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deine Mutter da?«

      »Ja«, rief ich in die Küche hinüber, »Mama, Herr Grasshof ist hier. Er will dich sprechen.«

      Meine Mutter erschien im Rahmen der Küchentür, musterte Grasshof neugierig.

      »Kann ich reinkommen?«

      Meine Mutter nickte, ging vor Grasshof in die Küche, räumte das Bügeleisen und die Bügeldecke zur Seite, bot ihm ihren Küchenstuhl an.

      »Frau Schaller, Edgar und ich wir spielen in einer Fußballmannschaft. Er hat sich während des Spiels heute den Arm gebrochen. Er ist jetzt im Krankenhaus. Ich bin mit dem Krankenwagen mitgefahren und bin dann gleich hierhergekommen.«

      »Mein Gott«, meine Mutter, zog den Waschhocker unter dem Küchentisch hervor, setzte sich, schlug die Hände vors Gesicht, »ist es schlimm?«

      »Im Krankenhaus kriegen die das schon wieder hin.« Grasshof schob meiner Mutter einen Zettel zu. »Er liegt in der Chirurgie, Zimmer 211.«

      Grasshof ging wieder. Meine Mutter lief ins Schafzimmer, holte ihr Kostüm aus dem Kleiderschrank, fuhr mich an: »Beeil dich, du kommst mit.« Unten auf der Straße sagte sie:« Du gehst jetzt zu Barbara, sagst, was passiert ist. Ich gehe schon los.«

      Es dauerte, ehe Barbara ihre Wohnungstür öffnete. Sie sah verschlafen aus, gähnte, blickte mich missgelaunt an: »Ist was passiert?«

      »Ja, Edgar hat sich den Arm gebrochen, liegt im Krankenhaus.«

      Barbara war sofort hellwach. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht und sie begann zu heulen. Julie, ihre Tochter, klammerte sich an ihr Bein, begann ebenfalls zu heulen. Barbara rannte in ihr Wohnzimmer, zog sich an, warf den Mantel über, setzte Julie auf die Flurgarderobe, zog ihr die Jacke an, schnürte ihr hastig die Schuhe zu.

      Barbara konnte es nicht erwarten, aus der Straßenbahn zu steigen, schaute immer wieder ungeduldig in Richtung des Fahrers, wollte, ohne nach rechts und links zu gucken, die Fahrbahn überqueren. Ich riss sie am Arm zurück, als ein Auto angefahren kam. Auf der anderen Straßenseite wunderte ich mich, wie Barbara in ihrer Körperfülle so schnell gehen konnte. Manchmal machte sie eilige Schritte, rannte ein Stück, zog Julie hinter sich her, schimpfte mit ihr: »Trödele nicht so.« Vor dem Treppenaufgang zu den Krankenstationen hielt sie inne, rang nach Luft.

      »Geh vorneweg«, sagte ich, nahm Julie auf den Arm.

      Als ich ins Zimmer trat, hatte Barbara ihren Kopf in die rechte Schulter meines Bruders vergraben, schluchzte. Ich ging mit Julie näher an das Krankenbett heran. Barbara hob den Kopf, setzte Julie neben die Brust ihres Vaters.

      »Papi, bist du krank?«, fragte Julie, betrachtete neugierig den eingegipsten Arm, der in einer Schlinge am Krankenbettgalgen hing.

      »Wird schon alles wieder gut«, tätschelte mein Bruder zärtlich den Kopf seiner Tochter.

      Meine Mutter und Barbara standen vor dem Bett, wischten sich mit ihren Taschentüchern die Augen trocken.

      »Woher wisst ihr überhaupt, dass ich hier bin?«

      »Ein Herr Grasshof war bei uns. Er ist mit dir hier ins Krankenhaus gefahren«, sagte mein Mutter.

      »Aha, Grasshof. Er ist ein feiner Kerl.«

      »Grasshof spielt mit in deiner Mannschaft?«, fragte ich neugierig.

      »Er ist unser Rechtsaußen. Der Kerl ist schnell und hat ganz schöne Kraft in den Fußgelenken. Aber«, grinste mein Bruder, »manchmal ist er schneller als der Ball.«

      »Der scheucht uns ganz schön.«

      »Grasshof will jetzt Fußballtrainer werden. Er ist seit letztem Jahr geschieden. Zu Hause fällt ihm die Decke auf den Kopf. Und er ist wieder auf Brautschau.«

      Es war ein trüber Regentag. Noch am Morgen schien die Sonne zwischen den Wolken, doch gegen Mittag überzog sich der Himmel mit einem undurchdringlichen Grau. Wir trainierten trotzdem. Auch Marion war da. Sie stand, eingehüllt in ein durchsichtiges, grün schimmerndes Regencape, hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen.

      Nach der Übungsstunde stand sie mit dem Regencape und der Kapuze vor dem Eingang zu unseren Umkleidekabinen. Ich ging auf sie zu, zog ihr die Kapuze vom Kopf, holte das Handtuch aus meiner Sporttasche, rieb zärtlich ihr Gesicht trocken. Marion hielt mir ihr Gesicht entgegen, sah mich aus ihren Augen warm und dankbar an. Ich konnte nicht anders, als sie zu umarmen, mein Gesicht an das ihre zu legen. Es fiel mir schwer mich aus der Wärme zu lösen, die von ihrer Haut kam. »Gehen wir.« Ein wenig verlegen blickte sich Marion um, ob uns jemand beobachtet hatte. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und wir gingen aneinander gelehnt zur Straße.

      Der Regen wurde stärker. Marion zog wieder ihre Kapuze auf. Wir flüchteten in einen Hauseingang.

      »Wohin gehen wir jetzt?« Ratlos sah Marion den Passanten nach, die unter Regenschirmen an uns vorübereilten.

      »Da drüben ist ein Kiosk.« Ich fasste in meine Hosentasche. »Ein bisschen Geld habe ich. Für eine Bockwurst wird es reichen.« Marion nickte. »Ein bisschen Geld habe ich auch noch.«

      Wir traten in den Raum des Imbisses. Ein feuchter Dunst, der von der nassen Kleidung der Gäste aufstieg und sich mit dem Geruch von Essen mischte, empfing uns.

      Der Raum war ein geräumiger viereckiger Schlauch. An die Wände waren Ablagebretter geschraubt. In der Mitte reihten sich von Wand zu Wand Stehtische. An der rechten Rückwand hing ein Spielautomat, blinkte sein buntes Licht durch den Raum. In der Mitte des Schlauches war die Verkaufstheke gebaut. Durch das Glas der Wärmetheke waren die Schalen von Gulaschsuppe, Kartoffelsalat, Schnitzel und Gemüsesalaten zu erkennen. Daneben waren belegte Brötchen mit Schnitzelfleisch, Klopsen, Schinken, garniert mit Blattsalat und Eischeiben ausgelegt. Es gab keinen Bierausschank. Die Getränke, Bier, Limonade, Selters, Saft wurden in Flaschen ausgegeben.

      Der Gastraum war voller Männer in Firmenanzügen. Sie gingen zur Verkaufstheke, sahen zu, wie die schmale Frau hinter der Theke die belegten Brötchen, die Bockwurst auf die Teller legte, mit der Schöpfkelle die Suppen in die großen Tassen füllte. Die Männer legten ihre Geldscheine auf den Tisch, suchten sich einen Platz an den Stehtischen. In der Ecke neben dem Spielautomaten saßen Gestalten mit langem, ungewaschenem Haar und schmuddeligen Jacken. Sie saßen sich am Tisch schweigend gegenüber, starrten auf ihre Bierflaschen. Manchmal warfen sie sich Worte zu, um dann wieder in ein dumpfes Schweigen zu verfallen. Ab und zu stand einer auf, ging zum Spielautomaten. Wenn der Apparat klingelte und Münzen auswarf, ging der Spieler triumphierend zurück an den Tisch. Wenn er sich dann zur Theke vordrängelte, um für sich und seine Kumpanen eine neue Flasche Bier zu kaufen, wurde gemurrt.

      »Was soll ich machen«, wehrte sich die Wirtin. »Sie stehen jeden Abend hier vor der Tür. Sie trinken ihr Bier, aber tun niemandem etwas. Soll ich sie bei dem Regen da draußen stehen lassen?«

      Ich drängte mich zwischen die Männer, kaufte für mich und Marion eine Bockwurst und eine Limonade, suchte uns einen Platz an den Stehtischen. In der hinteren linken Ecke rückten drei Männer zusammen, damit wir unser Geschirr auf den Tisch stellen konnten.

      Die Männer grinsten uns an, musterten Marion unverhohlen. »Man müsste noch einmal jung sein«, murmelte einer von ihnen. Als Marion ängstlich aufblickte, legte ihr Nachbar seine Hand auf ihren Arm. »Keine Angst Mädchen. Wenn ich jetzt nach Hause komme ist meine Tochter da. Die ist genauso jung und hübsch wie du.«

      Wir aßen unsere Wurst, teilten uns die Limonade. Ein älteres Ehepaar kam herein, kaufte sich Gulasch. Energisch blickte die Frau sich nach einem freien Platz um, sah unsere leeren Teller. Sie kam auf unseren Tisch zu. »Sie sind doch fertig?« Resolut packte sie unsere Teller ineinander, rief ihren Mann zu sich.

      Marion und ich gingen wieder hinaus, standen ratlos vor der Tür. Der Regen prasselte jetzt. »Wir können zu mir gehen«, sagte Marion vorsichtig.

      »Und deine Eltern?«

      »Mein Vater ist ausgezogen. Er hat einen Reparaturstützpunkt in einer großen Agrargenossenschaft übernommen. Er wohnt

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