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zusammen. Einer von ihnen, Domenico Mori, ein Italiener, elegante Erscheinung und wallende weiße Haarpracht, ergreift das Wort. Er leitet in Italien ein Metallkonsortium, das er aus einem Familienbetrieb selbst aufgebaut hat. Sein Konzern ist der größte Anteilseigner der PAMA und der Grundstein, auf dem der Präsident seine Macht errichtet hat. Zudem ist Mori ein langjähriger persönlicher Freund des Präsidenten, sie gehen in der Tschechoslowakei gemeinsam auf Fasanenjagd. Eingedenk der Milliarden, die er im Rücken hat, hört man ihm respektvoll schweigend zu, auf dem Podium zudem mit einem Gefühl der Erleichterung: Jetzt kommt alles wieder ins Lot.

      »Wir haben keine Veranlassung, uns den hier von Monsieur Jubelin vertretenen Vorschlägen zu widersetzen.« Leichter italienischer Akzent.

      Große Erregung unter den Versammelten. Ohne daran zu denken, das Mikro zuzuhalten, flüstert der Präsident mit bleichem, verzerrtem Gesicht: »Verräter … unwürdiges Verhalten für einen alten Freund …«

      Agathe öffnet die Augen, nagt an ihrem Daumen. Das Podium, jetzt von einer im Saal deutlich spürbaren Panik ergriffen, berät sich. Das kann man unmöglich zulassen. Den Angriff vereiteln, bevor der Aufstand sämtliche Truppen erfasst. Der Präsident schlägt eine sofortige Abstimmung per Handzeichen über die beiden zur Debatte stehenden Marschrichtungen vor. Seine und Jubelins. Danach soll die Hauptversammlung gemäß der mehrheitlich gewählten Marschrichtung ihren Fortgang nehmen.

      Handzeichen, sorgfältige Auszählung, Jubelin hat die Mehrheit. Der Saal bricht in Pfiffe und Jubel aus, es geht zu wie im Fußballstadion. Die Aufsichtsratsmitglieder sind aufgestanden, diskutieren miteinander. Jemand vor einem Mikrofon sagt gut hörbar: »Das ist ein Staatsstreich.« Vom Tumult unbeeindruckt, bleiben nur Jubelin und Mori auf ihren voneinander entfernten Plätzen sitzen.

      Nicolas wendet sich Agathe zu. »Du hast das gewusst und mir nichts gesagt?«

      Agathe antwortet nicht, streicht ihm lächelnd mit den Fingerspitzen über die Wange.

      Dann geht alles sehr schnell. Perrot, ein rasant expandierender Bauunternehmer, unterstützt Jubelin und fordert eine Abstimmung nach Anteilen. Fieberhaft rechnet jeder das auf einem Stück Papier für sich durch. Jubelin hält zehn Prozent der Anteile. Der Italiener fünfundzwanzig Prozent. Perrot fällt kaum ins Gewicht. Wer bringt die fehlenden Prozente? Der Vertreter der Banque Parillaud erklärt, dass er Perrots Vorschlag unterstützt.

      Deluc, Berater im Élysée und PAMA-Kleinaktionär, zu Agathe, die neben ihm sitzt: »Die Messe ist gesungen, Schwester, gehet hin in Frieden.«

      Agathe atmet tief durch und lässt den Druck von sich abfallen.

      Die mit dem Präsidenten solidarischen Aufsichtsratsmitglieder räumen das Podium, durchqueren den Saal und verlassen ihn wortlos. Die Repräsentanten der ältesten Finanz- und Industriellendynastien Frankreichs treten ab, damit man sie nicht entlässt wie Lakaien.

      »Sie machen sich auf die Suche nach dem Elefantenfriedhof«, kommentiert Nicolas halblaut.

      Der Präsident, Jubelin und Mori bleiben allein auf dem Podium zurück. Die Abstimmung nach Anteilen ergibt siebzig Prozent der Stimmen für Jubelin. Die Dynamik des Sieges. Hektisch und mit undurchdringlicher Miene sammelt der Präsident die verstreut vor ihm liegenden Papiere ein. Der einsame Wolf ist in die Enge getrieben, todgeweiht.

      Agathe steht auf. Ihr ist, als sähe sie zusammenwachsende Blutflecken auf den graubespannten Wänden. Seit zwei Jahren warte ich auf diesen Moment, nun ist er da und die Freude ist nicht so groß, wie ich dachte. Mir ist vor allem nach einem heißen Bad … Jetzt aber an die Arbeit.

      Kurzer Abstecher zur Toilette. Eine kleine Line Koks. Make-up kontrollieren, leicht nachbessern. Dann nimmt Agathe den Fahrstuhl und fährt in den 20. Stock. Ihre Sekretärin begrüßt sie mit einem strahlenden Lächeln. Neuigkeiten sprechen sich schnell herum.

      Sie öffnet die Tür zu ihrem Büro. Sehr groß, schwarzer Teppich, weiße Wände. Links ein Schreibtisch aus mattiertem Stahl und an der Wand ein Triptychon von Soulages. Rechts eine Sitzgruppe, zwei Couchtische, Sofa und Sessel aus schwarzem Leder. Und direkt gegenüber der Tür, atemberaubend, eine riesige Glasfront mit Blick auf die Esplanade und die Grande Arche de la Défense.

      Ein knappes Dutzend Journalisten erwartet sie bei Fruchtsaft, Whisky oder Wein. Eine ganz zwanglose Zusammenkunft unter Freunden zwecks Vorbereitung der Pressekonferenz, auf der Jubelin morgen früh über die Ergebnisse der PAMA-Hauptversammlung berichten wird. Bei ihrem Eintreten heben alle ihr Glas, es regnet Glückwünsche.

      Sie schenkt sich einen Whisky ein, setzt sich halb auf die Ecke ihres Schreibtischs, sieht sie an, selbstsicher, eine Erscheinung wie ein Star, streng geschnittenes Kleid in Kirschrot, das so gut zu ihrem hellen Teint passt, gepflegtes Make-up, goldblonder Haarknoten, Stirnlocken. Und im Lager der Sieger.

      »Meine Herren, 1989 ist ein großes Jahr für die französischen Unternehmen. Die Börse boomt, der Immobilienmarkt expandiert, und der jungen Managergeneration gehört die Zukunft.«

      Tiefe Stimme, ein wenig heiser, apart. Sehr verführerisch. Sie hat Thema wie Zuhörer spürbar im Griff. Sie hebt ihr Glas in ihre Richtung und leert es in einem Zug. Jetzt das Frage-Antwort-Spiel. Zur Person von Jubelin, den noch so gut wie keiner kennt.

      »Ein Selfmademan, jung, sportlich. Ein ausgezeichneter Jäger, ein guter Reiter. Und ein wahrer Könner auf seinem Gebiet. Ein echter Versicherungsprofi.«

      Danach zur Politik der PAMA. »Wird die PAMA wirklich ihre Industriebeteiligungen abstoßen, wie Jubelin es auf der Aktionärshauptversammlung angekündigt hat?«

      »Industrielle Investitionen sind immer risikoreicher und weniger rentabel als Investitionen im Immobiliensektor. Wenn wir uns wieder verstärkt aufs Immobiliengeschäft konzentrieren, dann vor allem, um unseren Versicherten eine bessere Kosteneffizienz zu garantieren. Der Übergang wird aber reibungslos verlaufen.«

      Kompetent. Entspannt. Ein Journalist spricht von »Putsch«. Sie reagiert gereizt.

      »Wie kommen Sie dazu, dieses Wort zu benutzen? Das Ganze wurde auf der Aktionärshauptversammlung entschieden, vollkommen transparent. Unser Unternehmen funktioniert beispielhaft demokratisch.«

      »Wie man sich erzählt, kennen Sie den neuen Geschäftsführer schon lange …«

      Agathe neigt den Oberkörper vor, setzt ein strahlendes Lächeln auf und sagt betont ironisch: »Ich weiß sehr wohl, was man sich in einschlägigen Kreisen erzählt, werter Herr, und es ist mir schnuppe.«

      »Brillant, die PR-Chefin«, raunt ein Journalist seinem Nachbarn zu.

      Das sehr lockere Gespräch geht noch eine halbe Stunde weiter, das Publikum ist wie gebannt. Mit einem Mal ist es spät. Die Journalisten brechen auf. Lästige Fragen wird es auf der morgigen Pressekonferenz eher nicht geben. Und in den nächsten Tagen keinen einzigen gegen Jubelin gerichteten Artikel.

      Agathe tritt an das große Fenster. Es ist vollbracht. Die Spannung löst sich. In ihrer Brust ein fast schmerzhaftes Gefühl von Leere. Die Sonne geht unter. Hier und da Lichtreflexe auf den Büroturmfassaden. Zur Linken Paris, fern, die ersten Lichter leuchten. Rechts die Grande Arche, Scheinwerfer, man arbeitet Tag und Nacht, um die Bauarbeiten bis zum 14. Juli abzuschließen. Dicke Scheiben, nicht ein Laut. Endlich eine gewisse innere Ruhe. In dieser Höhe kann mich nichts mehr treffen.

      Vollmond über den Stallungen und dem angrenzenden Wald, Kühle entsteigt den Bäumen. Die Pferde schlafen bei offenen Klappen in ihren Boxen, manche liegend, manche im Stehen. Andere kauen ein paar Halme Stroh. Wenig Geräusche, hier und da ein Rascheln. Und Seufzer.

      Ein Mann geht eine Boxenreihe entlang, weißer Kittel, grüne, um die Knöchel etwas zu weite Gummistiefel. Er trägt einen schweren Eisenklotz in der einen Hand, dazu zwei Kabelrollen. Vor einer Box bleibt er stehen, setzt seine Last ab, öffnet die Tür. Ein lebhaftes kleines schwarzes Pferd bläht die Nüstern, beschnuppert die Hand. Der Mann streicht ihm über den Nacken, krault den Ohransatz, betrachtet das Tier prüfend. Dann macht

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