Скачать книгу

muss mitlachen, ob man nun will oder nicht.

      Andere Begegnungen folgen.

      Die letzte: Eine Frau aus der Gemeinde, die sehr traurig ist, mir den Grund ihrer Traurigkeit mit Rücksicht auf mein Töchterchen nur mal eben ganz kurz umreisst und dann ihren Anruf ankündigt, um mit mir einen Termin für ein seelsorgliches Gespräch abzumachen. Wir verabschieden uns voneinander. Ich kann anschliessend nicht anders, ich muss dem Problem dieser Frau nachstudieren.

      Und plötzlich, während ich dies tue, macht es Klick! Umschaltung. Übergangslos das Gefühl einer Erleichterung und etwas in meinem Hirn wie eine Lichterscheinung. Ich weiss jetzt, wie meine Predigt weitergehen und gestaltet werden muss. Nun habe ich es, zu Judiths grossem Erstaunen, plötzlich sehr eilig heimzukommen. Unterwegs klärt sich das Konzept der Predigt immer mehr. Ich weiss: So wird es gehen!

      Wir kommen heim. Ich übergebe meiner Frau in Windeseile meine Tochter.

      „Nimm du sie“, rufe ich ihr zu, „Ich weiss jetzt, wie die Predigt weitergehen muss. Ich muss jetzt ganz rasch an die Schreibmaschine, bevor ich es wieder vergesse.“

      Meine Frau wundert sich nicht über mein Verhalten. Sie kennt solche Momente.

      Mit innerlichem Jauchzen, an dem die Geist Gottes gewiss ihre Freude hat, vielleicht sogar beteiligt ist, mit einem Lächeln übers ganze Gesicht hetze ich die Treppe zu meinem Arbeitszimmer hinauf, jeweils zwei Stufen auf einmal nehmend. Ich decke die Schreibmaschine ab, reibe mir die Hände, ein verhaltenes „Juhui!“ ausstossend. Dann haue ich in die Tasten, überwinde mühelos die vorhin noch so unüberwindlich scheinende Klippe, die Stelle, an der ich nicht weiter wusste. Und vollende danach die Predigt innert kürzester Zeit.

      Meine Hochstimmung hält danach noch an. Mit Frau und Kind herze und scherze ich an diesem Abend, als ob sie schuld daran wären, dass die Predigt nun steht. Und am Sonntag, angesichts der anerkennenden und dankbaren Rückmeldungen vieler Gemeindeglieder, steigt meine Hochstimmung noch einmal. Es ist ein grosses Lachen und eine grosse Freude in mir.

      Jetzt wird vielleicht manch aufgeklärter und informierter Mensch den Drang verspüren, mir auszureden, dass es sich bei diesem wie bei manchem ähnlichen Ereignis in meinem Leben um eine Erwirkung der Heiligen Geist gehandelt habe. Das sei natürlich unzutreffend! Vielmehr verhalte es sich so, dass mir mein Gehirn einfach sozusagen zuvor gekommen sei. Es habe sich nämlich unentwegt weiter mit der Predigt beschäftigt und so unter Umgehung meines Bewusstseins die Lösung gefunden.

      Tja, ich weiss nicht. War es nicht vielmehr so, dass mein Hirn im oben geschilderten Falle voll und ganz mit einer ganz anderen seiner Funktionen beschäftigt gewesen ist, der vielleicht wichtigsten? Nämlich mit der Funktion, mich vor Irrsinn zu bewahren?! Im Klartext: Mit der Funktion, alle überflüssigen Reize wegzufiltern, die ich auf meinem Spaziergang mit Töchterchen Judith nicht gebrauchen konnte und die mich nur abgelenkt und verwirrt hätten?! Nichts wäre ja auf jenem Spaziergang so störend und überflüssig gewesen wie Gedanken an meine Predigt. Nichts hat also mein Gehirn so dringend wegfiltern müssen wie solche Gedanken. Zumal mein Töchterchen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog und ich ihm diese auch widmen wollte, nicht zuletzt, weil diese „Fesselung“ meiner Aufmerksamkeit mir wohl tat und somit hochwillkommen war! Also doch die Heilige Geist auf diesem Spaziergang?

      Meine Antwort lautet: Ja.

      Das lasse ich mal so stehen.

      Es hat den jungen Pfarrer unglaublich viel Überwindung gekostet, sich aufzuraffen und sich auf den Weg zu dem am äussersten Rande des Dorfes, schon bereits ein Stück weit im Wald gelegenen Haus der alten Frau Trummer zu machen. Er hat sich sozusagen selbst am Hemdskragen nehmen und sich dorthin zerren müssen. Dies nicht etwa des langen Weges wegen (er ist ein passionierter Velofahrer, dem eine Strecke von dieser Länge nicht imponieren kann) und schon gar nicht, weil ihm die alte Frau etwa unsympathisch oder gar zuwider wäre. Im Gegenteil, er besucht sie an sich sehr gern. Er mag sie.

      Nein, eine heftige Depression, die ihn seit Monaten bis fast an den Boden niederdrückt, lähmt ihn und verursacht sein Unvermögen, seiner Arbeit so nachzugehen, wie er es gern täte. Er muss für alles, was er zu tun hat, die letzten Willensreserven aufbieten, was ihn unsäglich viel Kraft kostet.

      Aber nun ist er da und Frau Trummer sitzt ihm in ihrem etwas altväterlich möblierten, etwas überstellten Wohnzimmer gegenüber. Sie ist eine schlanke, fast hagere, etwas herbe Altersschönheit, eine kühl und emotionslos wirkende, nüchtern denkende Person, die der Pfarrer aber sehr schätzt, weil sie gerade heraus ist ohne zu verletzen – und weil sie unverstellt die ist, die sie ist.

      Vor etwas mehr als anderthalb Jahren sind sie an diesem Tisch, in diesem Raum noch zu Dritt gesessen. Der nicht immer ganz einfach zu nehmende Herr Trummer ist noch dabei gewesen, ein Original, der sich dem Pfarrer bei dessen erstem Besuch, einem Routinebesuch, um Trummers kennen zu lernen, als „Agnostiker, wenn nicht gar Atheist und auf alle Fälle Kirchenkritiker“ vorgestellt, dann aber, als der Pfarrer sich nach dem Besuch mit einem „Adjö“ hatte verabschieden wollen, heftig insistiert und einen „geistlichen Schluss“ verlangt hatte – mit Gebet und Lesung eines „hoffentlich gut gewählten Bibelspruches“. Dies mit der Begründung, wenn denn der Pfarrer schon einen Besuch machen komme, solle er seine Arbeit auch „anständig“ und „so, wie es sich gehört“ machen, denn das dürfe man doch wohl von ihm erwarten und verlangen, auch wenn man Atheist sei, dafür bezahle man „Pfärrer“ schliesslich – und wenn dies nicht mehr gewährleistet sei, dann wisse er vollends nicht mehr, warum er noch nicht zur Kirche ausgetreten sei. Nach dieser ersten Begegnung hatte sich dann nach und nach eine von gegenseitigem Respekt getragene Beziehung zwischen den beiden so verschiedenen Männern entwickelt, dem Pfarrer und dem Glaubensfernen, der sich immer auf den Besuch des Pfarrers und die sich dabei ergebenden interessanten Gespräche und Auseinandersetzungen trotz ihrer unterschiedlichen Auffassungen gefreut, und bezüglich der Schlussgestaltung der Besuche stets darauf bestanden hatte, dass der Pfarrer seine Arbeit „anständig und wie es sich gehört“ mache.

      Vor diesen etwas mehr als anderthalb Jahren ist Herr Trummer noch einer gewesen, von dem es in Bayern, wo man kräftig gebaute, wuchtig wirkende Menschen ein „Trumm“ nennt, geheissen hätte, er mache seinem Namen alle Ehre. Kein Mensch hätte ahnen können, dass eine kurze Zeit später (und zu spät) erkanntes Krebsleiden diesen Baum innerhalb eines halben Jahres würde fällen können.

      Heute ist sein erster Todestag. Darum ist der Pfarrer zu seiner Witwe gekommen. Frau Trummer sagt dem Pfarrer, der sie nun schon seit einem halben Jahr nicht mehr aufgesucht hat, auf dessen Anfrage hin in ihrer emotionslosen Art, dass sie ihren Mann vermisse, obschon ja dieser, wie der Pfarrer ja wisse, nicht immer ganz einfach gewesen sei. Aber sie sei es ja auch nicht. Und viel gefühlsmässige Liebe habe ihr Mann ja von ihr auch nicht gerade bekommen. Der Pfarrer wisse ja auch das, dass sie ihre Gefühle nicht gut zeigen könne, auch nicht gern darüber rede. Aber sie habe ihn eben doch gemocht, ihren „Lexu“ (Koseform von Alexander). Dessen schnelles Sterben, das gehe ihr doch immer noch sehr nahe; das habe er auch nicht verdient gehabt, so schnell gehen zu müssen auf Nimmerwiedersehen. Man habe es eigentlich – „nehmt alles nur in allem“ –. noch recht gut gehabt miteinander. Man habe zueinander geschaut. Man habe einander ergänzt. Man habe sich aneinander gerieben, sei aber dabei immer miteinander auf dem Weg geblieben. Man habe sich miteinander auseinander gesetzt und immer wieder zueinander gefunden. Man sei recht gegensätzlich gewesen, aber dennoch unzertrennlich. Das alles fehle ihr jetzt. Obschon sie im Übrigen ganz gut zurecht komme ohne den Mann. Und, nein, einsam fühle sie sich nicht, sie habe ja liebe Kinder, treue Freundinnen, die alle recht gut zu ihr schauen, auch singe sie, wie der Pfarrer ja wisse, im Frauenchor mit, sei in die Gemeinschaft dieser „Sing-Kameradinnen“ eingebunden. Aber irgendwie sei sie gleichwohl „nur noch halb“, wenn er wisse, was sie damit sagen wolle. Und dieser Tag heute, der erste Todestag, der sei schon noch irgendwie belastend; sie empfinde so eine eigenartige Leere, obschon sie doch sonst, wie gesagt, ihre Tage zu füllen und ihr Leben zu leben wisse.

      Nun macht Frau Trummer eine abwehrende Handbewegung, als wolle sie jene trüben

Скачать книгу