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Davon unterscheiden lässt sich „interner“ Stress, den wir uns in Form von negativen Gedanken und Emotionen selbst machen. Wir Menschen haben dank unserer Großhirnrinde, dem Neocortex, die erstaunliche Gabe, uns das Leben durch negative Gedanken selbst zu vermiesen. Und wir machen tagtäglich mehr oder weniger von dieser Fähigkeit Gebrauch. Wir haben bereits gesehen, wie vor allem das Bewerten und das angstbesetzte Zukunftsdenken Sorgenspiralen in Gang setzen können. Schuldgefühle, aber auch die Angewohnheit, uns ständig mit unseren Mitmenschen zu vergleichen, sind weitere Garanten für negative Emotionen und innerlichen Stress. Hinzu kommt die reichhaltige Palette an Selbstzweifeln und negativen Glaubenssätzen, die uns suggerieren, den Anforderungen der Welt nicht gerecht zu werden. Auch die Angst vor Krankheiten ist ein großer interner Stressfaktor, der viele Menschen von einer Untersuchung zur nächsten hetzen lässt, um „ja auf Nummer sicher zu gehen“.

      Die heutige Forschung zeigt, dass solch „interner Stress“ in Form von negativen Gedanken die Stressreaktion des Körpers in gleichem Maße aktiviert wie reale Bedrohungen der Außenwelt. Letztlich aber führt jeglicher externe Stressfaktor über die Art und Weise, wie wir über ihn denken und diesen Lebensumstand bewerten, schließlich zu internem Stress und setzt folglich die Stressreaktion in Gang. Im Umkehrschluss können wir daher auf jegliche Art von Stresserleben positiven Einfluss nehmen, und zwar über unsere Art zu denken und zu fühlen.

       Wenn das Angstzentrum feuert

      In unserem Gehirn gibt es eine ganz zentrale Struktur, die darüber „entscheidet“, ob die Stressreaktion eingeleitet wird oder nicht. Es handelt sich um den Mandelkern, die Amygdala, eine paarig angelegte Region im Gehirn, die gemeinhin als „das Angstzentrum“ bezeichnet wird. Sie spielt bei der Emotionsverarbeitung im Allgemeinen, insbesondere jedoch bei Angst und Aggression, eine ganz zentrale Rolle. Als biologischer Radar für Gefahren springt die Amygdala immer dann an, wenn wir irgendeine Form von Bedrohung wahrnehmen, ob nun real in der Außenwelt oder erdacht in der Innenwelt.

      Sämtliche Informationen der Außenwelt, die wir über die Sinnesorgane aufnehmen, gelangen über den Thalamus, das sogenannte „Tor zum Bewusstsein“ zur Amygdala. Bei akuten Bedrohungen wird die Amygdala auf direktem Weg, ohne Umschweife aktiviert und leitet ein blitzschnelles Reaktionsmanöver ein. Sind Sie schon einmal beim Anblick einer großen Spinne oder Schlange ganz plötzlich zur Seite gesprungen und wurde Ihre groteske Bewegung dabei gar von einem unbeabsichtigten Kreischen begleitet? Dann haben Sie erlebt, wie die Amygdala in Sekundenbruchteilen die Führung über den Körper übernimmt und das bewusste Denken umgeht. Diese automatisierten Reaktionen sind evolutionär tief in unser Gehirn einprogrammiert und ausgesprochen sinnvoll, da sie unser Überleben sichern. Ohne unseren vergleichsweise langsamen Denkapparat beanspruchen zu müssen, „entscheidet“ die Amygdala in bedrohlichen Situationen für uns und leitet eine lebensrettende Stressreaktion ein.

      Die mit Abstand häufigsten Gründe für die Aktivierung der Amygdala sind in den Industrienationen allerdings psychologischer Natur. Nicht plötzlich auftauchende wilde Tiere befeuern das Angstzentrum, sondern das eigene Denken. Denn nicht nur Informationen der Außenwelt, sondern auch die Inhalte unserer Gedanken und Emotionen landen bei der Amygdala und sie entscheidet dann vereinfacht gesagt darüber, ob es sich bei diesen Informationen um ein potenziell bedrohliches Szenario handelt oder nicht. Wird das, was wir äußerlich oder innerlich erleben, als ungefährlich und harmlos eingestuft, dann bleibt die Amygdala ruhig und der Parasympathikus dominiert als nervlicher Ruhepol das Geschehen. Der Körper entspannt sich. Wenn aber das, was wir gerade erleben, ob real oder in Gedanken, eine Bedrohung darstellt, dann wird die Amygdala hochaktiv und versetzt das Gehirn in Alarmbereitschaft. Sie schickt ein Signal an den Hirnstamm, der auch gerne als Reptiliengehirn bezeichnet wird, was zur Aktivierung des Sympathikus führt. Noradrenalin flutet das Gehirn und die Nebenniere beginnt, Adrenalin und Kortisol in die Blutbahn auszuschütten. Diese Stresshormone bewirken nun, dass der Körper in den überlebenswichtigen Flucht- oder Kampfmodus übergeht. Was kurzfristig dem Überleben dient, wirkt sich langfristig jedoch negativ auf unsere Gesundheit aus. Erhöhter Blutdruck sowie ein Anstieg der Blutzucker-und Fettwerte sind die Folge und begünstigen die Gefäßverkalkung. Die Umlenkung des Blutstroms hin zur Arm- und Beinmuskulatur und weg von den Bauchorganen hat zur Folge, dass die Magenschleimhaut schlechter durchblutet wird und eine dünnere Schutzschicht aufbaut. Die aggressive Magensäure kann die Magenschleimhaut dadurch stärker angreifen, weshalb ein permanent hoher Stresspegel zu einer Magenentzündung oder gar einem Magengeschwür führen kann. Viele andere gesundheitsschädigende Folgen sind zudem auf Veränderungen des Immunsystems zurückzuführen, welches durch Stress gehörig aus der Balance gerät.

       Stress und Immunsystem – von Schwertkämpfern und Bogenschützen

      Seit dem Ende des letzten Jahrtausends gewinnt eine neue Forschungsdisziplin immer größere Bedeutung in der Medizin: die Psychoneuroimmunologie. Dieses Forschungsfeld gibt uns zunehmend Einblicke in die Verzahnung der Psyche mit den Funktionsweisen des Immunsystems und zeigt uns dadurch, wie Körper und Geist zusammenspielen und permanent ineinandergreifen.

      Stellen Sie sich das Immunsystem einmal vor wie eine Streitmacht, die unseren Körper vor Eindringlingen bewahrt und im Sinne des Katastrophenschutzes zur Stelle ist, wenn Reparatur-und Heilvorgänge im Körper notwendig sind. Wie ein altertümliches Heer auf dem Schlachtfeld steht diese Verteidigungsarmee einer Schar von Abertausenden feindlichen Angreifern gegenüber. Während Viren, Bakterien und Parasiten auf der Gegenseite Stellung beziehen, formieren sich die Zellen des Immunsystems zu unterschiedlichen Kampfeinheiten mit jeweils hoch spezialisierten Waffen. Das Immunsystem besteht dabei im Wesentlichen aus zwei Teilen: der Nahkampfeinheit, die als vorderste Frontlinie die Angreifer „mit Schilden und Schwertern“ attackiert, und den Bogenschützen, die in zweiter Reihe aus der Ferne wirken.

      Die Frontkämpfer werden in der Medizin das angeborene Immunsystem genannt, weil sie uns bereits von Geburt an in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Sie bekämpfen Viren und Bakterien und sorgen für die Wundheilung. Aber auch die Krebszellenbekämpfung gehört zu den Aufgaben dieser Zellen: Das angeborene Immunsystem erkennt mutierte Zellen, die laufend im Körper entstehen, und zieht sie sofort aus dem Verkehr. Diese wichtige Verteidigungslinie wird durch akuten Stress leider erheblich geschwächt.

      Zu Beginn einer Stresssituation nimmt die Aktivität des angeborenen Immunsystems durch die Ausschüttung von Noradrenalin zunächst kurz zu. Wir erkennen dies an vermehrten Entzündungsreaktionen, die die Alarmbereitschaft des Körpers signalisieren. Besteht die stresshafte Situation jedoch fort, wird zusätzlich Kortisol aus der Nebennierenrinde ausgeschüttet. Dieses Hormon pfeift die Frontkämpfer wieder hinter die Angriffslinie zurück. In der Folge verringert sich die Abwehrleistung gegenüber Viren und die Wundheilung verzögert sich.

      Dieser Effekt wurde durch viele Studien belegt und ließ sich anhand eines Versuchs mit Zahnmedizinstudenten in den USA sehr anschaulich und eindrucksvoll nachweisen. Die Wissenschaftler wollten dabei herausfinden, wie sich Stress auf die Geschwindigkeit der Wundheilung auswirkt. Zu diesem Zweck wurden Studierende der Zahnheilkunde in ein Labor gebeten, wo sie sich einem ungewöhnlichen Prozedere unterziehen mussten. Es wurde ihnen mit dem Skalpell ein 3,5 mm breiter und 1,5 mm tiefer Schnitt am harten Gaumen gesetzt. Zu allem Überdruss mussten die Probanden diese Prozedur sogar zwei Mal über sich ergehen lassen: einmal in der prüfungs- und vorlesungsfreien Zeit und ein weiteres Mal drei Tage vor der ersten großen Semesterprüfung. Die Forscher untersuchten, wie sich der subjektiv empfundene Stresslevel der Studenten, den sie mit Messungen des Kortisolspiegels und psychologischen Fragebögen objektivierten, auf den Verlauf der Wundheilung auswirkte. Das Ergebnis war erstaunlich: In der Ferienzeit dauerte es im Durchschnitt lediglich acht Tage, bis sich die Wunden wieder vollständig verschlossen hatten. In der stressigen Prüfungszeit brauchten die Wunden durchschnittlich elf Tage und somit drei Tage länger, um sich vollständig zu verschließen. Es kam also zu einer Wundheilungsverzögerung von etwa 40 Prozent, nur durch Stress! 2

       Schon wieder krank im Urlaub

      Wenn wir Schnupfen, Fieber und andere Erkältungssymptome

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