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beginnt die Karwoche. Ich mag es immer gern, wenn einzelne Gegenstände ein Geschehen oder ein Thema, um das es gerade geht, greifbar machen. Deshalb bin ich heute weit vor dem Gottesdienstbeginn da und suche für den Altarraum einen purpurroten Samtstoff hervor, eine Dornenkrone und Palmenzweige. Bewaffnet mit diesen Utensilien, betrete ich den Gottesdienstraum. Unterwegs umarme ich zur Begrüßung herzlich eine Frau aus der Gemeinde, die ebenfalls schon sehr zeitig gekommen ist. Leider habe ich bei dieser innigen Umarmung vergessen, dass ich eine Dornenkrone in der Hand halte, und ramme sie ihr mit voller Wucht in den Rücken. Peinlich, peinlich …

      Nun stehe ich vorne, drapiere den Samtstoff und die Palmenzweige und möchte die Dornenkrone am Kreuz anbringen. Bei uns haben wir schon alle möglichen Dinge am Kreuz angebracht. Das ist ohne Weiteres möglich, denn unser Kreuz ist ziemlich hässlich und vom Material her wertlos. Zusammengehauen aus zwei klobigen, rissigen Holzbalken, die an manchen Stellen rostige Male von alten Nägeln tragen, ist es nicht gerade ein Schmuckstück. Aber wir wollen es so. Denn was damals passierte an diesem Kreuz, war ja auch nicht gerade ein Glanzstück menschlichen Erfindungsreichtums. So hässlich wie unser Kreuz, so hässlich war das Ereignis, zu dessen Symbol das Kreuz später wurde.

      Ich halte Hammer und Nagel in der Hand und will diesen Nagel in das Kreuz schlagen, um die Dornenkrone zu befestigen. Aber ich kann nicht. Keine zehn Pferde werden mich dazu kriegen, diesen Nagel jetzt in das Kreuz zu schlagen. Ich will an dieser miesen Aktion nicht beteiligt sein. Niemals, niemals würde ich einem Menschen so etwas antun. Ich kann Menschen nicht verstehen, die andere quälen und zu Tode foltern. Ich kann das nicht verstehen und will das nicht verstehen. Ich lasse Hammer und Nagel sinken und schau mich um. Neben mir sehe ich Maria, die Mutter von Jesus, und noch einige andere Frauen, die ihn immer begleitet haben. Auch sie stehen fassungslos vor diesem Geschehen. Können die Brutalität und Gemeinheit dieses Ereignisses nicht begreifen. Sie haben Jesus genährt, haben ihn umsorgt, ihm Geborgenheit und – soweit es bei seiner Lebensweise möglich war – ein Zuhause geboten. Sie haben mit ihm gelacht, ihn bewundert, mit ihm geweint und waren für ihn da, wenn er sich nach stundenlangen Fußmärschen und noch längeren Predigten ermattet auf den Boden plumpsen ließ. Und jetzt sind sie auch bei ihm. Können nicht helfen, aber wenigstens da sein. Halten diese letzten Stunden mit ihm aus, sind ihm nah. Laufen nicht weg, wenden sich nicht ab. Welch eine Freude für Jesus!

      In dieser Woche will ich einfach nur bei Jesus bleiben. Ich werde dabei sein, wenn er in Jerusalem einzieht, werde sein Königsein proklamieren und ihm mein schönstes Gewand zu Füßen legen. Ich will mit ihm ein letztes Mal essen und mir von ihm die Füße waschen lassen. Vielleicht gelingt es mir, im Garten Gethsemane nicht einzuschlafen, sondern bei Jesus auszuharren. Beobachtend, wartend. Dann werde ich mit ihm den Weg nach Golgatha gehen. Ich werde nicht weglaufen, sondern bleiben – so wie die anderen Frauen. In dieser Woche will ich einfach nur bei ihm sein.

      Zum Thema Jesus in seiner Passion nahe sein finde ich in der Bibel folgende Texte: Psalm 63,1 - 9; Hohelied 1,4; Hohelied 8,6 - 7; Jesaja 53; Lukas 10,38 - 42; Johannes 12,1 - 8; Johannes 18 - 19.

       Den Auferstehungssieg feiern

       Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit!

      OFFENBARUNG 1,17B-18A

      In einer Zeitschrift fand ich das Bild eines Malers, das ein Porträt des nachösterlichen Christus darstellt, mit dem Titel: Der lachende Jesus. Ich liebe dieses Bild, weil es die überschäumende Lebens- und Daseinslust des Auferstandenen widerspiegelt und eine einzige Demonstration des Sieges vom Leben über den Tod ist. Ostern lachen wir dem Teufel ins Gesicht. Ostern feiern und bekennen wir den Sieg des Lebens über alle Dunkelheit, alles Zerstörerische, Zwielichtige und Niedermachende in uns und um uns herum. Ostern ist ein aufständisches Fußaufstampfen, ein wildes Trotzdem, ein staunendes Wer-hätte-das-gedacht und ein jubilierendes Ichhab’s-doch–schon-immer-gewusst. Ostern ist der Beweis dafür, dass alles möglich ist und dass es das Happy End wirklich gibt. In der Kälte und Dunkelheit der Osternacht erhebt der Zerschlagene und der Verzagte, der Entmutigte und Kraftlose zögernd den Kopf und sucht den Horizont nach den ersten Zeichen eines neuen Tages ab. Irgendwann wird das Schwarz der Nacht zum Grau der Dämmerung, und die Vögel stimmen noch in der Dunkelheit ihr erstes, zaghaftes Lied an. Dann verfärbt sich der Horizont, und das erste Licht des neuen Tages bricht sich Bahn. Die vermeintlich Besiegten, die Verlierer, die Gedemütigten, die, die keine Hoffnung mehr hatten, springen auf und stimmen ein wildes Siegesgeheul an. Mit Tränen in den Augen liegen sie sich in den Armen, boxen in die Luft, starten groteske Tänzchen, stoßen sich gegenseitig kumpelhaft in die Seite, können ihr Glück noch gar nicht fassen. Dann fassen sie sich an den Händen, bilden eine lange Kette, eine starke Front, und rufen der schwindenden Nacht hinterher: »Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.« Das Gelächter, welches dann folgt, empfängt den neuen Tag, ist ein Bekenntnis zum Leben, zum Sieg und zu Ihm, der es (wer-hätte-das-gedacht-aber-ich-hab’s-eigentlich-schon-immer-gewusst) tatsächlich geschafft hat!

       In dieser Woche will ich in besonderer Weise den Auferstehungssieg Jesu feiern. Über allem Dunklen und Ungelösten, was es auch in meinem Leben gibt, will ich bekennen: »Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!« Ob ich es spüre oder nicht, ob ich im Moment etwas von diesem Sieg in meinem Leben sehe und erlebe oder nicht – ich werde mir diesen Satz nicht entreißen lassen und ihn immer wieder laut und vernehmlich vor der sichtbaren und der unsichtbaren Welt ausrufen. In dieser Woche werde ich der Gelassenheit Raum geben, die aus dem Wissen um den Sieg Jesu erwächst. Das, was da noch in mir und in meinem Leben an Zerstörerischem tobt, kämpft und sich breitmachen will, betreibt nur noch Schattenboxen, einen verlorenen Kampf, und ist längst besiegt. In dieser Woche werde ich meinen eigenen, oft so zermürbenden und überdies nutzlosen Kampf niederlegen, mich in die Frühlingssonne setzen und mich von den ersten Strahlen wärmen lassen, einen riesigen Strauß Osterglocken in mein Zimmer holen und dem Feind eine fröhliche Grimasse schneiden.

      Zum Thema Den Auferstehungssieg feiern finde ich in der Bibel folgende Texte: Psalm 24,7 - 10; Psalm 118,15 - 17; Johannes 11,25 - 27; Johannes 20, 1 - 18; 1. Korinther 15,54 - 58; 2. Korinther 2,14; Offenbarung 1,12 - 18.

       Reifer und befreiter Glaube

       Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast.

      2. TIMOTHEUS 3,14

      Dieser Bibelvers macht mich richtig ärgerlich! Ich kann auch genau sagen, warum. Ich bin froh und dankbar, dass ich so manches Gelernte hinter mir lassen und abstreifen konnte. In meiner geistlichen Biografie gibt es einiges, was mir mehr Schaden zugefügt hat, als dass es mir geholfen hätte. Mir mehr Enge als Weite, mehr Angst als Freiheit, mehr Düsternis als Lebensfreude beschert hat. Aus diesen unguten Prägungen habe ich mich unter viel Tränen und Kämpfen, mit viel Hinfallen und wieder Aufstehen, mit ganz viel Zweifeln, Fragen und Schuldgefühlen hervorgekämpft – was da entstanden ist, ist überaus kostbar, fühlt sich jesusnah und grundrichtig an. Wenn mir Menschen begegnen, die mich mit frommen Sprüchen und biblischen Richtigkeiten wieder in das »Alte« zurückzwingen wollen, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Ich will nicht bei dem bleiben, was ich gelernt habe, will Entwicklung, Veränderung und neue, Leben spendende Impulse. Ich mache Paulus eine lange Nase und klappe meine Bibel erst einmal zu.

      Nur um sie gleich wieder aufzuklappen, denn mir fällt ein, dass der Vers ja noch nicht zu Ende ist: » … und wovon du dich überzeugt hast«, steht da noch. Heißt doch: Ich kann, darf und muss mich von der Richtigkeit des Gelernten selbst überzeugen. Das Gelernte und die eigene Überzeugung müssen zusammenkommen und passen. Da darf nichts auseinanderklaffen. Wenn ich das Gelernte ohne diese Selbstüberzeugungsarbeit übernehme, es aber nie zu meinem Eigenen geworden ist, dann wird mein Glaube entweder eine leblose Hülle, eine Farce, oder es kommt zu einer Abspaltung in meiner Person. Ich lebe und vertrete dann etwas, was mir ganz tief drinnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht passt, gegen das ich mich innerlich sogar sträube. Diese Abspaltung macht auf Dauer krank. Seelisch und geistlich.

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