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28. Mai 1942 umstellen Einheiten der SS, der Waffen-SS und der Sicherheitspolizei das Krakauer Ghetto. Die Schergen der „Endlösung“ beginnen ihre mörderische „Selektionen“: Bis 8. Juni werden drei Todeszüge mit 7.000 Juden „abgefertigt“; Ziel der „Transporte“: das Vernichtungslager Bełżec im Distrikt Lublin.

      Vorbereitet wird die „Aktion“ durch eine weitere Schikane der Nazi-Bürokratie: den „Blauen Schein“. Die Kennkarte bietet ab nun den Bewohnern des Ghettos nicht mehr ausreichend Schutz vor Deportation, auch nicht dann, wenn sie mit dem Stempel einer offiziellen Arbeitserlaubnis versehen ist. Der Blaue Schein, den ebenfalls nur arbeitende Juden erhalten, teilt die Ghettobewohner auf bürokratischem Weg, er „selektiert“ für die „Endlösung“ vor: in jene, die arbeiten und vorläufig leben dürfen, und in jene, die bereits jetzt zum Tode verurteilt sind – vorgesehen für den Abtransport in eine der Todesfabriken im Osten.

      Zahlreiche Juden werden von der SS noch im Ghetto erschossen; in wenigen Tagen fordert die Menschenjagd an die 600 Opfer. Höhepunkt des Massakers ist der 4. Juni 1942, der „Blutige Donnerstag“: Unter den Ermordeten dieses Tages sind auch der Dichter Mordechai Gebirtig, der Maler Abraham Neumann und Arthur Rosenzweig, der Vorsitzende des Judenrates. Etwa 12.000 Menschen bleiben noch im Ghetto zurück. Das Schicksal der noch lebenden Juden entscheidet sich Anfang Juni 1942: Hans Frank hat den Machtkampf mit Himmler um die Befugnisse in der Siedlungs- und Judenpolitik endgültig verloren; für die „Judenangelegenheiten“ ist nun der Höhere SS- und Polizeiführer Friedrich-Wilhelm Krüger zuständig. Krüger, daran lässt der von kaltem Ehrgeiz zerfressene Mann aus Straßburg keinen Zweifel, ist für den Massenmord: Mitte Juni verhandelt er bereits mit den führenden Verwaltungsbeamten der einzelnen Distrikte über die Ausdehnung der Massentötung auf das gesamte Generalgouvernement. Die zivilen Verwaltungsstellen stellen sich der „Herausforderung“ bereitwillig, sie sehen darin „eine harte Notwendigkeit“, die man im Interesse des „Endsiegs“ zu akzeptieren hat. Und so werden auch die Bewohner des Krakauer Ghettos unerbittlich weiter gequält: Am 20. Juni 1942 verkleinert man das Ghetto um den Streifen zwischen der Tarnowskastraße (heute Limanowskiegostraße) und Krzemionki; die nächste Verkleinerung erfolgt am 1. November 1942 mit der Abtrennung der so genannten „Ukraine“: Der Bereich Janowa-Wola-Straße, die Dąbrówkistraße und die linke Seite der Lembergstraße werden vom Ghetto abgelöst.

      Deportation in den Tod: „selektionierte“ Opfer auf dem Marsch zu den Zügen am Krakauer Hauptbahnhof

      Nach einer kurzzeitigen Unterbrechung fahren ab Mitte Juli 1942 wieder zwei Deportationszüge pro Woche aus dem Distrikt Krakau zum Vernichtungslager Bełżec. Die Aktion Reinhardt steuert ihrem Höhepunkt zu: Am 18. und 19. Juli 1942 ist Heinrich Himmler in Lublin; neben Bełżec sind jetzt auch die Vernichtungslager in Sobibór und Treblinka „einsatzbereit“, die „Reduzierung der überflüssigen Juden“ wird in fieberhaftem Tempo fortgesetzt. Bald erreicht der Massenmord unvorstellbare Dimensionen: Ab dem 22. Juli 1942 sterben in den Vernichtungslagern durch fast zehn Wochen hindurch jeden Tag bis zu 25.000 polnische Juden. Ende 1942 werden von den einst zwei Millionen Juden im Generalgouvernement nur mehr 300.000 leben.

      Hans Frank, Chef des Gangster Gaus, der am 1. August auf einer Großkundgebung in der ostgalizischen Metropole Lemberg spricht, ist daher bestens aufgelegt. So kann er es sich nicht verkneifen, die laufenden Mordaktionen zumindest anzudeuten: „[M]it diesen Juden werden wir auch noch fertig. (…) Es soll doch in dieser Stadt einmal Tausende und Abertausende von diesen Plattfußindianern gegeben haben – es war keiner mehr zu sehen. Ihr werdet doch am Ende mit denen nicht böse umgegangen sein? (Das Protokoll verzeichnet „Große Heiterkeit“.)

      (…) Wir haben das Glück, daß wir hier mit den Juden so umgehen können, wie sie mit dem deutschen Volk umgegangen sind. (…) Der Jude ist in diesem Land kein Problem mehr, sondern höchstens geeignet, uns artgemäß zu interessieren.“

      Nach den ersten Wochen des Mordens zieht auch der Reichsführer-SS ein zufriedenes Zwischenresümee. In einem Brief an Odilo Globocnik vom 13. August 1943 schreibt Himmler: „Arbeiten Sie weiter so tatkräftig wie bisher und ich glaube sicher, daß Sie in dieser schönen Arbeit Befriedigung finden.“ Während Göth bei der „Aktion Reinhardt“ seine Erfahrungen mit dem Judenmord sammelt, holt das SS-Personalhauptamt offiziell nach, was de facto schon Realität ist: Am 13. August 1942 wird er für die Dauer seines Einsatzes beim Höheren SS- und Polizeiführer Ost zum „Fachführer der Waffen-SS“ ernannt; als Dienstgrad bleibt der SS-Untersturmführer, allerdings darf Göth jetzt ein „(S)“ dahinter setzen.

      Im Herbst 1942 trifft Göth, angeblich auf Befehl von Globocniks Stabsführer Ernst Lerch, dem Sohn eines Klagenfurter Cafetiers, an seinem nächsten Einsatzort ein: Poniatowa südwestlich von Lublin. Im September 1941 hatte man hier ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene errichtet, das Stalag (Stammlager) 359, bewacht vom Landesschützenbataillon 709. 24. 000 Soldaten der Roten Armee brachte man bis Dezember 1941 hierher – bis zum Frühjahr 1942 waren 22.000 Gefangene tot, zugrunde gegangen an den entsetzlichen sanitären Bedingungen – es gab kein Wasser zum Waschen und keine Möglichkeiten zum Kleiderwechsel –, an Hunger und Krankheiten, vor allem Typhus. Zu Beginn des Jahres 1942 starben hier täglich (!) an die 1.000 Menschen. Die Toten hatte man in 32 Massengräbern außerhalb des Lagers verscharrt. 500 gefangene Sowjetsoldaten, hauptsächlich „Volksdeutsche“, rekrutierte man für den Wachdienst in den Lagern und brachte sie zur „Ausbildung“ ins berüchtigte „Trainingscamp“ der SS in Trawniki.

      Göths Aufgabe ist auch hier der Aufbau eines Lagers für jüdische Sklavenarbeiter, und er zeigt sich wiederum als erfolgreicher „Campmanager“. Bereits im Oktober 1942 werden die ersten Juden aus dem „Transit-Ghetto“ von Opole Lubelskie nach Poniatowa gebracht, bis Jänner 1943 sind an die 1.500 Zwangsarbeiter im Lager, unter ihnen auch Juden aus Wien und der Slowakei. Göths Plan sieht eine Kapazität von 9.000 jüdischen Arbeitern vor; im Sommer 1943 werden es allerdings bereits an die 10.000 sein. Sie arbeiten in den Textilfabriken von Walter Toebbens, in denen vor allem Wehrmachtsuniformen hergestellt werden. Im Jänner 1943 werden die Betriebe von Walter Toebbens in Odilo Globocniks SS-Industriekomplex „Osti“ eingebracht; im August 1943 ist „Konzernchef“ Globocnik zu Besuch im Lager und überzeugt sich von der Produktivität seiner Sklaven. Die „Liquidierung“ des Lagers in Poniatowa sollte dann am 4. November 1943 im Rahmen des Blutbads „Aktion Erntefest“ erfolgen: Mehrere Tage vor der Massenexekution müssen die Häftlinge ihre eigenen Massengräber ausheben. Einige Gräben werden im Lager selbst gezogen, andere außerhalb des Lagers. Man sagt ihnen, dass dies „Splittergräben“ zum Schutz vor Luftangriffen wären. Am 4. November um fünf Uhr früh müssen die Häftlinge zu einem Zählappell antreten und werden dann in ein großes Geschäftsgebäude gepfercht. Dann holt die SS Gruppen von je 50 Häftlingen ab. Im Freien müssen sie ihre Schuhe ausziehen und eventuell verbliebene Wertsachen in Körbe geben, dann bringt man sie in eine nahe gelegene Baracke, wo sie sich nackt ausziehen müssen. Von hier treibt die SS sie zu den Gräben, in die sie hinabsteigen müssen und sich auf den Bauch legen, Gesicht nach unten. Dann werden sie erschossen. Während der Exekutionen spielt man dröhnende Musik aus Lautsprecherwagen, um die Schüsse und Schreie der Opfer zu übertönen.

      In einer der Baracken, in der die Mitglieder der jüdischen Untergrundbewegung versammelt sind, kommt es zum Widerstand: Aus versteckt gehaltenen Waffen eröffnen Häftlinge das Feuer auf die SS. Diese setzt jedoch die Baracke in Brand und die jüdischen Kämpfer verbrennen bei lebendigem Leibe. An diesem 4. November werden an die 14.000 Menschen erschossen. Etwa 150 bis 200 Juden hat man am Leben gelassen – sie sollen die Kleider der Opfer sortieren und die Leichen verbrennen. Als die Häftlinge ablehnen, werden sie ebenfalls erschossen, ihre „Arbeit“ wird vom „Sonderkommando“ aus Majdanek und von jenen jüdischen Häftlingen übernommen, die man während der „Aktion Erntefest“ in Majdanek „ausselektiert“ hat. Wochenlang brennen in Poniatowa noch die Leichenfeuer …

      Geschützt durch die Körper der Getöteten überleben das Massaker zwei Frauen, Estera Rubinsztajn und Ludwika Fiszer. Stundenlang Seite an Seite mit ihrer toten Tochter im Massengrab liegend, kann Ludwika Fiszer im

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