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die Kolonne umkreist, die an der Węgierskastraße Aufstellung genommen hat. Immer wieder reißt er Müttern die Kinder aus den Händen, schlägt ihnen mit der Reitpeitsche ins Gesicht. Als er der Frau von Samuel Stöger das Kind wegnehmen will und diese sich weigert, muss sie mit dem Kind aus der Kolonne treten und wird von Göth zusammengeschlagen, die Kolonne marschiert inzwischen weiter. Samuel Stöger sieht seine Frau und sein Kind nie wieder. Den ganzen nächsten Tag, es ist Sonntag, wartet er am Lagertor von Płaszów – vergeblich. Statt der Lebenden kommen nur Stöße von nackten Leichen. Er versucht jemanden zu erkennen, kann aber den schrecklichen Anblick der Massakrierten nicht lange ertragen. Als einige Wochen später die Kleider von Ermordeten ins Lager gebracht werden, erkennt Stöger den Mantel seiner Frau und die Kleidung seines Kindes.

      Leon Bittersfeld, der an diesem 13. März 1943 seinen 15. Geburtstag begeht, steht ebenfalls in einer Fünferreihe. Der schmächtige Junge ist Vollwaise; sein Vater Izaak, ein Krakauer Textilhändler, war beruflich gerade in Berlin, als der Krieg ausbrach. Die Nazis verhafteten ihn und brachten ihn nach Dachau, wo er ermordet wurde. Seine Mutter Róza starb 1942 an einer unheilbaren Krankheit, sein älterer Bruder Julek geriet als Soldat der polnischen Armee in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Um größer zu erscheinen, hat sich Leon, der es trotz seiner Jugend in der Kunst des Überlebens schon weit gebracht hat, eine List ausgedacht: Er steht auf einem Stück Holz, das vom langen Mantel, den er trägt, verdeckt wird. Irgendwie scheint Göth die „hochgewachsene“ Gestalt mit dem Milchgesicht jedoch verdächtig. Er kommt daher auf Leon zu und fragt ihn nach seinem Alter. Ohne zu zögern antwortet dieser: „18!“, wobei er sich bemüht seiner Stimme einen tiefen, männlichen Klang zu geben. „Dein Beruf?“, fragt Göth – „Blechschmied!“, sagt Leon und Göth ist zufrieden: Facharbeiter wie diesen jungen Mann wird er in Płaszów gut gebrauchen können. Leon hat nicht ganz gelogen, hat er doch im Ghetto nicht nur Lebensmittel geschmuggelt, sondern bereits im Betrieb des jüdischen Unternehmers Westreich als Blechschmied gearbeitet. Und schon dort erlebte er, zu welchen Brutalitäten die Nazis fähig waren: Sein Chef Westreich wurde von den Nazis ermordet, Leon war Zeuge dieser „Hinrichtung“ und brachte die Leiche Westreichs zum Friedhof.

      Das „Marschgepäck“ für den Transfer ins Lager ist pro Person auf 30 Kilogramm limitiert; alle Schreibutensilien sowie Papier und Bücher sind streng verboten, und wer es wagt, ein Radiogerät mitzunehmen, riskiert den Tod. Sämtliche persönlichen Dokumente wie Reisepässe und Geburtsurkunden, die geeignet sind, die Identität nachzuweisen, werden den angehenden Lagerinsassen abgenommen. In Fünferreihen wird die etwa drei Kilometer lange Strecke nach Płaszów in Angriff genommen.

      Franz-Joseph Müller beobachtet vom Eingang zum Julag I aus das Eintreffen des Zuges: „Endlos war die Marschkolonne. Mütter weinten und drückten noch zum letzten Male ihr Kind an die Brust. Manche waren halb bekleidet, andere im Schlafanzug. Den Schluss bildete ein unvergessliches Bild in mir. [sic] Erst waren es zwei Pferdefuhrwerke, große Pritschenwägen mit Gummirädern. Voll mit Leichen. Dahinter fuhren noch einige kleinere Kastenfuhrwerke, ebenfalls mit Leichen gefüllt. Das Blut lief von den Wägen und tagelang führte eine Blutschicht [sic] auf der Straße vom Ghetto zum K.Z. Den Schluss des Zuges machte der Tyrann des K.Z. in seinem Auto: Amon Göth.“

      Auch Helen Sternlicht steht in der Reihe jener, die zur Deportation nach Bełżec bestimmt sind. Sie beobachtet, wie eine Freundin ihrer Schwester Bronia versucht einen SS-Mann zu bestechen. Der SS-Scherge nimmt zwar seelenruhig das Geld, schiebt sie dann aber mit dem Gewehrlauf ebenso entschlossen zurück zu den Todgeweihten. Helen setzt jetzt alles auf eine Karte: Sie bemerkt, dass ein Mann Milchkannen auf einen Pferdewagen lädt, die für das Lager Płaszów bestimmt sind: Als der Mann sich wieder zu einer Kanne umdreht, springt sie geistesgegenwärtig auf den Wagen, versteckt sich unter der Plache, mit der die Milchkannen zugedeckt sind, und gelangt auf diese Weise nach Płaszów.

      Ihre Schwester Bronia hält sich inzwischen im Keller des Hauses verborgen, in dem die Familie gewohnt hat. Lieber will sie sterben, als den Todeszug nach Bełżec besteigen. Als sie versucht ins Nebenhaus zu wechseln, wird sie von einigen SS-Leuten entdeckt, die sie jedoch entkommen lassen. „Lass sie leben. Sie ist noch jung!“, meint einer von ihnen. Im Nebenhaus ist die Lage nicht besser, bereits zwanzig Menschen halten sich hier verborgen. Doch Bronia hat Glück: Nach dem Ende der „Aktion“ ist es ein jüdischer OD-Mann, der sie herausholt und nach Płaszów bringt.

      Am Sonntag, dem 14. März, ist Ghetto B das Ziel Göths und seiner Männer. Auch hier haben die Menschen von Julian Scherner den Befehl bekommen, sich für die „Aussiedlung“ bereitzuhalten. Am Zgodyplatz „selektioniert“ Göth unter den älteren Männern 150 für die Arbeit in Płaszów aus; Obersturmbannführer Haase ist gegen diese Zahl und befiehlt 75 der ausgewählten Männer sofort zu erschießen. Die überlebenden 75 müssen den Getöteten die Kleider ausziehen und sie auf die Kastenwägen für den Transport nach Płaszów laden.

      Ziel der Mörder am 14. März ist nicht zuletzt das jüdische Hauptkrankenhaus in der Józefińskastraße, in dem zahlreiche Patienten in ihren Betten getötet werden. SS-Oberscharführer Albert Hujar leitet die „Aktion“: Menschen werden aus den Fenstern im dritten Stock in den Tod gestürzt, einige Ärzte zusammen mit den Kranken erschossen. Die Häuser werden durchkämmt, wer gefunden wird, auf der Stelle getötet oder zum Zgodyplatz gebracht und dort ermordet.

      Die Opferbilanz der Ghetto-„Liquidierung“: Etwa 1.000 Menschen werden nur an diesen zwei Tagen ermordet, 4.000 deportiert, die Hälfte davon in das Vernichtungslager Auschwitz.

      Am Montag, dem 15. März, erhalten schließlich 40 Mitarbeiter des jüdischen Gesundheitsdienstes den Befehl, die medizinischen Einrichtungen des Ghettospitals nach Płaszów zu übersiedeln. Auf den Röntgenapparat, dem er zuvor noch die Behandlung seiner Fußgeschwüre anvertrauen wollte, glaubt Göth nun allerdings verzichten zu können – er wird beschlagnahmt, abgebaut und ins „Reich“ geschickt. Eine Woche lang werden die Geräte unter SS-Bewachung in die beiden Spitalsbaracken übersiedelt, in denen jeweils 45 Betten aufgestellt werden.

      Leiter des Krankenreviers wird Dr. Leon Gross, ein junger jüdischer Arzt, der in Schlesien deutsche Schulen besucht und sein Medizinstudium in Italien absolviert hat. Gross ist zusammen mit zwei anderen Ärzten bereits seit Dezember 1942 in Płaszów, und obwohl es streng verboten ist, dass jüdische Ärzte „arische“ Patienten behandeln, fasst Göth bald Vertrauen zu dem jungen Mann und überträgt ihm die medizinische Betreuung der deutschen und ukrainischen SS-Wachmannschaften. Ja, er selbst findet nichts dabei, von Gross berührt oder untersucht zu werden – wenn es um seine eigene kostbare Gesundheit geht, spielt der Rassenwahn plötzlich keine so große Rolle mehr. So lässt er einige Schutzimpfungen durch ihn an sich durchführen und später auch seine Diabetes von ihm behandeln. Dafür wird Gross mit Privilegien ausgestattet: Er darf die Uniform eines OD-Mann tragen und sich in ihr frei im Lager bewegen; glaubt man Zeugen wie Jehuda L. Stein, der am 25. Mai 1943 aus dem kleinen Lager Czarny Dunajec nach Płaszów kommt, so entpuppt sich Gross bald als Kollaborateur der schlimmsten Sorte: Er schikaniert seine Ärztekollegen, bereichert sich an den Patienten der „Lagerprominenz“ und arbeitet Göth nur allzu bereitwillig in die Hände. Eine Haltung, die er nach dem Krieg mit dem Leben bezahlen wird: Im Sommer 1945 wird Dr. Leon Gross von den polnischen Polizeibehörden verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

      Es war eine vorbildliche Umsiedlungsaktion, sollte Gerald Reitlinger später in seinem Buch über die „Endlösung“ schreiben.

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