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los, denn Heather konnte, oder wollte, sich mit dem großen Appalosamischling Richard nicht anfreunden, und unbedingt tauschen. Naja, reiten konnte sie genau so wenig wie die übrigen drei aus Calgary; das gaben sie zwar nicht zu, aber das war so. Sie hatten nur keine Angst und hier und dort in ihrem Leben, aus Freude an der Sache, mehrfach auf Pferden gesessen. Vielmehr wurde bei diesem Ritt aber auch nicht verlangt, zumal diese „Mountain-Horses“ erstklassig ausgebildet waren und der Reiter ihnen nur den Weg zeigen musste. Also landete eben ich bei diesem Schimmel, zu dem Joyce meinte „der ist zwar etwas faul und eigensinnig, aber den bekommst Du schon flott“. Ein schönes Pferd ist Richard nicht, eher etwas klobig, ziemlich groß und stabil. Es passt aber alles gut zusammen, und seine „Bammelohren“ verrieten, dass er eigentlich ein guter Charakter sein müsste. Das war auch so, und er war auch zuverlässig und äußerst clever. Er wusste sehr schnell wer „oben saß“, denn nach kurzen Meinungsverschiedenheiten ließ er es auf keine Diskussion mehr ankommen und marschierte wie ein junger Spund. Als ich mich nach diesem Ritt von ihm trennen musste, ist mir das so schwer gefallen wie kaum bei einem anderen Pferd zuvor.

      Inzwischen ist alles verpackt, der Transporter mit der winkenden Linsay am Steuer rangiert Richtung Straße, und das letzte der in Dreiergruppen gehenden Packpferde, ein vierjähriger Neuling auf größerer Tour, wurde mit Äxten, Motorsäge und Benzinkanistern beladen. Die beiden Gewehre bleiben bei David und Paul, das Mittagssandwich steckt in der Satteltasche und das Regenzeug bleibt hoffentlich nicht nur heute hinter dem Sattel festgeschnallt. Die Karawane aus achtzehn Pferden, neun Reitern und den beiden Border Collies Willie und Rio kann starten, mit David Dorsey an der Spitze Richtung „Abenteuer pur“. Für uns ist es der erste Trailritt überhaupt und wir sind gespannt, was uns dabei erwartet, denn mein Sinn steht mehr auf „Gas geben“, auf Rennpferden. Und wenn schon „lange Bügel und Westernsattel“, dann hatte ich ursprünglich eher an eine Ranch in Saskatchewan oder Montana gedacht, denn die Prärie lässt auch ordentliches Galoppieren und Springen zu. Im Tweedsmuir Park kann man vielleicht einen Bach oder Graben springen, aber generell erwandert man hier unerschlossene Natur zu Pferd, bis hinauf ins Hochgebirge. Und um es vorweg zu nehmen, es war auch ohne „Vollgas“ ein großartiges Erlebnis.

      Nach wenigen Minuten wird aus dem Weg ein schmaler Pfad, kurz darauf ist auch dieser verschwunden. David gibt, mit der ersten „Packtrain“ im Schlepp, die Richtung vor, die anderen Pferde folgen im Gänsemarsch, wobei sich Paul mit seinen drei Packpferden zwischen uns Gästen einsortiert hat und Joyce mit ihren Lastenträgern am Ende folgt. Nur Willie und Rio patrouillieren hin und her und legen wohl das Vier- oder Fünffache an Kilometern zurück. Im Tal hatte der Reiter sehr wenig zu tun, doch als David in Richtung Waldhang abbiegt, heißt es aufpassen. Der Wald ist dicht, die Bäume stehen eng. Jetzt muss sich jeder seinen eigenen Weg suchen, mehrere Stunden im Zickzack bergauf. Für unsere Pferde ist der Weg zur Baumgrenze und in alpines Gelände harte Arbeit, und die Packpferde müssen oft nach einem besseren Durchschlupf suchen und kleine Umwege in Kauf nehmen. Bei uns Reitern ecken die Knie auch gelegentlich an, und den einen oder anderen Ast drückt man besser weg, bevor er zurückschwingt. Mehr als die Richtung gebe ich meinem Pferd nicht vor, denn es weiß ganz genau, wohin es seine Beine setzen muss. Der Wald hier ist kein europäischer, sondern unberührte Wildnis. Und mit umgestürzten Baumriesen, auch kreuz und quer übereinander liegend, Geröllfeldern, Felsbrocken, Wurzeln, dichtem Unterholz und hohen Farnen kennen sich diese „Mountain-Horses“ bestens aus. Zwischendurch hält David zwar oft an, um den Pferden Verschnaufpausen zu geben, aber dennoch geht es flott vorwärts, bis wir am frühen Nachmittag ein Hochplateau erreichen und hinter einer Baumgruppe eine Rast einlegen, bei der die Packpferde aber nicht entlastet werden. Um uns herum Latschenkiefern, Sträucher, blühende Lupinen und andere Frühlingsblumen, verstreute Fichten, einzeln oder in Gruppen und vom Wind zerzaust, und kleine Schneeflecken auf nahen Hügeln und in Mulden. Hier und dort schimmerte ein kleiner, flacher See, ganz in der Nähe huscht ein Bach als Wasserfall über seine Gesteinskante, und weit am Horizont leuchten die weißen Spitzen der Küstengebirge. Und nachdem die Pferde am Bach ihren Durst stillen konnten, haben auch die drei bis vier Liter Kaffeewasser im „Billy“, der großen, schwarzen Eisenkanne, über dem Lagerfeuer gekocht, so dass es Zeit ist, Brote und Obst auszupacken, die Tasse zu füllen und sich einen Stein als Sitzplatz zu suchen.

      Nach einer knappen Stunde mahnt David zum Aufbruch, und wir reiten nun im alpinen Gebiet durch die „Schwarzen Berge“. Für die Pferde ist es leichter, und der freie Blick erfasst auch den Tsitsuti Peak, die höchste Erhebung der Rainbow Mountains, doch bis dorthin ist es noch weit. Hier und dort umgehen wir sumpfige Stellen, reiten in den Tälern durch dichte, hohe Weidenbüsche, die die Reiter meist komplett verdecken. Durch sie wird aber ebenso direkt geritten, wie durch Bäche und Flüsse. Das gilt erst recht für die blühenden Bergwiesen, auch wenn mir die bunte Blumenpracht richtig Leid tut. Unsere Pferde denken da ganz anders, denn sie haben eine Vorliebe für Lupinen und schnappten auch während des Gehens immer wieder nach ihnen. Wir sind aber rundum zufrieden, lassen uns einfach dahintragen, genießen den Moment, die herrliche Natur und ihre Stille, die nur vom Schnauben der Pferde und dem Knirschen des Sattelleders unterbrochen wird. Und mit jedem Pferdeschritt rückt die Zivilisation etwas weiter weg, die Natur näher heran. Man wird aber gleichzeitig aufmerksamer und sieht viele kleine Dinge, an denen man im hektischen Alltag achtlos vorübereilt. Richtig angekommen ist man in Kanada aber erst dann, wenn sich die Weite auch in den eigenen Gedanken breit macht. Doch das scheint bei uns recht schnell zu gehen, denn wir fühlen uns schon jetzt so richtig wohl. Gegen Abend biegt David in ein kleines Wäldchen ein, dass am rechten Talhang unser nächtliches Quartier sein wird. Viele Fotos und Filmmeter bringen wir von diesem ersten Tag nicht mit, doch lag das nicht an den Motiven, sondern daran, dass der Weg das Ziel war, und man nicht überall anhalten kann.

      Im Wäldchen empfängt uns eine Lichtung, und dort verraten vier dicke, quadratisch um die Feuerstelle angeordnete Baumstämme das „Wohnzimmer“, in das auch gleich Leben einziehen wird. Vorerst sind aber die Pferde an der Reihe. Trensen abnehmen, an einem Baum anbinden und absatteln. Kontrolle und Pflege folgen später, wenn David und Paul die Packpferde entladen haben. Kisten und Packsäcke werden unter einem Baum abgestellt, Seile und Gurte kommen daneben auf einen Haufen, und die Sättel bekommen sofort ihren Extraplatz für die Nacht. Vorrang beim Abladen haben die grünen Küchenkisten und das Feuergestell, das sich Joyce auch sofort schnappt und aufbaut. Links und rechts stellt sie einen der beiden nach oben gegabelten, schweren Eisenständer auf, hängt an beiden jeweils das Ende einer Doppelkette ein, die einen großen rechteckigen Feuerrost als Kochstelle für Pfannen und Töpfe unter sich trägt. Eine waagerecht in die Gabelungen eingeklickte Eisenstange stabilisiert die Konstruktion und erlaubt den „Billys“, den großen Wasserkannen für Tee und Kaffee, ihren Platz direkt über dem Feuer einzunehmen. Und während unsere Gastgeberin zum nahen Bach eilt, das mitgebrachte Nass durch die tragbare Filteranlage schickt, drei oder vier Hände voll Kaffee in eine der Eisenkannen gibt – der Tee kommt in einem Leinensäckchen in eine zweite- ist David schon beim Feuermachen. Wir holen inzwischen unsere beiden „Duffel Bags“ und das Zelt vom großen Haufen und bringen auch die Satteltaschen, das Regenzeug und unsere Foto- und Filmausrüstung zum ausgesuchten Übernachtungsplatz, während die dicken Satteldecken als Sitzkissen auf den Baumstämmen um die Feuerstelle abgelegt werden. Danach, und vor dem Zeltaufbau, machen sich die meisten von uns nützlich, fällen kleinere, dürre Bäume, hacken Holz, holen frisches Wasser vom Bach, unterhalten das Feuer oder helfen Joyce bei der Einrichtung ihrer „Küche“. Mittelpunkt ist dort die Tischplatte, deren zwei breite, gehobelte Bretter mit ihren Enden in die Schienen einer Hängevorrichtung geschoben werden, deren Ketten links und rechts an einem Baum ihre Haken finden. Die Konstruktion, unter der sich noch ein Hängeregal befindet, passt durch seine variablen Ketten zwar zwischen die meisten Bäume, doch wird dieses Camp in den Schwarzen Bergen auch bei vielen Touren angesteuert und könnte die Mindestmaße geliefert haben. Wir werden hier sogar zwei Nächte verbringen, denn morgen reiten wir ohne Packpferde in die Regenbogenberge und kommen am Abend wieder zurück. Man kann sich also richtig häuslich einrichten.

      Rund vierzig Minuten nach unserer Ankunft sind die dringendsten Handgriffe erledigt, und am Feuer gibt’s jetzt erst eine kurze Verschnaufpause, mit Gebäck, Kaffee oder Tee, mit oder ohne Milch, Zucker, Kakaopulver oder Honig, oder, unsere Version, pur und schwarz. John versteht das gar nicht und meint: „Dann braucht ihr wenigstens hiervon“, grinst und gießt

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