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vor allem aber müssten die „Polenhäuser“ am Rand des Geländes beschlagnahmt und die Bewohner „rausgeschmissen“ werden.

      „Oberführer, das kann ich nicht“, lehnt Franz-Joseph Müller das Ansinnen seines Chefs ab.

      Scherner beginnt zu toben: „Was, das können Sie nicht und sind SS-Mann? Ich werde Ihnen einen Mann aus Bautzen vorsetzen! Verschwinden Sie und lassen Sie sich mit ihren Juden aufhängen!“

      In seinem merkwürdigen „Tatsachenbericht“ notiert Müller später: „Als ich in meinem Zimmer war, konnte ich mich nicht mehr halten. Zum ersten Mal musste ich als Soldat weinen.“

      ICH BIN EUER GOTT!

      Das Wort Julian Scherners vom „Mann aus Bautzen“ war keine leere Drohung. Eines Tages, es ist der 11. Februar 1943, ist er da: Amon Leopold Göth. Woher kommt er an diesem Tag wirklich? Wohl nicht aus der Spreestadt Bautzen in der Oberlausitz, sondern aus dem Zwangsarbeitslager Budzyń in der Nähe von Lublin. Müller dürfte hier einem Hörfehler erlegen sein.

      Göth trifft jedenfalls am Krakauer Hauptbahnhof ein und begibt sich sofort zum Büro seines alten Kumpels und Freundes Scherner in der Oleanderstraße 4. Die beiden kennen sich noch aus der Münchner Zeit – Scherner, „beliebt als Führer und Kamerad“, führte ab Februar 1933 in der „Stadt der Bewegung“ die 1. SS-Standarte und stieg in der Folge bis zum Führer des SS-Abschnitts XIV auf. Geboren 1895 im tansanischen Bagamoyo, der Hauptstadt „Deutsch-Ostafrikas“, als Sohn eines Hauptmanns der kaiserlichen Schutztruppe, ein alter Frontkämpfer, Inhaber des Eisernen Kreuzes und Blutordensträger und als Mitglied des Bundes Oberland schon 1923 beim Putsch Hitlers in München dabei, ist er Herr über Leben und Tod der Juden im Distrikt Krakau. Seit August 1941 als SSPF in Krakau, ist er für alle Deportationen aus dem Krakauer Ghetto nach Bełżec verantwortlich. Scherner hat sich auf Göth gut vorbereitet und will ihm die neue große Aufgabe, den weiteren Aufbau des Arbeitslagers in Płaszów, so schmackhaft wie möglich machen. Göth zögert nicht lange – er ist mit Płaszów einverstanden, weil er hier sein eigener Herr sein wird. Er wählt die Herausforderung, weil er darin ein Abenteuer sieht, eine Möglichkeit, sich sein persönliches Königreich zu schaffen. Erfreulich auch die materiellen Möglichkeiten, die sich in der freundschaftlichen Besprechung mit Scherner abzeichnen: Mit ein wenig Geschick kann er hier ein Vermögen herausholen.

      So lässt er auch beim Antritt seiner „Herrschaft“ in Płaszów keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen. „Ich bin euer Gott!“, erklärt er den auf dem Appellplatz zu seinem Empfang angetretenen Häftlingen. Juliusz Spokojny, ein 20-jähriger Jude aus Miechów, der seit Jänner im Lager an der Jerozolimskastraße festgehalten wird, kann sich auch später noch an den darauf folgenden Satz Göths erinnern: „Im Distrikt Lublin habe ich 60.000 Juden erledigt, jetzt ist die Reihe an euch!“

      Bald werden alle begriffen haben, dass dieser Mann schlimmer ist als alles, was sie zuvor erlebt haben. „Brutal und rücksichtslos“ werden die restlichen polnischen Familien aus ihren Häusern geworfen; die neuen Termine für die Arbeiter an den Baracken sind unmenschlich knapp. So verlangt Göth die Fertigstellung des Kühlhauses innerhalb von zwei Wochen – für die Nichteinhaltung des Termins droht er alle an diesem Bauprojekt beteiligten Häftlinge zu erschießen.

      Wenige Tage nach der Ankunft Göths in Płaszów begibt sich der 53-jährige Arzt Dr. Aleksander Bieberstein auf Wunsch der Jüdischen Gemeinde zu ihm in die neue Barackenstadt. Begleitet wird er von dem um einige Jahre älteren Dr. Schwarz. Ziel der beiden Mediziner ist es, mit Göth den Bau eines Spitals und von sanitären Anlagen im Lager zu besprechen. Als sie ankommen, ist Göth nicht in seiner Baracke, erst nach einiger Zeit taucht er auf, gibt sich dann aber sehr höflich und zuvorkommend – er offeriert den beiden jüdischen Ärzten Zigaretten, bittet sie Platz zu nehmen und fragt sie über den Grund ihres Kommens. Bieberstein und Schwarz versuchen ihr Anliegen vorzubringen, Göth lässt sie jedoch nicht richtig zu Wort kommen. Er erzählt, dass er sich um den Aufbau von zwei Lagern, Płaszów und Szebnie, kümmern müsse und deshalb momentan sehr viel Arbeit hätte. In Płaszów wolle man vor allem große Werkstätten errichten, so sollen unter anderem die „Zentrale für Handwerkslieferungen“ sowie die Firmen „Optima“ und Julius Madritschs Unternehmen hierher verlegt werden. Seine Absicht sei es, dass es allen Arbeitern, die hierher übersiedelt würden, gut gehe, sie ordentlich ernährt sein sollten und die bestmögliche ärztliche Betreuung für sie gewährleistet sei. Im Verlaufe des denkwürdigen Gesprächs fällt, wie Bieberstein später bezeugen wird, kein einziges Mal der Begriff „Jude“ und auch nicht das Wort „Häftling“. Göth präsentiert sich als leutseliger Organisator – und als Patient: Er zeigt den beiden Ärzten sein Bein, das am Unterschenkel einige Geschwüre aufweist, und fragt sie nach ihrer Spezialisierung. Dr. Bieberstein erklärt, dass er Internist sei, Dr. Schwarz stellt sich als praktischer Arzt vor und erzählt, dass er sich im Besonderen mit Röntgentherapie beschäftige und der Röntgenologe des Spitals im Ghetto sei. Das kranke Bein des Herrn Kommandanten sei am besten mit Röntgenstrahlen zu heilen. Göth fragt ihn, ob der Röntgenapparat im Ghetto für diese Therapie geeignet sei. Dr. Schwarz verneint, und Göth meint daraufhin, dass man sich bemühen werde, für das Lager ein besseres Gerät zu beschaffen. Und er hat eine Bitte an die beiden Ärzte: Er möchte, dass sie ihn mit der Weigl-Impfung gegen Fleckentyphus immunisieren, da man um die geringe Widerstandskraft der Deutschen gegen Typhus wisse und mit der Größe des Lagers wachse ja auch die Ansteckungsgefahr.

      Damit ist das Treffen zu Ende, Bieberstein und Schwarz kehren ins Ghetto zurück und berichten im Rahmen einer Konferenz über ihr Gespräch. Einige Kollegen sind mit dem Ergebnis zufrieden, Dr. Bieberstein sieht es anders: Er interpretiert Göths Auftritt als hinterhältig, perfide und absolut zynisch.

      Zwei, drei Tage später erhalten Bieberstein und seine Kollegen von den Ingenieuren des Lagerbaus eine Kopie des geplanten Spitals – und sind überrascht. Tatsächlich ist da ein ordentliches Spital geplant: 3 bis 4 Baracken werden zusammengefasst und sind durch die Korridore verbunden, überall schöne Fenster und kleine Patientenzimmer, sogar an Wohnungen für die Ärzte hat man gedacht. Bieberstein jedoch ist weiter skeptisch, er glaubt nicht, dass diese Pläne auch verwirklicht werden. Sein Verdacht verstärkt sich, als er durch Zufall von einem für die Verpflegung zuständigen Unteroffizier, der sich von ihm impfen lässt, die Liste der geplanten täglichen Lebensmittelrationen erhält. Maximal 2.200 – 2.500 Kalorien pro Tag sind da vorgesehen – auch bei günstiger Interpretation zu wenig für schwer arbeitende Menschen.

      An einem der ersten Märztage begibt sich neuerlich eine Ärztedelegation aus dem Ghetto nach Płaszów, diesmal sind es bereits 5 oder 6 Mediziner. Mit Göth selbst sprechen jedoch nur wieder Dr. Bieberstein und Dr. Schwarz; der Unterschied zum ersten Gespräch ist jedoch gewaltig: Göth empfängt sie nicht in seinem Büro, sondern am Zeichentisch, wo er ihnen die Baracken für das Spital zeigt. Als Bieberstein anmerkt, dass diese Baracken aus Holz für ein Spital nicht geeignet seien, antwortet Göth kurz angebunden, dass im Lager arbeitende Menschen leben würden und keine schwer kranken, die Mängel würden später behoben. Nach zwei Minuten ist das Gespräch vorbei, von der Freundlichkeit des ersten Zusammmentreffens keine Spur mehr.

      Es ist Freitag, der 5. März 1943. Am Morgen lässt Göth die Häftlinge am Appellplatz antreten. Der 17-jährige Moniek Puntirer, Sohn eines kleinen Milchverkäufers in Kazimierz, seit September 1942 in Płaszów, wird Zeuge, wie Göth auf Grund des Fehlens zweier Mädchen, die ins Ghetto zurück geflüchtet sind, zwei jüdische Kapos erschießt. Die Männer müssen sich niederknien, dann tötet er beide durch Schüsse aus nächster Nähe. Anschließend nimmt Göth seinen Hut ab, füllt diesen mit dem Blut der Toten und setzt ihn einem der Mithäftlinge Puntirers auf. „Jetzt führst du das Kommando!“, sagt er zu dem völlig überraschten Mann – eine Szene, die Moniek Pantirer in „wahre Todesangst“ versetzt und die er nie vergessen wird. Göth macht auf ihn den Eindruck eines „Raubtiers auf der Jagd“ und rasch erkennen er und seine Lagergenossen, welch besondere Rolle die Kopfbedeckungen für Göth spielen: Trägt er sein einfaches

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