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die freudvollen Aspekte des Lebens erinnern und positive Emotionen auslösen. Das Bild einer schöneren Zukunft können wir sogar ganz bewusst einsetzen, damit es uns durch schwierige Zeiten hindurch trägt. Diese Form des Zeitdenkens wirkt sich positiv auf unser Leben aus und vermag momentane Problemsituationen entscheidend zu erleichtern. Doch wenn das Zeitdenken negativ gefärbt ist, birgt es erhebliches Störungspotenzial und kann zur Ursache seelischen Leidens werden.

      Das „Kopfkino“ ist ein Begriff, der das Gefangensein im Denken und damit häufig in der Zeitdimension sehr gut beschreibt. Anstatt uns mit allen Sinnen dem Hier und Jetzt zu öffnen und uns somit dem Einzigen zu widmen, das jemals existiert, sitzen wir oft weite Strecken des Tages oder gar des ganzen Lebens in einem mentalen Kinosaal mit zwei Leinwänden. Auf der linken Leinwand läuft in Wiederholungsschleifen der Film der Vergangenheit, während sich auf der rechten Leinwand ständig neu formende Szenen einer erdachten Zukunft abbilden. Das tatsächliche Leben spielt sich währenddessen auf den Straßen der Gegenwart außerhalb des Kinosaals ab. Doch allzu häufig verpassen wir es, weil unsere Aufmerksamkeit vornehmlich von unseren Gedanken und den Geschichten, die sich auf den Leinwänden abspielen, in Beschlag genommen wird. Wenn Menschen am Ende ihrer Tage davon sprechen, am Leben „vorbeigelebt“ zu haben, dann mag es an dem Umstand liegen, nie wirklich im Hier und Jetzt präsent gewesen zu sein, sondern sich die meiste Zeit im Grübeln über die Vergangenheit oder dem Wälzen von Zukunftsplänen verloren zu haben und den eigenen Wünschen in der Gegenwart nicht gefolgt zu sein. Doch die Zukunft gibt es nicht. Sie führt eine Scheinexistenz in unserem Kopf und das Gleiche gilt für die Vergangenheit. Obwohl uns beide so real erscheinen, erleben wir dennoch immer nur diesen einen Moment des Hier und Jetzt. Zwar hat die Vergangenheit eine Bedeutung für uns; sie schwingt in Form von Gedanken, Emotionen und Reaktionsmustern als Folge unserer Prägungen in das gegenwärtige Erleben hinein. Doch noch wichtiger ist es, mit unserer Aufmerksamkeit im Jetzt präsent zu sein und diese Prägungen der Vergangenheit ganz bewusst wahrzunehmen, um auf konstruktive Weise mit ihnen umzugehen, anstatt sie unbewusst auszuagieren.

      Der Vergangenheit im therapeutischen Sinne einen Besuch abzustatten, um Emotionen an die Oberfläche zu holen, die zuvor im Untergrund ihr Unwesen trieben, hat natürlich seine Berechtigung und kann wesentlich zur Befreiung des Geistes beitragen. Manche Menschen blicken aber hauptsächlich auf die linke Leinwand und beschäftigen sich übermäßig viel mit ihrer Vergangenheit. Sie hoffen, dort eine Erklärung oder gar eine Lösung für ihren seelischen Zustand zu finden, indem sie ihre eigene Lebensgeschichte immer wieder psychoanalytisch durchdenken. Doch wenn wir längst Vergangenes unaufhörlich wiederkäuen und dadurch den Bezug zur Gegenwart verlieren, kann dieser Fokus auf die Vergangenheit die transformierenden Möglichkeiten des Hier und Jetzt verschleiern.

       Es reicht, wenn wir uns darum kümmern, was jetzt gerade geschieht, und es wird auch in Zukunft nie etwas anderes geben als das immerwährende Jetzt.

      Während die Leinwand der Vergangenheit die Quelle von Schuldgefühlen und Bedauern darstellt, ist die Leinwand der Zukunft die kreative Geburtsstätte unserer Ängste. Ängste und Sorgen entstehen dadurch, dass wir uns mit möglichen Worst-Case-Szenarien beschäftigen, die in einer fiktiven Zukunft auf uns lauern. Da die Zukunft aber nie den Weg ins Hier und Jetzt findet und wir selbst nie dort ankommen, können wir sie auch nicht bewältigen. Wir können nur Herausforderungen des gegenwärtigen Moments meistern, nicht jedoch ein erdachtes Konstrukt wie die Zukunft, weil es nicht real existiert. Daher fühlen wir uns verständlicherweise machtlos, wenn wir sorgenvoll in die Zukunft blicken. Die beruhigende Nachricht ist: Es reicht, wenn wir uns um das kümmern, was jetzt gerade geschieht, und es wird auch in Zukunft nie etwas anderes geben als das immerwährende Jetzt.

      Betrachten wir für einen Moment lang das Leben der Tiere. Sie hegen keine Schuldgefühle oder etwa Bedauern über die Vergangenheit und sie werden auch nicht von Zukunftsängsten heimgesucht. Sie denken nicht an gestern, und würde man sie zu ihren Plänen für morgen befragen, würde man wohl ratlose Blicke ernten. Ihre Aufmerksamkeit ruht ausschließlich auf dem Hier und Jetzt.

       Praxis

      Stellen Sie sich für einen Moment vor, wie sich dieser animalische, zeitlose Zustand anfühlt. Wie wäre es, wenn Sie keine Idee von Ihrer Vergangenheit und Zukunft hätten? Wenn Ihre Biografie mit einem Mal verschwunden wäre? Tauchen Sie ganz in diese Vorstellung ein. Was würde übrig bleiben?

      Betrachten Sie die Wunder dieser Welt, die Sie gerade umgeben, mit der hellen Wachsamkeit eines Neugeborenen. Spüren Sie hinein in dieses Staunen, wenn Sie mit weit geöffneten Augen und Ohren den jetzigen Moment auf sich wirken lassen – frei von Konzepten und Begrifflichkeiten.

      Praxistipp: Sie können untertags immer wieder bewusst in diese Vorstellung hineingehen, weder Vergangenheit noch Zukunft zu besitzen. Beobachten Sie, wie dieser Perspektivenwechsel Ihre Haltung zum gegenwärtigen Moment, aber auch zu etwaigen Problemen verändert.

      Im Laufe des Buches werden wir das Gegenwartsbewusstsein trainieren und die Aufmerksamkeit immer wieder aus dem Problemdenken abziehen, um den Geist aus den Fängen der Zeit zu befreien. Sehen wir uns im folgenden Kapitel an, wie der Geist mit dem Körper interagiert und welche Rolle das Gehirn und das autonome Nervensystem dabei spielen. Wir gehen der Frage nach, wie Negativdenken in Form von Sorgen und Ängsten Stressreaktionen im Körper auslöst und das Immunsystem aus der Balance bringt und wie wir mit positiven Gedanken und Emotionen heilsam gegensteuern können.

       DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

      • Bewerten und Urteilen machen aus Tatsachen Probleme.

      • Das Denken in zeitlichen Zusammenhängen erzeugt Geschichten und häufig Dramen aus dem gegenwärtig Erlebten.

      • Leiden entsteht durch Bewertung, innere Ablehnung und Ausdehnung des gegenwärtigen Moments auf die Zeitachse.

      • Durch Fokussierung auf die Gegenwart und die mitfühlende Annahme dessen, was gerade geschieht, können wir aus dem Problemdenken aussteigen.

      • Auf das Hier und Jetzt können wir Einfluss nehmen. Es ist jener Ort, an dem wir die zukünftige Gegenwart aktiv gestalten können.

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      Das autonome Nervensystem – Dirigent im Symphonieorchester des Lebens

      Der menschliche Körper besteht aus etwa 40 Billionen Zellen, die alle für sich ein wahres Universum an Lebendigkeit und Stoffwechselaktivitäten in sich tragen. Atome verbinden sich zu Molekülen und organisieren sich weiter zu aminosäurehaltigen Proteinen und Enzymen, die der Zelle sowohl Struktur als auch die Fähigkeit zu handeln ermöglichen. Hunderttausend chemische Reaktionen laufen pro Sekunde in jeder einzelnen Zelle ab. Ein Feuerwerk der Chemie, von dem unser bewusster Geist an der Oberfläche weder Notiz nimmt noch sich darum zu kümmern braucht. Doch wer gibt all diesen Zellen und den Atomen darin seine Ordnung? Was koordiniert diese hochkomplexen Organsysteme, die so synchronisiert zusammenspielen, um der Symphonie des Lebens den notwendigen Rhythmus einzuhauchen?

      Um besser zu verstehen, wie Körper und Geist interagieren, müssen wir das autonome Nervensystem genauer unter die Lupe nehmen, denn es ist der entscheidende Link zwischen unserer Gefühlswelt und den Funktionsweisen unserer Zellen. Das autonome oder auch vegetative Nervensystem ist jener Dirigent, der das fein abgestimmte Zusammenspiel der Organe orchestriert und auch das Immunsystem wesentlich beeinflusst. Ohne daran denken zu müssen, regelt das autonome Nervensystem, kurz ANS, im Hintergrund unseren Herzschlag, die Atmung und die Verdauung. Es moduliert den Blutdruck und viele andere Körperfunktionen, die im Inneren ganz von selbst ablaufen. Die Hauptaufgabe des ANS besteht darin, unseren Körper immer an die jeweilige Situation anzupassen, in der wir uns gerade befinden. Je nachdem, ob wir gerade joggen oder bei einem ausgedehnten Abendessen mit Freunden ein Glas Rotwein genießen, müssen jeweils unterschiedliche Organsysteme auf Hochtouren arbeiten, um den Anforderungen des jeweiligen Moments gerecht zu werden. Wie beim Autofahren, wo man Geschwindigkeit und Fahrverhalten ständig an die gegebenen Straßenbedingungen, Tempozonen und das Verkehrsaufkommen anpassen muss, existieren

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