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als funktionelle Gegenspieler. Der Sympathikus wirft den Motor an und beschleunigt den Organismus, während der Parasympathikus das System herunterbremst und beruhigt.

      Wenn wir beispielsweise Sport treiben oder in Stress geraten, dann steigt das ANS aufs Gas und die Nervenfasern des Sympathikus beginnen zu feuern. Dabei werden seine Botenstoffe, die Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin, ausgeschüttet. Der Körper schaltet in einen höheren Gang. Puls, Atemfrequenz und Blutdruck steigen an und der Muskeltonus erhöht sich, was manchmal als Verspannung im Nacken spürbar wird. Das System geht in die Erregungsphase über und sämtliche Energiereserven des Körpers werden mobilisiert. Gespeicherte Fett- und Kohlenhydratvorräte werden angezapft und in die Blutbahn abgegeben, damit die Zellen genügend Kraftstoff für die Verbrennung zur Verfügung haben. Je höher die Drehzahl des „Motors“, desto mehr Energie wird verbraucht. In der maximalen Sympathikusaktivierung schaltet der Körper auf Alarmstufe Rot und aktiviert die Flucht-, Kampf oder Erstarrungsreaktion. Jetzt geht es physiologisch ums nackte Überleben! Das Blut zieht sich aus den Verdauungsorganen zurück und strömt in die Arme und Beine. Keine Zeit für Verdauung und Nahrungsaufnahme, der Körper muss kämpfen oder flüchten!

      Dieses evolutionär sehr alte Reaktionssystem hat sich entwickelt, um Situationen zu entkommen, in denen Leib und Leben bedroht sind. Solche Situationen gab es zu Zeiten der frühen Menschen bekanntlich viele, beispielsweise wenn Angriffe wilder Tiere das Leben unserer Vorfahren bedrohten. Heutzutage sind wir derartigen Bedrohungen kaum mehr ausgesetzt. Die heutigen Säbelzahntiger haben eher an unserem Arbeitsplatz Stellung bezogen, laufen über den Bildschirm der täglichen Nachrichten oder tragen den Namen eines streitsüchtigen Nachbarn. Unsere physische Existenz ist dabei nur selten in Gefahr. Die Stressantwort des Körpers ist allerdings nach wie vor dieselbe wie damals und sie verbraucht dabei Unmengen an Energie.

      Was die Natur einst für kurze Ausnahmemomente entwickelte, ist heute für viele Menschen zum täglichen Normalzustand geworden. Das Gefühl, ständig innerlich angespannt zu sein, Verhärtungen der Nackenmuskulatur, erhöhter Blutdruck und schneller Puls sowie Schlafstörungen weisen auf diese erhöhte Aktivität des Sympathikus hin. In den Industrienationen ist das Leben in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr schnelllebig geworden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Stresslevel kontinuierlich ansteigt. Deutlich veranschaulicht dies die hohe Anzahl stressbedingter Erkrankungen in den Arztpraxen. Im Unterkapitel „Die Sprache des Herzens verstehen“ werden wir sehen, wie eine Messung des Herzschlagmusters Auskünfte über die Funktionsweise des ANS gibt und wie wir durch den Einsatz der Atmung das Bremspedal der Entspannung, sprich den Parasympathikus, aktivieren und somit dem Stress entgegenwirken können. Die parasympathischen Nervenfasern mit ihrem Hauptnerv, dem Vagusnerv, sind nämlich zuständig für Reparatur und Erholung. Sämtliche Heilvorgänge des Körpers finden unter ihrem Einfluss statt. Der Parasympathikus bringt Ruhe ins System, und ist er aktiv, so sinken Blutdruck und Herzfrequenz und die Verdauungsorgane werden gut durchblutet. Nährstoffe aus der Nahrung können so optimal aufgenommen und im Körper verteilt werden, sämtliche Energiereserven werden wieder aufgebaut. Seine größte Wirkung entfaltet der Parasympathikus dabei im Schlaf. Gehen wir zu Bett, dann stellen wir den Motor unserer Karosserie in seiner Reparaturwerkstatt ab und lassen den Parasympathikus für ein paar Stunden an den heilenden Schrauben drehen.

      Ausreichender und erholsamer Schlaf ist für unseren Körper also genauso bedeutsam wie regelmäßige Aktivierungsphasen. Unsere Gesundheit ist getragen von einer Balance im autonomen Nervensystem und dem lebendigen Spiel der beiden Kräfte Anspannung und Entspannung. Übermäßiger Stress bringt diese Balance allerdings aus dem Gleichgewicht und dies hat negative Auswirkungen auf unser Immunsystem. Sehen wir uns nun an, wodurch die Stressspirale des Körpers in Gang gesetzt wird und wie sich akuter und chronischer Stress auf die Immunzellen auswirkt.

       DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

      • Das autonome Nervensystem passt den Körper an die Anforderungen des gegenwärtigen Moments an.

      • Für diese Anpassungsmechanismen besitzt es ein Gas- und ein Bremspedal.

      • Der Sympathikus gibt Gas und erregt den Körper.

      • Der Parasympathikus bremst den Körper und beruhigt ihn; er sorgt für Regeneration und Erholung.

      • Eine ausgewogene Balance im ANS ist wesentlich für die körperliche Gesundheit.

      Stress und seine Folgen – das Universum der Psychoneuroimmunologie

      2006 war ein herausfordernder Sommer für die Notfallambulanzen im Großraum München. An vereinzelten Tagen zwischen dem 9. Juni und dem 9. Juli schienen die Krankenhäuser förmlich überzugehen mit Patienten, die mit akuten Herzerkrankungen eingeliefert wurden. Speziell an sieben Tagen dieses Zeitraums verzeichnete die Notfallstatistik einen Anstieg an lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen auf das Dreifache und es wurden mehr als doppelt so viele Herzinfarkte registriert wie zu anderen Zeiten.1

      Für das medizinische Personal war diese unvorhergesehene Arbeitsbelastung doppelt bitter, denn viele hätten sich über vereinzelte Arbeitspausen gefreut, um wenigstens ein paar Minuten der Fußball-WM-Spiele im Fernsehen zu verfolgen, die gerade im eigenen Land stattfanden. Doch leider schienen die Patientenzahlen immer genau an jenen Spieltagen zu explodieren, an denen die eigene Nationalmannschaft ums Weiterkommen kämpfte. Das Viertelfinale am 30. Juni, in welchem Deutschland Argentinien in einem Elfmeterkrimi bezwang, brachte die allermeisten Herzen mit Blaulicht in die Spitäler! Interessanterweise waren Männer deutlich mehr von dieser Aufregung betroffen und wurden beinahe doppelt so häufig eingeliefert wie Frauen.

      Kann man sich wirklich „zu Tode aufregen“? Die Forschung sagt Ja. Emotionen treiben das autonome Nervensystem an, aktivieren den Sympathikus und können Blutdruckkrisen und Entzündungsvorgänge im Körper befeuern, die Herzinfarkte auslösen. Wie stark die Wirkung von Emotionen auf die Physis sein kann, zeigt der Anstieg an Herzattacken deutscher Patienten ausschließlich an jenen Tagen, an denen die deutsche Nationalelf spielte. An den restlichen Spieltagen der vierwöchigen WM, die ohne deutsche Beteiligung stattfanden, wurde die sonst übliche Anzahl an akuten Herzerkrankungen registriert. Allein das Finale zwischen Italien und Frankreich, bei dem es ebenfalls zu einer deutlichen Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse in der deutschen Bevölkerung kam, bildete eine Ausnahme. Das einzige Match der eigenen Mannschaft, das die Deutschen emotional wenig zu kümmern schien, war das Spiel um Platz drei, das Deutschland gegen Portugal 3:1 gewann. Dieses weniger bedeutsame „kleine Finale“ ließ die deutschen Herzen kaum höherschlagen und in den Notaufnahmen blieb es ruhig.

       Stress – eine reine Kopfsache?

      Dieses Beispiel zeigt, wie stark emotionaler Stress unsere körperliche Gesundheit gefährden kann und wie bedeutsam es ist, diesem Stress bewusst gegenzusteuern. Stress ist in unserer Zeit in aller Munde und scheint für viele ein dauerhafter Begleiter zu sein. Der Begriff Stress beschreibt jedoch prinzipiell nichts Negatives. Einer der bekanntesten Stressforscher, der gebürtige Österreicher Hans Selye, definierte Stress einst als natürliche Anpassungsreaktion des Körpers auf jegliche Anforderung. Die Anforderung wird dabei als Stressor bezeichnet. Kann der Organismus sich an die Anforderung anpassen und ein neues Gleichgewicht herstellen, dann spricht man vom Eustress. Diese Form von gesundem Stress kann sogar sehr belebend sein und für unsere körperlich-geistige Entwicklung sozusagen die Würze in der Suppe. Nehmen die Stressoren allerdings überhand und übersteigen sie unsere körperlich-geistigen Ressourcen, dann erleben wir den negativen Stress, auch Distress genannt. Wenn ich im weiteren Verlauf von Stress spreche, dann meine ich diesen gesundheitsschädigenden Distress, der unsere Adaptationsfähigkeit übersteigt und das System aus der Balance bringt.

      Bevor wir die Auswirkungen von Stress auf den Körper genauer betrachten, ist es wichtig, zwischen „externen“ und „internen“ Stressoren zu unterscheiden. Externer Stress entsteht, wenn irgendetwas in der Welt um uns herum geschieht, das in uns Stress erzeugt. Dies kann eine Erkrankung oder der Tod eines geliebten Angehörigen sein. Ein Jobverlust oder hoher Arbeitsdruck im Beruf. Streitigkeiten mit dem Partner oder den eigenen

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