihnachtsgeld wurde in 1/​12-Teilen jeden Monat gezahlt, aber nur, wenn man nicht krank ist. Als erstes nach diesem Lohneinschnitt musste sie ihr Auto verkaufen. Zum Glück bekamen sie im Jahr 2000 einen Haustarifvertrag. Die neuen Kollegen erhalten 800,- Euro im Monat, sie gerade einmal 100 Euro mehr, aber das seit dem Jahr 2000. Jede Lohnerhöhung der „neuen“ Kollegen wird aufgrund des Haustarifes bei ihr nur umgerechnet.

      „Seit nunmehr 10 Jahren mit dem gleichen Einkommen, aber alles herum wird ständig teurer!“, schimpfte sie. „Ich weiß nicht, wie lange sich die Leute das noch gefallen lassen!“

      „Noch lange“, sprach Frank-Peter, „noch lange. Für eine Solidarisierung untereinander geht es den Leuten ja noch zu gut“.

      „Und dann wissen sie nicht, was sie machen sollen“, ergänzte die Frau, die die 50 schon ein Weilchen erreicht hatte.

      Am Donnerstag kam der Chef auf die Baustelle. Er war mit dem Fortgang der Arbeiten sehr zufrieden, obwohl Frank-Peter andere Tempos gewohnt war. Hier war auch nicht jeder Handgriff planbar und die benötigte Zeit mit anderen Leistungen nicht vergleichbar. Er sprach Frank-Peter gleich mit „du“ an und verkündete: „Also, du wirst mindestens vierzehn Tage hier gebraucht.“ Beim Frühstück holte Thilo Eckert einen Brief aus der Tasche. „Mein Lohnzettel“, verkündete er. „Du hast doch bestimmt einen zweistelligen Stundenlohn?“, fragte Frank-Peter. „Bei meinem vorherigen Arbeitgeber hatte ich 8,40 Euro, jetzt habe ich 8,20 Euro“, berichtete Thilo Eckert und zeigte Frank-Peter seine Lohnbescheinigung. Auszuzahlender Betrag 1044 Euro, konnte Frank-Peter lesen. „Ist es nicht komisch, dass die Elektriker auf den Baustellen den niedrigsten Lohn haben, aber die fundierteste Ausbildung nachweisen müssen?“, begann Thilo Eckert. „Jeder Trockenbauer, der in vierzehn Tagen angelernt wird, bekommt mehr!“ Thilo Eckert kannte unendlich viele Witze. Damit lag er mit Frank-Peter gleichauf und die Arbeit verging wie im Fluge, auch wenn das schwül warme Wetter die ganze Woche körperlich von ihnen viel abverlangte. Selbst Freitagmittag war es noch 35° C und die Luft im großen Hörsaal, wo die Kabel gezogen wurden, stickig. Jedes einzelne Kabelpaar, das gezogen werden musste, war eher eine leichte Aufgabe. Nachdem aber pro Tag zwei Kilometer Leitung gezogen worden waren, merkte man jeden daran beteiligten Muskel. Bis Dienstag zog Frank-Peter mit seinem Kollegen acht Kilometer Datenleitung im großen Hörsaal, wobei Frank-Peter die Position auf dem Gerüst bekam. Diese acht Kilometer wurden zwar von zwei Kabeltrommeln abgespult, aber Frank-Peter musste wie bei Klimmzügen auf dem Gerüst jeden Meter Stück für Stück von den Trommeln ziehen.

       Ein Bündel Datenkabel bei der Verlegung

       Der große Hörsaal mit dem Raumgerüst. Oben links sind die Datenkabel erkennbar.

      Eines Tages kam der Elektroplaner in den Hörsaal. Das war gut, denn es gab einige Detailfragen zu klären. Nebenbei bemerkte Frank-Peter: „Das ist ja eine riesige Baustelle. Gibt es auch schon einen Fertigstellungstermin?“ Der Ingenieur winkte ab. „In der Tat, die Baustelle ist gewaltig. Aber wir bauen nicht nach Termin, sondern nach Finanzen. Immer wenn Geld da ist, wird gebaut. Und gegenwärtig gibt es wieder Fördermittel!“ Dieses bauen nach dem Geldbeutel ist eine riesige Geldvernichtungsmaschine. Allein im großen Hörsaal ist ein Raumgerüst seit März aufgebaut. Betrachtet man nur die Mietkosten dieses Gerüsts, von den anderen Baustelleneinrichtungen ganz zu schweigen, ist schnell klar, dass es hier eine Menge Leute geben muss, die sich eine goldene Nase verdienen.

      Am Mittwoch wollte Frank-Peter seine Stundezettel vorbereiten. Er hatte eine Folientasche, in der neben einem Block ein Notizbuch und die Stundezettel verstaut waren. Der Schreck war groß, als Frank-Peter erkennen musste, dass die vermeintliche Reserve an Formularen nach Entnahme der vergangenen Woche nur der leere Block war. „Scheiße“, entfuhr es ihm. Die Stundenzettel als Formulare für den Tätigkeitsnachweis waren alle. Es war bereits 17 : 00 Uhr. Wenn er anruft und sich neue schicken lässt, ist nicht sicher, dass diese auch am Donnerstag im Briefkasten stecken werden. Also rief Frank-Peter bei seiner Zeitarbeitsfirma an und erkundigte sich, wie lange noch jemand im Büro anzutreffen sein würde. Man versprach, auf Frank-Peter zu warten und so fuhr er nach Teuma, um neue Stundenzettel in Empfang zu nehmen. Dort erfuhr er von der Chefin, dass sein derzeitiger Arbeitgeber mit ihm sehr zufrieden sei und bereits eine Verlängerung des Einsatzes von Frank-Peter beantragt habe. „Die andern waren doch bestimmt auch alle zufrieden?“, wollte Frank-Peter wissen. „Ja, sehr sogar, vor allem der aus dem Westen. Irgendetwas müssen sie dem gesagt haben. Er fragt jedes Mal nach Ihnen!“

      Die Lohnüberweisung war das reinste Desaster. Für die Arbeit des ersten Monats, davon vierzehn Tage Montage in den alten Bundesländern, gab es gerade einmal 83 Euro mehr, als das Arbeitslosengeld betragen hatte, rund 885 Euro. Diese 83 Euro wurden aber mehr als aufgebraucht durch die damit verbundenen Unkosten, wie Verpflegungskostenmehraufwand, Fahrkosten zu den einzelnen Arbeitsstellen (auch wenn mit dem Jahressteuerlohnausgleich ein kleiner Teil als Rückerstattung wieder zurück kommt), den Dauerbetrieb der Waschmaschine am Wochenende für die Arbeitssachen, Arbeitsschutzschuhe und nicht zu unterschätzen die fast wöchentlichen Fahrten zur Zeitarbeitsfirma, natürlich in der Freizeit. Für diese „immense“ Lohnzahlung gibt es auch noch einen Haken: fast eine weitere Hälfte unbezahlter, aber erforderlicher Stunden als Fahrzeit, unbezahlte Anfahrten zu den Großhändlern, Wartezeiten, weil ein Monteur verschlafen hatte usw. Die privaten Belange wurden der Arbeit völlig untergeordnet und blieben dabei auf der Strecke. In dieser Konstellation kommt Frank-Peter zu dem Schluss, dass er lebt um zu arbeiten, nicht umgekehrt, wie ihm schlaue Personaltrainer in unzähligen Schulungen einzureden versuchten. Zu den Fahrkosten hatte Frank-Peter vor Jahren einmal eine interessante Studie des ADAC gelesen. Demnach sind die Spritkosten nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Kosten. Fahrzeugversicherung, Unterhaltungskosten, Abschreibung …, wenn Frank-Peter dieses alles in seine Rechnung einbezieht, muss er zwangsläufig feststellen, dass sich die Arbeit nicht lohnt. Mit dem realen Nettolohn, also abzüglich der oben angeführten umfangreichen Nebenkosten, liegt Frank-Peter mit seinem Einkommen deutlich unter Hartz IV. Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, dass für den ersten Monat eine Woche fehlt, der Start war am 07. 06. 2010! Trotzdem stellt sich die Frage, ob sich Frank-Peter die Arbeit überhaupt leisten kann? Legt er sich dagegen zu Hause in seinen Sessel, bezieht Hartz IV (sofern er bezugsberechtigt wäre), hat er alle diese Ausgaben nicht und es bliebe am Ende sogar noch mehr übrig. Er könnte dann auch mit Schwarzarbeit hier und da ein paar Euro hinzu verdienen. Der Markt dafür ist riesengroß. Wenn er, wie er später noch feststellen wird, offiziell bei einem Kunden einen Schalter wechselt, ist eine Anfahrtspauschale, mindestens eine halbe Stunde Arbeitszeit und die zu vernachlässigenden Materialkosten fällig. Alles in allem sind das etwa 70 Euro. Für 25 Euro wechselt Frank-Peter diesen Schalter als Schwarzarbeit. Es wird immer gesagt, Schwarzarbeit macht die Wirtschaft kaputt. Das trifft bestimmt dort zu, wo ganze Grundstücke

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