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erklären, das sei kein echter Tank aus Eisenplatten, sondern nur ein vorgetäuschter, und zwar ein Papptank, zur Übung für das Manöver; Deutschland dürfe auf Grund des „Schandvertrages von Versailles“ noch keine richtigen Tanks bauen usw. Er war wieder bei einem seiner Hauptthemen. – Ich erinnere mich auch an eine Fußwanderung über den Löwenberger Hospitalberg zum „Jungfernstübchen“ und zur „Löwenberger Schweiz“. Mit zunehmendem Alter hatten wir fernere Wanderziele. Einmal waren wir über Mois bis in die im Wald abgelegene Gastwirtschaft „Teufelei“ gewandert, wo wir vor Ort weder einen Teufel noch sonst was Spektakuläres zu sehen bekamen, höchstens eine Fass-Brause für 10 Pf. genießen konnten. Und als die Älteren sind wir auch einmal mit dem Lehrer per Rad losgefahren, auf den „Probsthainer Spitzberg“, das andere Mal mit der Eisenbahn auf die „Gröditzburg“. Höhepunkte waren zwei Tagesfahrten, gemeinsam mit Nachbarschulen in einem Sonderzug, 1937 nach Breslau (mit Zoobesuch, Dampferfahrt und Jahrhunderthalle), 1938 in die Sächsische Schweiz mit Dampferfahrt und Aufstieg zur „Bastei“.

      Man sieht: Diesbezüglich war die einfache Dorfschule bemüht, uns den Blick über unseren kleinen Horizont hinaus zu öffnen.

      Deutsche Helden

      In die Kreisstadt Löwenberg sind wir mit unserem Lehrer öfter gegangen, man könnte auch sagen „marschiert“. Da mussten wir gemeinsam ins Kino und „staatspolitisch wertvolle Filme“ sehen. Mir fallen ein: „Unternehmen Michael“ – ein Kriegsfilm über unsere Helden in der Somme-Schlacht, „Verräter“ – ein Spionagefilm mit Willi Birgel, „Drei Unteroffiziere“ – ein Spielfilm über das Soldatenleben in unserer neuen Deutschen Wehrmacht – im Sinne von „Es ist so schön Soldat zu sein … “. Und in den „Reichshallen“ erlebte ich meine erste Theateraufführung, ein Gastspiel, das wir mit unserem Lehrer sahen. Der Titel, ich glaube: „Albert Leo Schlageter“. Ich weiß, wir litten unter dem tragischen Ausgang, denn jener tapfere deutsche Held wurde zum Schluß auf der Bühne von den Franzosen standrechtlich erschossen; das schürte natürlich unseren Zorn gegen den „bösen Erbfeind“!

      Wir Jungen haben die verbilligten Kinobesuche sehr gern mitgemacht, aber wir haben natürlich nicht gewusst oder geahnt, mit welcher Absicht uns so „schöne“ Filme oder Geschichten vorgeführt wurden. Wir fanden sie jedenfalls „knorke“! – Ein patriotisches Hochgefühl erzeugten in mir die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Täglich verfolgten wir den Verlauf der Wettkämpfe, wir freuten uns riesig über die vielen Siege der deutschen Olympiamannschaft, und der Jubel kannte keine Grenzen, als Deutschland mit 33 Goldmedaillen als beste Nation den Gesamtsieg errungen hatte. Wir waren die „Besten“, und damit erwies sich von neuem, dass wir Deutschen ja „unschlagbar“ waren! Wieder zogen wir Schulkinder nach Löwenberg ins Kino und sahen dort den triumphalen zweiteiligen Dokumentarfilm von Leni Riefenstahl über die Olympischen Spiele in Berlin mit den grandiosen Siegen der deutschen Sportler aus Hitlerdeutschland. Noch Jahre danach konnte ich alle deutschen Goldmedaillengewinner auswendig dahersagen: Gerhard Stöck, Hans Wölke, Lutz Long, Oberleutnant Handrik und all die anderen … . Und natürlich liebten wir Max Schmeling, unseren großen deutschen Boxer und Weltmeister, und waren mächtig stolz, als er den amerikanischen „Neger“-Boxer Joe Louis auf grandiose Weise besiegt hatte.

      Und nicht zu vergessen unsere großen Kriegshelden: Otto Wedding, den erfolgreichen U-Bootkommandanten von U 9 und Manfred von Richthofen, den siegreichen Jagdflieger, ein Schlesier, der im 1. Weltkrieg 80 feindliche Flugzeuge abgeschossen hatte! Selbstverständlich auch Lettow-Vorbeck, den Sieger im Kolonialkrieg in Ostafrika, oder der tapfere Pionier Klinke, der beim Sturm auf die Düppeler Schanzen die Festungsbarrikaden mit sich selbst in die Luft gesprengt und damit den Weg frei gemacht hatte für seine nachfolgenden Kameraden. Gut kannte ich mich auch aus mit dem „Schliefen-Plan“ von 1914 und mit den Schlachten Friedrich des Großen, hatten wir doch auch in den Filmen „Der Große König“ und „Der Choral von Leuten“ miterlebt, wie tapfer der Große Preußenkönig – gemeinsam mit seinen einfachen Grenadieren – bis zum Letzten gekämpft hatte gegen eine Übermacht von Feinden.

      Als wir zu Hause endlich ein eigenes Radio einschalten konnten, hörten wir Jungen auch des Sonntags die Rundfunkreportagen von den großen Autorennen auf der Avus, auf dem Nürburgring, in Monaco oder Tripolis. Wir waren nun mit Begeisterung dabei, wenn unsere deutschen Rennfahrer, Bernd Rosemeier, Hans Stuck, Rudolf Carraciola, Herman Lang und Manfred von Brauchitsch, in ihren deutschen Rennwagen Mercedes und Auto-Union Sieg um Sieg für Deutschland erkämpften. „Deutsche Wertarbeit“ und „Deutsche Tüchtigkeit“ – das konnten wir doch nicht übersehen.

       Löwenberg in Schlesien. Blick auf die „Löwenberger Schweiz“ und Nieder-Mois. Postkarten: Sammlung Harald Rockstuhl

      Blond und blauäugig

      Das war auch die Zeit, wo an uns ältere Schüler in der Schule eine broschierte Beilage zu unserem „Realienbuch“ ausgegeben wurde. Vielleicht sollte ich zuerst erklären: Das „Realienbuch“ war in unserer Volksschule ein universelles Lehrbuch, in dem gefächert Grundwissen in Geschichte, Erdkunde, Naturkunde und Naturlehre zusammengefasst war. Dazu kam jetzt eine etwa 20-seitige Ergänzungsbeilage über „Rassenkunde“. Ich kann nicht genau sagen, ob der Titel so lautete, jedoch der Inhalt entsprach diesem nazistischen Thema. Mit Porträt-Abbildungen und Merkmalsbeschreibungen waren verschiedene Menschenrassen vorgestellt, natürlich mit einer qualitativen Bewertung. Ich erinnere mich, dass u. a. von der Nordischen Rasse, von der Westischen Rasse, von der Romanischen Rasse, von der Ostischen Rasse, von der Dinarischen Rasse und vor allem auch von der Jüdischen Rasse die Rede war.

      Ich fand das irgendwie lustig. Ich weiß auch nicht mehr genau, ob unser Lehrer diesen Exkurs sehr ernst genommen hat. Ich glaube eher nicht, denn wir haben die ganze Thematik so nebenbei behandelt. Aber immerhin blieb bei mir haften: Die besten Menschen sind die der Nordischen Rasse! Negativ bewertet wurde die Ostische Rasse, auf die slawischen Völker gemünzt, und als schlechteste Menschen galten die Juden. Mit hässlich gestalteten Abbildungen sollte das auch äußerlich kenntlich gemacht werden. Nun ja, die Juden, die waren so im Gerede, da muss wohl was dran sein, aber …? So unter uns Jungen hatten wir damit zu tun, uns selber einzuordnen: Zu welcher Rasse gehörten wir? Selbstverständlich zur Nordischen Rasse. Wir stammen doch von den Germanen ab! Aber wir betrachteten uns gegenseitig so halb im Spaß, ob wir nun auch äußerlich den Merkmalen der Nordischen Rasse entsprächen. Mein Bruder und ich, so meinten die anderen zu unserer Beruhigung, wir ähnelten der Nordischen Rasse. Helmuts schmaler Kopf und hohe Stirn wurde hervorgehoben, und blond waren wir ja beide. Meine blauen Augen verbürgten auch für Nordische Herkunft, nur mein Kopf sei etwas breiter, das könnte auf ostischen oder dinarischen Einschlag zurückzuführen sein. Dann prüften wir die Nasen und den Körperbau. Und zu den Mädchen schauten wir natürlich hin: Wer ist groß, schlank, blond … und schön? Dass die Hoffmann Ursel die schönsten langen blonden Zöpfe von allen hatte, das gefiel mir sehr … .

       Gotha, im Oktober 2000

       Liebe Franziska,

       wer soll das verstehen oder wie soll man das erklären, dass ich erst jetzt, nach einem Abstand von 10 Jahren, von neuem ansetze und fortführen will, was ich Ende 1990 begonnen, dann aber abgebrochen habe.

       Nicht dass ich dieses Schreibprojekt vergessen oder hätte fallen lassen wollen. Nein, einfach aufgehört, weil andere mich stärker beanspruchende, fesselnde Geschehnisse jener Zeit mich abgelenkt haben und in den Vordergrund getreten sind. In der Brisanz jener aktuellen Ereignisse von 1990, der Wiedervereinigung Deutschlands, fragte ich mich auch erneut nach dem Sinn solcher weit zurückreichenden autobiographischen Aufzeichnungen. Oder: Wer bin ich schon, dass ich mir anmaße, von meiner Person zu schreiben? Dann wiederum redete ich mich damit heraus, dass es bis zur endgültigen Niederschrift einer größeren zeitlichen Distanz bedürfe.

       Und jetzt, liebe Franziska, bist Du inzwischen zu einer Frau von 24 Jahren herangewachsen. Wenn ich weiß, wie man in

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