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gnadenlos „ausselektiert“: Jene, die zu schwach und zu krank sind, um am Marktplatz zur Selektion anzutreten, werden sofort erschossen, dann sucht man am Marktplatz die kräftigsten Männer aus, vor allem Facharbeiter. Frauen und Kinder sowie ältere Männer, etwa 800 bis 1000 Menschen, werden von Angehörigen des Polizeibataillons 101 in einen nahe gelegenen Wald geführt und dort ermordet. Auch von den zur Zwangsarbeit „ausselektierten“ Männern sind viele durch den Typhus extrem geschwächt, insgesamt etwa 100 Häftlinge brechen auf dem fünf Kilometer langen Weg zur Bahnstation zusammen und werden ebenfalls erschossen. 800 bis 900 Juden aus dem Ghetto von Końskowola erreichen das neue Lager in Budzyń. Im Distrikt Lublin haben Globocniks Männer bereits in der Nacht vom 16. zum 17. März 1942 mit der Räumung der kleineren Ghettos begonnen. Es sind blutige Menschenjagden, die nach erprobtem Schema ablaufen: Das Ghetto wird von SS, Schutzpolizei und ukrainischen, litauischen oder lettischen Hilfseinheiten umstellt, dann durchkämmen kleine Einsatztrupps die Häuser und treiben die Bewohner auf den Sammelplatz, alte und kranke Menschen sowie Kleinkinder werden meist sofort erschossen. Wer bei der folgenden „Selektion“ auf dem Sammelplatz eine gültige, gestempelte Arbeitskarte vorweisen kann, darf meist wieder gehen, die anderen werden in Güterwaggons verladen und in die Vernichtungslager transportiert. Mittendrin Amon Göth, dem bald leitende Funktionen übertragen werden. So organisiert er die „Selektionen“ im Ghetto Bełżyce, südwestlich von Lublin. Seit dem 16. Jahrhundert leben hier Juden; von 1795 bis 1809 war das Städtchen Bełżyce Teil des Habsburgerreichs; nun ist es ein Österreicher, der für die Juden des Orts zum Schicksal wird. An die 700 Juden sollen nach Majdanek deportiert werden. Etwa 500 Juden bestechen ihn und werden nicht in den sofortigen Tod geschickt, sondern „dürfen“ ins Zwangsarbeitslager Budzyń. Wie Mietek Pemper 1946 vor dem Untersuchungsrichter aussagt, soll die „Beute“ der SS in Bełżyce gewaltig gewesen sein: Mit Pelzen, gegerbten Fellen, Juwelen und anderen kostbaren Wertgegenständen habe sich Göth den Verzicht auf den „Transport“ nach Majdanek abkaufen lassen, irgendetwas sei dann aber „schiefgelaufen“, seine Unterschlagung ans Licht gekommen. Noch 1943 sei in der Angelegenheit korrespondiert worden. Die „Aktion“ in Bełżyce begründet jedenfalls seinen Ruf als korrupten SS-Offizier; spätestens jetzt muss er erkannt haben, welche „Geschäftsmöglichkeiten“ der Judenmord in sich birgt.

      Wahnwitzige „Volkstumsarbeit“: Himmler begrüßt an der deutschen Grenze eine Kolonne von Rückwanderern.

      

      Dieses „Mitarbeiterverzeichnis“ dokumentiert es: Göth ist im Stab Globocniks für den „Arbeitseinsatz“ zuständig.

      Irgendwann in diesen Tagen macht Göth die Bekanntschaft mit SS-Oberscharführer Reinhold Feix, einem der grausamsten SS-Mörder, die im „Gangster-Gau“ ihr Unwesen treiben. 1942 ist Feix, ein Sudetendeutscher aus Neudorf in der Nähe von Gablonz und von Beruf Friseur, im Vernichtungslager Bełżec tätig; von Dezember 1942 bis August 1943 ist er Kommandant des Zwangsarbeiterlagers Budzyń; wie Mietek Pemper später bezeugt, unterhält Göth mit ihm auch in Płaszów noch eine intensive Korrespondenz. Vieles deutet darauf hin, dass er in der Umgebung von Feix auch das Töten „gelernt“ hat – es ist die gemeinsame Erfahrung des Judenmordes, die sie verbindet.

      Jedenfalls muss Göths Talent als „Organisator“ von seinem Chef Globocnik bald anerkennend registriert worden sein, denn im Frühsommer 1942 stellt er seinem „Referenten ohne Verwendung“, wie wieder Pemper bezeugt hat, eine Bevollmächtigung zum Einkauf von Materialien in Ostrau und anderen mährischen Städten aus; der Hintergrund für diese Vollmacht sind nicht näher ausgeführte „Geheime Baumaßnahmen des Reiches“. Schon Pemper hat dazu den Verdacht geäußert, dass es sich hier nur um „Materialien“ für den Bau der Krematorien in den polnischen Vernichtungslagern handeln konnte. Dazu passt auch der ebenfalls von Pemper erwähnte Brief Globocniks vom Juni oder Juli 1942 an die Kommandanten von Bełżec, Sobibór und Treblinka, in dem diese angewiesen werden, Göth den Zutritt auf das Lagergelände zu erlauben. Mietek Pemper vermutete, dass diese Zutrittserlaubnis noch einen anderen Grund gehabt haben könnte: Göth sei vielleicht mit der Kontrolle bzw. Erfassung der Wertgegenstände der Ermordeten betraut gewesen – da hätte natürlich Globocnik den Bock zum Gärtner gemacht; andererseits würde das auch die wachsende Spannung zwischen Göth und Globocniks Stabschef SS-Sturmbannführer Hermann Höfle im Herbst 1942 erklären. Der Österreicher Höfle, 1911 in Salzburg geboren und von seiner Ausbildung her Automechaniker, ist seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS und auf eine Empfehlung Adolf Eichmanns hin seit Oktober 1941 der „Referent für Judenangelegenheiten“ im Stab Globocniks. Er koordiniert die Deportationen aus Lublin, Mielec, Rzeszów, Białystok und Warschau in die Vernichtungslager. Auch der Schützling Eichmanns verdankt also der Aktion Reinhardt einen massiven Karrieresprung. Gut denkbar, dass sich die beiden „Ostmärker“ in der Frage des „Umgangs“ mit jüdischen Vermögenswerten in die Quere gekommen sind, denn seit Sommer 1942 leitet Höfle eine Art „Lagerhaus“ für die bewegliche Habe der Juden, das in der Lubliner Chopinstraße 27, dem alten Flughafen der Stadt, eingerichtet worden ist. In einer eigenen Zentralkartei werden hier von Höfle Kleidungsstücke, Schuhe und Ähnliches registriert; für die Erfassung von Edelsteinen und Devisen ist allerdings SS-Sturmbannführer Georg Wippern zuständig. Er und Höfle wissen um die Bestechlichkeit Göths und versuchen ihn loszuwerden.

      „SCHÖNE ARBEIT“ KRAKAU

      Ja, in Krakau fühlen sich die deutschen Besatzer so richtig wohl, das ist eine Stadt nach ihrem Geschmack: „Auf Schritt und Tritt begegnen uns hier die steinernen Zeugen eines harten, entschlossenen Willens, nimmermüder Tatbereitschaft und unversiegbarer Schöpferkraft, daraus mitten im volksfremden Raume eine deutsche Stadt reiner und edler Prägung entstand“, schreibt Theodor Müller, einer der vielen kulturbeflissenen „Experten“, die sich nun in Krakau herumtreiben, in seiner Landeskunde des Generalgouvernements, verfasst im Auftrag der „Hauptabteilung Wissenschaft und Unterricht“ in der Regierung Hans Franks. Sie alle sind, glaubt man der NS-Propaganda, dem hehren „Ruf des Ostens“ gefolgt, um hier den „neuen deutschen Lebensraum“ aufzubauen; tatsächlich lockt der Reiz des Abenteuers, vor allem die gar nicht so utopische Aussicht, im Reich Hans Franks das schnelle Geld machen zu können. Da gibt es die Firmen und Vermögenswerte der jüdischen Polen, die man sich ganz ungeniert aneignen kann, da gibt es Kunstschätze und Möbel, Teppiche und Porzellan, Diamanten und Bargeld. Und da gibt es etwa die 2,5 Millionen jüdischen Polen, deren Ermordung man nun „zügig“ in Angriff nimmt.

      Ein heftiger Kampf um Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Himmler und Frank entbrennt, aus dem schließlich der Reichsführer-SS im November 1941 endgültig als Sieger hervorgeht. Was das Schicksal der jüdischen Polen angeht, so haben Himmler und seine Mordgehilfen ab diesem Zeitpunkt das Heft fest in der Hand: Die Entscheidungen über Tod und Leben der Juden fallen nun bei den SS-Dienststellen. An der Spitze der SS-Gewaltherrschaft im Distrikt Krakau steht, zumindest am Papier, General Friedrich Wilhelm Krüger, der Höhere SS- und Polizeiführer Ost (HSSPF Ost), ein ehrgeiziger, 48-jähriger, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichneter Weltkriegsveteran aus Straßburg, ihm zur Seite als persönlicher Adjutant SS-Hauptsturmführer Emmanuel Graf von Korff, 36 Jahre alt. Krüger residiert wie sein Intimfeind Hans Frank auf dem Wawelschloss, ihm unterstehen alle SS- und Polizeidienststellen im Generalgouvernement: die Befehlshaber der Sicherheitspolizei (SIPO) und des Sicherheitsdienstes (SD) ebenso wie die Chefs der Kriminal- und der Ordnungspolizei; für alle „Aktionen“ gegen die Juden trägt er zwar nominell die Letztverantwortung, tastächlich kümmert sich ein Mann wie der Kärntner SS-Brigadeführer Odilo Globocnik, der in Lublin die Aktion Reinhardt startet, wenig um die Meinung Krügers und zieht es vor, seine Weisungen direkt bei Heinrich Himmler einzuholen. Und auch in Krakau selbst passiert vieles, was nicht unbedingt mit ihm abgestimmt ist. Die Initiative in Sachen „Judenpolitik“ liegt da eher beim SS- und Polizeiführer

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