Скачать книгу

„Djarfur, Djarfur, sei Alvitur6,

       zeig den Zweien einen Weg,

       unendlich Zeit, ihr Privileg.

       Für die Götter tausend Jahre,

       begleiten sie drei Augenpaare.

       Der Erste ihnen Zeit bemisst,

       damit ihn Fenriswolf nicht frisst.

       Kraft schöpfen aus dem eigen Blut.

       Es stürbe viel ohn’ der zwei Mut.

       Mit gleichem Namen sei ein Kind,

       das sie zu ihrem Ende find’.“

      Djarfur begann sich auf seinem Lager herum zu werfen und im Aufwachen hörte er noch die Nornen immer wieder ein Wort flüstern: „Ragnarök7!“

      Stoßweise atmend erwachte er endlich ganz und wusste im ersten Augenblick nicht mehr wo er war, bis Leif ihn an den Schultern rüttelte und sich Einurd neben ihn setzte.

      „He Djarfur, werde endlich wach und mache deiner Tochter etwas zum Essen!“, rief Leif.

      Trotz der wirren Gedanken im Kopf nahm Djarfur Einurd in die Arme und wusste plötzlich wieder, dass er lebte, leben wollte, und dass sie ihn brauchte.

      Leifs Hand lag auf Djarfurs Unterarm. „Djarfur, ich glaube, du hast böse geträumt. Ich hatte auch einen sehr merkwürdigen Traum, aber lass uns erst essen und dann darüber reden. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich das hier nicht alles ein Traum ist“, und Leif stand auf, um Proviant aus ihren Gepäck zu nehmen.

      Einurds Worte: „Vater, ich habe Hunger“, holten Djarfur schlagartig zurück in die Gegenwarte und er spürte die Liebe zu ihr und plötzlich durchströmte ihn wieder Lebenskraft, dass er erschauerte.

      Leif stellte Essen vor ihm ab und ging zum Feuer, dass er neu entfacht hatte, als Djarfur noch schlief. Er gab ein paar Kräuter in die Becher, etwas Honig und goss mit heißem Wasser auf.

      Nachdem er die Becher abgestellt hatte, griff er mit fester Hand nach Djarfurs Schulter, schaute ihm ins Gesicht und sprach in eindringlichem Ton: „Djarfur, mein Freund, du hast uns so weit gebracht und ich bin dir immer gefolgt, nun hast du sehr viel verloren und deine tiefe Trauer kann ich gut verstehen, aber dein größter Schatz sitzt neben dir. Hüte ihn und bringe ihn sicher nach Hause.“

      Djarfur fühlte sich erleichtert; sein treuer Freund hatte Recht.

      Im Schein des Feuers aßen sie schweigend von ihren Vorräten und tranken den Honigtee. Djarfur kaute langsam, so als ob er damit die Zeit überbrücken könnte. Beide Männer starrten schweigend in die Flammen und dachten an ihren verwirrenden Traum aus der letzte Nacht. Plötzlich wurde Leif unruhig und sein Gesicht verzog sich zu einer ängstlichen Grimasse, wie sie Djarfur an seinem Gefährten nicht kannte. Leif schaute ihn an, als ob er ein Gespenst sähe und Djarfur fragte: „Was ist mit dir? Warum schaust du so merkwürdig drein?“

      Leif antwortete zögernd: „Ich muss dir endlich von meinem Traum erzählen. Der war so seltsam, so erschreckend“, und dann schilderte er seinen Traum von den Nornen, der dem von Djarfur fast aufs Haar glich.

      Als Djarfur ihm dann seinen, fast gleichen, Traum geschildert hatte, schaute Leif noch entsetzter drein und flüsterte: „Wo sind wir hier gelandet, dass uns die Nornen erscheinen? Ist das hier Hel8? Sind wir tot, oder verflucht?“

      Djarfur beruhigte Leif: „Noch leben wir und du hast mir gerade mit deiner Zuversicht meinen Lebenswillen zurück gegeben. Ich danke dir dafür.“

      Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort: „Was haben diese Weiber dir denn gesagt?“

      Leif antwortete stockend und meinte, dass er die Nornen schlecht verstehen konnte und starrte wieder gedankenverloren in die Flammen. Nach einigem Grübeln redete er aber weiter.

      „Ich glaube, dennoch etwas vom Sinn ihrer Worte verstanden zu haben. Ihre Gedanken waren in meinem Kopf. Sie wollten, dass wir von hier wegfahren, nach Hause, und ich hätte die Pflicht jemanden zurück zu bringen, oder so ähnlich.“

      Djarfur nickte verstehend.

      „Leif, wir werden nach Hause fahren, ich brauche nur noch etwas Zeit für Saida. Ich muss sie hier begraben. Kümmere dich bitte um Einurd, bis ich wieder hier bin.“

      Dann wandte er sich Saida zu, die in eine Decke gerollt, immer noch auf dem Stroh lag.

      Mit Saida auf seinen Armen, lief Djarfur ziellos umher. Ihm war nicht bewusst, wonach er suchte. Er wusste nur, dass er seine Last nicht loslassen wollte, aber er wusste auch, dass er die Liebe seines Lebens hier, in dieser Ödnis, zurücklassen musste.

      Schließlich fand er eine Mulde, die mit hohem Gras umwachsen war. Sie war gerade so groß, dass er Saida hier der Ewigkeit übergeben konnte. Djarfur legte sie sanft ins Gras und kniete neben ihr nieder.

      Ein letztes Mal streichelte er Saidas Gesicht, berührte mit seinen Lippen, ganz zart, ihren Mund und den Talisman, den sie um ihren Hals trug.

      Es war genau der gleiche, der auch an Einurds silberner Kette hing. Mühsam unterdrückte er die aufsteigende, Bitterkeit und zwang sich, Steine zu sammeln, aus denen er den Umriss eines Bootes nachbaute und mit denen er schließlich Saida bedeckte. Als er dabei war, die letzten Steine auf ihren Körper zu legen, übermannte ihn doch noch einmal seine Trauer und er fiel auf die Knie. Zornig schwang er seine Fäuste in den Himmel und rief: „Götter, ihr habt sie mir zu früh genommen, aber ich bitte euch, gebt ihr einen guten Platz, gebt ihr Frieden, sonst werdet ihr mich kennen lernen!“

      Später saßen sie wieder zu dritt in der Hütte, am Feuer. Die Männer hingen schweigend ihren Gedanken nach und Einurds Augen wanderten forschend, abwechselnd, von einem Mann zum anderen. Irgendwann hob Djarfur sein Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht.

      „Leif, sag mal, wie lange sind wir schon hier auf dieser verfluchten Insel? Wir haben doch lange geschlafen und jetzt habe ich meine geliebte Saida begraben. Fällt dir nicht etwas Merkwürdiges hier auf?“

      Leif überlegte, schaute sich um, dann blieb sein Blick an der Tür hängen und er stand auf. Mit den Worten: „Ich ahne, was du meinst“, öffnete er die Tür, zeigte mit einer Hand nach draußen zum Himmel. „Meinst du das? Ich sehe immer das gleiche Licht und keine Sonne. Es wird weder dunkler noch heller.“

      Djarfur nickte. „Genau das meine ich. Was ist das für eine Insel? So etwas gibt es doch gar nicht, oder wir sind …“

      Leif unterbrach ihn mit nur einem Wort: „Hel.“

      Djarfur schaute ihn aus seinem Auge scharf an und sah wie Leif vor Angst zu schlottern begann. Einurd schaute nun ihrerseits auch ängstlich auf ihren Vater. Auch sie kannte aus seinen Erzählungen Hel, das Reich des Todes. Djarfur nahm Einurd schnell in die Arme und drückte sie.

      „Meine kleine Taube, hab keine Angst. So lange ich lebe und Leif lebt, so lange sind wir nicht im Reich der Toten, und so war ich Djarfur bin, ich werde uns nach Hause bringen.“

      „Pst, seid mal still, hört mal!“, rief Leif plötzlich, „ich glaube, ich habe einen Raben krächzen gehört.“

      Einurd und Djarfur schauten auf und lauschten – Stille.

      „Djarfur, ich schwöre dir, ich habe einen Raben gehört, wirklich“, dann senkte Leif den Kopf und schaute wieder teilnahmslos in das Feuer.

      Djarfur dachte: „Ob ihn der Traum so zugesetzt hat? Er hört hier einen Raben, aber die fliegen doch nie so weit von der Küster entfernt.“ Dann stutzte er, hielt er den Kopf etwas schräg und lauschte auch. Als er plötzlich auch einen Raben krächzen hörte, durchfuhr es ihn wie ein unverhoffter Stoß in die Rippen. Er sprang auf und lief zur Tür hinaus, einmal um die Hütte herum und dann eine größere Runde, bis hinunter an das Meer; aber kein Rabe war mehr zu sehen. Djarfur war sich

Скачать книгу