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war Disk-Jockey im „Shogun”, einer für erfolgreiche Razzien und Schlägereien berüchtigten Szenedisko. Die Steuerfahndung hatte dem „Shogun” gerade letzten Monat einen erfolg­reichen Hausbesuch abgestattet – davon sprach das ganze Finanzamt. Und neulich hatte ich in der Zeitung einen Bericht über Drogen- und Steuerfahndungen im „Shogun” gelesen. Auf dem Foto in der Zeitung war Fred gerade im Begriff, einen Polizisten sorgfältig um einen Laternenpfahl zu wickeln.

      Ich wollte mich gerade in der Wohnung ein bisschen umsehen, da bekam ich plötzlich einen kräftigen Tritt vors Schienenbein. Ich konnte mir nicht verkneifen, kurz aufzujaulen. Hinter meinem Rücken kreischte der Satansbraten vergnügt auf und hüpfte wild um mich herum. Fred nickte ihm anerkennend zu.

      Das Kind war jetzt schon durch und durch verdorben, madig vom Stiel bis zur Kappe. Aus dem Gör würde nicht mal ein anständiger Terrorist werden. Fred war bestimmt noch nicht einmal in der Lage, ihm eine grundsolide anarchistische Gesinnung einzuimpfen.

      Als mir der Kleine in den Hintern treten wollte, griff ich blitzschnell zu und schnappte mir sein Bein. Der Kleine flog überrascht auf den Boden und brüllte wie am Spieß. Das hätte ich besser lassen sollen, denn Fred mochte es gar nicht, wenn jemand seiner Brut etwas zuleide tat. Fred kam wortlos auf mich zu. Britta wurde kreidebleich und stammelte: „War doch gar nicht so schlimm.” Aus Trotz schrie der Satansbraten noch einmal gellend auf. Man hätte meinen können, ich hätte ihm ein Bein ausgerissen. Dadurch geriet Fred noch mehr in Rage. Er baute sich bedrohlich vor mir auf. Fred war mindestens zwei Köpfe größer als ich und sein Bizeps hatte den Durchmesser meiner Oberschenkel. Während er auf meinen bis dahin noch ungebrochenen Riechkolben zielte, war ich spontan bereit, mit meinem Leben abzuschließen. Ich spürte bereits die kratzige graue Wolldecke, die die Feuerwehrleute über mich zogen, um neugierigen Nachbarn den grausamen Anblick zu ersparen. Ich hörte das Ratschen des Reißverschlusses des grauen Plastiküberzugs, in dem sie meine sterblichen Überreste bis zur Pathologie transportieren würden. Bevor Fred zuschlug, wechselte ich mitBritta, der beneidenswerten Erbin meiner Lebensversicherung, noch einen letzten Blick. Sie war starr vor Schreck.

      In dem Bruchteil der Sekunde, in der Fred zuschlug, musste Eberhard heftig niesen. Dabei reckte er seinen Kopf ruckartig nach vorn und wurde von dem wuchtigen Schlag getroffen. Die kostbare Metallbrille flog zu Boden.

      Sofort sprang der kleine Satansbraten auf und hüpfte mit einem Satz auf die Brille, die den Flug bis dahin erstaunlicherweise schadlos überstanden hatte. Es knirschte unangenehm, als die Porsche-Brille sich in ihre Bestandteile auflöste. Fred grinste stolz. Beim Grinsen zeigten sich seine Zähne oder vielmehr das, was davon noch übrig geblieben war – es war anzunehmen, dass er Currywurst mit Pommes nur im pürierten Zustand zu sich nehmen konnte.

      Er gab seinem Spross einen freundschaftlichen Schubs und grunzte: „Ben, du Sauhund, das war echt krass! Aber verpiss dich jetzt in deine Grotte, altes Arschloch!”

      Ich war gewappnet und hatte mich hinter Brittas breitem Kreuz verschanzt. Eberhard hatte es die Sprache verschlagen. Seine Nase machte noch einen ganz ordentlichen Eindruck. Wahrscheinlich hatte die Brille den Schlag abgefangen. Eberhard beugte sich zu Boden und puzzelte an den Überresten der Brille herum.

      „Die ist ja hin!”, stammelte er entgeistert. „Ist einfach so draufgesprungen!”

      Fred erwiderte: „Du hast doch die Kohle – Memme!”

      Aber da kannte er Eberhard schlecht. Wenn Eberhard vor die Wahl gestellt worden wäre, heile Brille oder gebrochene Nase, wäre er den Rest seines Lebens lieber mit einer markant gebrochenen Nase herumgelaufen, als seine Porsche-Brille einzubüßen. Eberhard hatte sich eisern aus einer bescheidenen Eisenbahnerfamilie hochgearbeitet und wenn er sich ein Porsche-Gestell für 2.160 Euro leistete, durfte man daraus nicht den Schluss ziehen, er wüsste nicht über die Cent-Bestände in seinem Portemonnaie Bescheid. Jeder Cent, der aus seiner Tasche wanderte, hatte zuvormehrere Excel-Tabellen und Kalkulationsprogramme durchlaufen und war auf In-und Output eingehend durchleuchtet worden.

      Eberhard lief dunkelrot an. Seine Mundwinkel zuckten: „Den Schaden bezahlt deine Haftpflichtversicherung!”

      „Hab keine”, erwiderte Fred respektlos.

      Eberhard nahm ihn ins Visier und zischte: „Wenn du mir den Schaden nicht bezahlst, dann verkloppe ich das Keyboard und die Lichtorgel! Und wenn du dich jetzt nicht augenblicklich mit deinem Gnom verziehst, dann schmeiß´ ich den ganzen Krempel, der hier steht, aus dem Fenster!”

      Das zeigte Wirkung. Fred holte Ben aus dem Badezimmer, wo Ben gerade damit beschäftigt war, Silberfischchen mit Kloreiniger zu ertränken und stürmte hinaus. Mit einem lauten Knall flog die Wohnungstür zu.

      Nachdem sich Eberhard ein bisschen beruhigt hatte, fragte ich ihn: „Sag mal, wie kommst du eigentlich an eine solche Brut?”

      Für jede Frage gibt es so etwas wie einen ganz und gar unpassenden Moment. Eberhard platzte: „Weil ich ein Idiot bin! Um die Sonderabschreibung in Anspruch nehmen zu können, musste ich einen Mieter mit Wohnberechtigungsschein finden. Das war gar nicht so einfach – du weißt, ich verkehre nicht mit solchem Pack. Und dann hat mir einer meiner Azubis Fred vermittelt.”

      Jetzt dämmerte mir, warum Eberhard die Wohnung verkaufen wollte: Die satte Steuervergünstigung hatte er bis auf den letzten Tropfen ausgekostet, und jetzt, nachdem die Abschreibung ausgelaufen war, wollte er sich des Packs elegant entledigen! Ich hatte es doch gewusst, Eberhard war schon immer ein Systemgewinner, ein elender Überläufer, nur auf den eigenen Vorteil bedacht!

      Eigentlich hätten wir auf der Stelle auf dem Absatz kehrt machen müssen. Aber ich hieße nicht Hartmut Schminke, wenn mir meine Eltern nicht eine gehörige Portion Dummheit vererbt hätten. Nur so war es zu erklären, dass wir uns nun in der Wohnung in Ruhe umsahen.

      Die ehemals weiße Raufasertapete hatte sich vom Kiffen gelb gefärbt. Bens Zimmer quoll über mit zerfledderten Comics und Spielzeugschrott. Aus einem Terrarium stank es nach verwesendem Fleisch.

      In Freds Schlafzimmer lagen drei Matratzen wie zufällig auf dem Boden verstreut, darüber Berge von Kissen und Laken. Es konnte mich nicht mehr in Erstaunen versetzen, als sich plötzlich eine Bettdecke bewegte, ein dünner Frauenarm ausfuhr, nach einer der zahllos herumstehenden Wodkaflaschen griff und Arm mit Flasche wieder eingezogen wurde. Wir hörten drei ordinäre Gluckser, dann war wieder Ruhe.

      Eberhard hatte den Zwischenfall völlig ignoriert. Er sagte nur: „Und dieses Zimmer lässt sich später einmal phantastisch als Kinderzimmer nutzen.”

      Wenn man einmal von dem verwahrlosten Zustand absah, war die Wohnung wirklich nicht schlecht: Vier große helle Räume, zwei Bäder und ein großer Balkon.

      Britta und ich traten an das Wohnzimmerfenster. Mit diesem Ausblick hatten wir nun wirklich nicht gerechnet: Unserem Blick bot sich eine kleine Parkanlage. Dahinter war ein kleiner Badesee, in dem einige Kinder herumplanschten.

      In dem Moment machte es bei uns „Klick”. Das ganze Chaos schien nicht mehr vorhanden zu sein. Selbst eine Kakerlakenstraße vom Abzugsschacht im Badezimmer bis zur Küche, hätte uns jetzt nicht mehr abschrecken können.

      Britta flüsterte mir ins Ohr: „Das ist es, Hartmut! Genau so eine Wohnung habe ich mir vorgestellt!”

      Eberhard trat hinzu und ich fragte: „Was soll sie denn kosten?” Auf diese Frage hatte Eberhard gewartet. Er wusste nun, dass er uns in der Hand hatte und diesen Moment genoss er sichtlich. In seinen kurzsichtigen Augen sah ich schon die Dollarzeichen.

      „180.000 Euro”, sagte Eberhard. Als ich merklich schluckte, verbesserte er sich schnell: „Na, weil ihr es seid, 175.000 Euro. Das ist ein absolut fairer Preis.”

      Die Summe lag noch um 25.000 Euro über unserer Schmerzgrenze. Mir lag Handeln und Feilschen überhaupt nicht. Am liebsten gehe ich in einen Aldi-Laden, zahle meine 2,60 Euro für 465 Gramm Gouda und das war’s dann. Und hätte ich 175.000 Euro gerade zufällig bei mir gehabt, wäre das Geschäft auf der Stelle perfekt gewesen. So musste ich mich wohl oder übel mit dieser Giftnatter herumschlagen.

      Da kam mir mit einem Mal ein rettender

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