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Meter oder mehr, liegt ein S-förmiges Tal, durch das sich ein Fluss schlängelt, an dessen Ufern es hellgrün leuchtet. Der Rest ist bewaldet und an drei Seiten wird die Talsohle von Zweibis Dreitausendern bedrängt, deren Gipfel weiße Kappen tragen, während ihre Flanken farbenfroh leuchten. Diese strahlenden Regenbogenfarben – rot und gelb dominieren – bei diesem Kaiserwetter „auf Augenhöhe“ zu sehen ist ganz sicherlich ein Privileg, und eins, das wir diesen Pferden zu verdanken haben. Der Wind pfeift hier oben zwar ganz ordentlich, und auch die Pferde haben sich längst zu einem Halbrund formiert und ihr Hinterteil gegen ihn gedreht, doch auf den nächstmöglichen Gipfel müssen wir noch rauf. Der dortige Rundblick ist grandios, und unter uns entdecke ich mit dem Fernglas auch noch eine Grizzlymutter mit doppeltem Nachwuchs, doch ein gutes Foto ist aus meiner Position nicht möglich. Mitgenommen hätte ich es sehr gern, aber irgendwann wird es schon noch einmal richtig klappen. Im Nachhinein musste ich volle acht Jahre warten, aber dann saß ich in Alaska mitten unter ihnen und bekam auch „meine“ Grizzlys für meine Bilderwand.

      Gegen 14 Uhr wird es Zeit wieder aufs Pferd zu steigen, und mit dem Abstieg in ein Hochtal den Heimweg anzutreten. Dort warten dann einige Kilometer in nordöstlicher Richtung, denn die heutige Tour schlägt einen Kreis um unser Lager, und das Hier und Dort trennt auch noch ein verschneiter Pass. Aber Paul kennt die Gegend und weiß, was er den Pferden zumuten darf. Also wieder nach oben und dort, wo der Schnee beginnt, wird abgesessen. Im Gänsemarsch führen wir unsere Vierbeiner etwa zwei Kilometer schräg über das große Schneefeld hoch zum Pass. Neuschnee liegt nur obenauf, darunter war er fest, so dass die Pferde, die gelassen blieben wie bisher auch, nur geringfügig eintreten. Dennoch halten wir die Abstände zwischen ihnen größer als sonst, aus reiner Vorsicht. Am Ende erwies sich der Aufstieg zwar als problemlos und eisfrei, doch ist uns der feste Boden, den wir am Pass wieder unter Hufen und Füßen haben, schon wesentlich angenehmer. Der Rest des Rittes ist reiner Genuss. Über die Flanken einiger Hügel, bunte alpine Wiesen und durch lichten Fichtenbestand tragen uns die Pferde wieder hinunter in unser Tal am Fuße der Schwarzen Berge, wo im Camp Kaffee und Kuchen auf uns wartet.

      Anschließend führt der Weg zum Zelt, und von dort zum Bach, denn jenseits der Bergkuppen war es heute ziemlich heiß, und der Schweiß muss runter. Die Füße im rauschenden Gewässer signalisieren zwar sofort „saukalt!“, doch die Antwort ist militärisch: „Macht nichts, Luft anhalten, hinsetzen und abduschen!“ In 30 oder 40 Sekunden ist die Prozedur erledigt, und wieder trocken im Trainingsanzug fühle ich mich wie neu geboren und freue mich auf den Abend am Lagerfeuer. Dort wird es dann auch wesentlich später als gestern, denn auch der sehr schweigsame David taut langsam auf, erzählte von diesem Land, seiner Arbeit, den Ureinwohnern, und seiner eigenen indianischen Herkunft. Dazu eine sanfte Landschaft, die vor dunklem Wald auf gelb-grünlich schimmernder Wiese friedlich grasenden Pferde und ein wenig Rotwein am knisternden Feuer, was will man eigentlich noch mehr? Viel geredet haben wir an diesem lauen Sommerabend nicht, aber lange und aufmerksam zugehört, bis in die Dunkelheit.

      Mit gepackten Duffel-Bags gehen wir am nächsten Morgen zum Frühstück. Die Zelte haben noch Zeit, mit ihnen wird eines der letzten Pferde beladen, wenn das Lager komplett abgebaut und alles auf den Packpferden verstaut ist. Der heutige Weg wird durch den Young Creek zum Crystall Lake führen, und dort weiter in das Mackenzie Valley, in dem „Dave Dorseys Horse Camp“ das Tagesziel ist. Das Tal ist wieder wunderschön, das Camp nicht viel anders als vorher. Lediglich ein großes Holzschild mit eingebrannter Schrift weist darauf hin, und Joyce’s „Küchentisch“ gehört zur Festausrüstung. Genau genommen ist es nur der Rahmen, denn zwischen zwei gegenüberstehenden dicken Bäumen wurden zwei waagerechte Stangen festgebunden. Eine vor, die andere hinter den Stämmen, und auf diese legt David zwei Böden, die eine abwaschbare Tischdecke verschönert. An den überstehenden Stangenenden finden die Wassersäcke ihren Platz, aus denen der Ansaugschlauch die Filteranlage bedient, die ihrerseits den Eimer füllt. Der Rest ist schnell erledigt: Küchenkisten griffbereit zurechtrücken und öffnen, zwei Hackklötze heranrollen, getrennt voneinander aufstellen und die Lücke zwischen ihnen mit einem Brett schließen, damit Tiegel und Pfannen ihren Platz haben. Der Koch kann loslegen. David und Paul versorgen die Pferde, wir helfen hier und dort, bauen unser Zelt auf, und nach der Dusche im Bach heißt das gemeinsame Ziel wieder Lagerfeuer, wo der Stuhl ein Baumstamm mit Satteldecke, und der Tisch die eigenen Knie sind. Als ich dort ankomme, stehen aber fast alle Mann um Joyce herum an deren Küchenplatz und schauen „nach draußen“. Zu mir gewandt meint sie „schau, da draußen, das ist mein Blumengarden“. Und tatsächlich hat man den Eindruck durch ein Fenster zu sehen, denn die beiden hochstämmigen Kiefern, die den „Küchenarbeitsplatz“ fixieren, vermitteln diesen und lenken den Blick auf die bunte Wiese außerhalb des Camp-Wäldchens. Dort blühen Tausende der farbenprächtigen Indian Paintbrushs, die in ihrer aufrechten Haltung bunten Farbpinseln ähneln. Das dominante Rot und Gelb passt auch richtig gut zum Blau der Lupinen, die eine unsichtbare Hand als Kontrast zugefügt hat, während die weißen Lilien dem Gesamtarrangement auch einen Tupfer Eleganz verleihen. Es ist wirklich ein wunderschöner Blumengarden!

      Unterwegs hat sich heute auch gezeigt, wie schnell das Wetter im Küstengebirge umschlagen kann. Teilweise hat es eiskalt gepfiffen und ordentlich geschneit, dann schien wieder die Sonne. Und je höher wir kamen, desto stärker wurde auch der Nebel, so dass wir den Mackenzie-Pass streichen mussten, denn sehen würden wir dort rein gar nichts. Stattdessen machen wir einen Ritt durchs Tal, bei dem die beiden Collies zwei Bären und einige Elche aufspüren. Als David sie zurückpfiff, dreht nur Rio um. Willie hat es entweder überhört, oder folgt seinem Jagdtrieb. Da half dann auch nicht, dass er mit eingezogenem Stummelschwanz später reuevoll zurückkehrte und sich vor David hinlegte. Abseits im Wald, wohin die beiden gegangen waren, folgte die Strafe auf den Fuß. Uns tat das unendlich leid, denn dieser quirlige, liebe Kerl hatte unsere Herzen längst erobert. Wir verstanden aber auch unseren Gastgeber, der später von sich aus erklärte: „Das kann man nicht straflos akzeptieren. Er gefährdet sich selbst, könnte von Bären getötet werden, und die Gruppe braucht beide Hunde.“ Das war aber auch der einzige Ausrutscher. Unterwegs verbellten diese beiden lustigen Gesellen Bären und kontrollierten abwechselnd den ganzen Tross, von vorn bis hinten, und wieder zurück. Und sie sind stets zur Stelle, wenn jemand das Lager verlässt, gleich, ob am Tag oder in der Nacht, und ob der Weg zum Bach, zum Filmen führt, oder „für kleine Jungs“ ansteuert. Willi liebt ganz besonders die Gänge zum Bach, springt dort sofort hinein, dann auf den nächstbesten Stein und wartete darauf, „ein Stöckchen“ aus dem Wasser holen zu können. Immer wieder, unermüdlich, und auch bei Regen. Was ihre kleinen Pfoten an Kilometern abspulen, ist unglaublich. Nie betteln sie, nie betreten sie das abgesteckte „Wohnzimmer“, sondern warten immer am Rande bis auch sie an der Reihe sind. Und vor ihnen kommen stets die Pferde, dann die Menschen, sie erst ganz am Ende, wenn alle anderen schon satt und zufrieden sind. Willi und Rio sind zwei ganz treue Seelen, die wir leider nie wiedersahen, denn acht Jahre später, als wir im Eagles Nest meinen Geburtstag feiern, springen zwei neue Begleiter aus Davids Pickup, und auch Richard und Escort werden wir nicht wieder begegnen, denn auch sie sind schon im Pferdehimmel.

      Nach getaner Hausarbeit wie abwaschen, abtrocknen, zusammenräumen, Holz sägen oder hacken, damit auch dem nächsten Trupp entsprechender Vorrat zur Verfügung steht, finden wir uns alle wieder am Lagerfeuer ein, erzählen und reden über Gott und die Welt, und mit der Zeit taut auch David- schweigsam, nachdenklich, nichts dem Zufall überlassend – immer mehr auf. In seinen Adern pulsiert noch viel Indianerblut, denn sein mütterlicher Großvater war der angesehene Häuptling Chief Squinas, und auch sein väterlicher Großvater, Lester Dorsey spielte in jenen Tagen eine wichtige Rolle. Seine Großeltern gehörten der Gruppe der „Carrier“ an, für die er noch immer ehrenamtlich mitarbeitet und im Winter das Sägewerk am Laufen hält. Seine Großväter waren zu einer Zeit aktiv, als sich drei verwegene Cowboys von Anahim aus durch die mythischen Itcha Illgachuz Berge und das unbekannte Land kämpften, um weit dahinter Millionen Hektar Grasland im Cariboo-Chilcotin zu „öffnen“ und 1937 im Norden von British Columbia die „Frondier Cattle Company“ zu gründen. David, mittelgroß und kräftig, ist einer der zupacken kann und muss. Die wenigen dunklen Haare, die dem Endvierziger verblieben sind, bedeckt ein zusammengeknotetes buntes Tuch, das er unter dem breitkrempigen Westernhut trägt, und aus seinem gutmütigen Gesicht spricht unverkennbar der Indianer. Buntes Hemd unter brauner Windjacke, die Hosen in festen Gummistiefeln

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