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es noch einmal, als die Hinterachse in die Kuhle hüpfte. Jetzt hatte es vermutlich den Auspuff erwischt, denn der Polo röhrte nun wie ein Panzer. Die Baufirma, die diese Spielstraße angelegt hatte, verstand wirklich etwas von ihrem Handwerk.

      Billstein war eine Frau, Anfang 20. Sie steckte in einem hautengen, samtigen Kostüm und bewegte sich wie eine Gepardin vorwärts. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Billstein wegen seiner Unpünktlichkeit eine beachtliche Szene zu machen. Doch dieser Anblick hätte mich auch für eine zweistündige Verspätung entschädigt. Bei jedem Atemzug wurde ihr üppiger Busen wie von einer Luftpumpe aufgeblasen. Für das Kleid war es eine Gnade, dass es über einen hohen Stretchanteil verfügte.

      Bemerkenswert, wie sie auf den an ihrem VW Polo entstandenen Schaden reagierte. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich mich zur Bestandsaufnahme erst einmal wütend unter den Wagen geschmissen und anschließend den Oberstadtdirektor und das zuständige Bauamt angezeigt.

      Sie schaute nur kurz auf den verbogenen Auspuffstummel, zuckte mit den Achseln, lachte schrill auf und flötete: „Die Autos sollten alle ein bisschen höher gelegt werden.” Das war bei ihr bereits geschehen. Ihr prachtvoller Oberbau wurde von nicht enden wollenden Schenkeln getragen. Britta warf ihr einen eifersüchtigen Blick zu.

      Fräulein Bremer gab uns beiden die Hand. Keine Papphand, sondern ein angenehmer kurzer, fester Händedruck, der etwas sympathisch Verbindliches an sich hatte, eben ganz nach meinem Geschmack. Sie sagte, sie freue sich, im Namen von Billstein-Immobilien uns dieses Objekt präsentieren zu dürfen. Sie hätten gerade erst den Auftrag für dieses wirklich einmalige Objekt angenommen. Ja, wir freuten uns auch ganz riesig, bekundete ich eifrig. Fräulein Bremer machte wirklich einen ausgesprochen kompetenten Eindruck! Britta sagte fordernd und mit einem aggressiven Unterton: „Nun lassen Sie uns schon hineingehen.”

      „Wenn Sie noch einen ganz kleinen Augenblick warten würden”, entgegnete Fräulein Bremer. „Ich muss uns nur eben bei dem Mieter anmelden.” Sie verschwand hinter der Hecke.

      Am Zaun hing ein Warnschild, auf dem eine wolfsähnliche Bestie die Zähne fletschte. Über einem Knochenhaufen stand in roter Schrift: „Leichen säumen meinen Weg!” Ich zeigte Britta das Schild und wir mussten beide lachen. Gleich würde ein niedlicher, verspielter Dackel Schwanz wedelnd auftauchen und unsere Schuhe ablecken.

      Kein Dackel, stattdessen ertönte ein spitzer Schrei! Fräulein Bremer kam mit langen Sätzen auf das Gartentor zugelaufen, direkt gefolgt von einer Bestie in der Größe eines Schäferhundes. Es war eine bemerkenswert hässliche Abart: lange, dünne Beine,ein wurstartiger Körper mit grauem Fell fußmattenartiger Konsistenz. Seine kleinen stechenden Augen fixierten Fräulein Bremers wohlgeformte Waden. Bei seinem starken Kiefer würde es nur einmal kurz „Knack” machen – als wenn man einen Hähnchenflügel durchbeißt.

      Ich hielt Fräulein Bremer das rettende Gartentor auf. Noch konnte sie es schaffen. Aber Angst macht dumm. Sie lief genau in die entgegengesetzte Richtung auf eine undurchdringliche Dornenhecke zu. Mit dem Mut der Verzweiflung warf sie sich über die Hecke. Das blutrünstige Monster schaffte es im letzten Moment, sie in ihre Wade zu zwacken. Sie schrie gellend auf und landete unsanft auf dem Bürgersteig. Wir liefen schnell zu ihr und halfen ihr wieder auf die Beine. Sie blutete zwar nicht, aber ihre Wade schwoll bedrohlich an. Das Hascherl hinkte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihrem Wagen und rief über Handy ihren Chef an. Obwohl wir einige Meter entfernt standen, hörten wir, wie Billstein cholerisch in den Hörer schrie. Fräulein Bremer setzte sich ins Auto und stöhnte leise vor sich hin. Natürlich wollte ich ihr hilfreich zur Seite stehen, witterte die Chance, diese unglaublichen endlosen Schenkel einmal aus nächster Nähe betrachten oder vielleicht sogar massieren zu dürfen, aber Brittas Blicke sagten mir: „Das lass lieber schön bleiben…” Also warteten wir wieder.

      Erst hörten wir ihn – nach dem Auspuff zu urteilen war er schon mehrfach in der Bodenwelle hängen geblieben – dann katapultierte ein Ungeheuer von Chevrolet die Gartenstraße entlang. Was jetzt kam kannten wir schon: In der Senke schlug der Spoiler auf und brach auseinander. Die großkotzige Angeberschnauze des Chevrolets wirkte jetzt wie eine schmerzverzerrte Fratze. Bei dem anschließenden dumpfen Aufprall beim Durchfahren der Bodenwelle mochte so dieses und jenes gebrochen sein.

      Der Original-Billstein war da, er trug eine Camel-Lederjacke und eine dicke Havanna im Maul. Sein Chevrolet gehörte zu den Gliedmaßen, mit denen er sich überwiegend fortbewegte. Er stieg nuraus, um einem armen Idioten eine Immobilie aufzuschwatzen oder den Geschlechtsakt zu vollziehen.

      Als er den Schaden sah, war er wie von Sinnen, schmiss sich unter den Wagen, um das ganze Ausmaß der Bescherung zu begutachten. Dabei tunkte er seine Lederjacke in eine Öllache, die sich unter dem Wagen gebildet hatte.

      Er tauchte unter dem Ungeheuer wieder auf, sah den Fleck und fluchte: „… ich murkse sie ab, diesmal murkse ich sie ab!”

      Wen oder was er abmurksen wollte, blieb dabei bedrohlich unklar. Dann holte er aus dem Auto einen langen, schwarzen Schirm mit eisenbeschlagenen Schaft.

      „Der Mieter macht manchmal ein bisschen Zoff, muss natürlich raus, sobald der Kaufvertrag unterschrieben ist”, sagte er grimmig. „Aber ich habe jetzt alles geklärt. Wir können uns die Wohnung ohne Probleme ansehen.” Er warf Fräulein Bremer einen verächtlichen Blick zu.

      Auch Billstein hinkte ein bisschen. Er hinkte uns voran, wir gingen zögernd und mit einem gehörigen Sicherheitsabstand hinterher, jederzeit zur Flucht bereit.

      Die Wohnung lag im Obergeschoss. Während wir die Treppen hinaufstiegen, erwähnte Billstein: „Ich muss gestehen, dass ich die Wohnung noch gar nicht von innen gesehen habe. Sie könnte möglicherweise leicht renovierungsbedürftig sein.” Eine ähnliche Formulierung hat der Makler, der die total verwohnte Grotte in dem Haus meiner Eltern an den Mann bringen wollte, auch immer gebraucht – selbst beim 22. Interessenten. Mir schwante daher das Schlimmste!

      Im Treppenhaus hauchte ein Usambara-Veilchen sein Leben aus. Am Fenster strickten sich die Spinnen ihre Hintern wund und verendete Fliegen säumten das Fensterbrett.

      Billstein klingelte an der Wohnungstür. Man sah noch die verblasste Stelle, an der mal ein Türschild geklebt hatte. Billstein zupfte an seinem Oberlippenbärtchen und war sichtlich nervös.

      War die Bestie etwa in dieser Wohnung? Manche Mieter werden ja richtig ungezogen, wenn sie eine Kündigung erhalten. Manchmal schlachten sie sogar den Makler ab – so stand es jedenfalls gestern in der Zeitung. Warum soll so etwas immer ganz weit weg passieren? Man weiß ja nie, welche Flöhe gerade in den Gehirnwindungen der Leute herumkrabbeln und so mancher Spätfilm im Fernsehen gibt wertvolle Anregungen über geeignete Vollstreckungsmethoden.

      Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. „Morgen, Herr Kowallick!”, bemühte sich Billstein um einen freundlichen Tonfall.

      „Sie schon wieder!”, knurrte Kowallick, drehte sich um und ließ uns ohne weitere Beachtung stehen.

      Kowallick war eine von Weinbrand und Zigarren ausgelutschte Gestalt mit brauner Cordhose, die nur von einem Gürtel an dem ausgemergelten Leib gehalten wurde. In einer Ecke des Wohnzimmers lag die Bestie. Mit tückischem Blick beobachtete sie jede unserer Bewegungen.

      Plötzlich sprang sie auf und jagte durch den Raum. Ich versuchte mich, so gut es ging, hinter Brittas breitem Rücken zu verstecken. Erleichtert stellte ich jedoch fest, dass wir für die blutrünstige Fressmaschine uninteressant waren. Sie stürzte in eine Ecke des Flures und schlug mit der Tatze auf etwas ein, was ich von meinem Platz aus nicht erkennen konnte. Kowallick, der im Wohnzimmer in einem Sessel Platz genommen hatte und in einer Tabakdunstglocke saß, blickte auf und rief dem Monster anerkennend zu: „Na, Highlander, hast du wieder eine erlegt? Zeig doch mal her!” Der Highlander hörte aufs Wort und kam zu ihm. Er trug vorsichtig etwas im Maul und spuckte es vor Kowallicks Füßen aus. Kowallick nahm es in die Hand.

      „Ein Prachtexemplar!”, strahlte er. „Du bist doch ein Goldjunge!” Der Highlander wedelte stolz mit dem Stummelschwanz.

      „Schauen Sie doch mal!”, forderte er uns auf und winkte uns zu sich herüber. Da war jedoch Billstein zur Stelle. Erbost

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