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der Reiter reckte eine Lanze in die Luft, die vier anderen Reiter führten gleichzeitig die Hände zu den Wehrgehängen und zogen die Schwerter.

      Von dort musste der Pfeil gekommen sein.

      Voto warf das Holzschwert weg, rannte zur Wachhütte, wo sein Stahlschwert lag, und stellte sich den fünf Reitern aus dem Osten entgegen, doch sie galoppierten an ihm vorbei und hielten auf die Menge vor dem Großen Saal zu. Die Menschen schrien auf. Einige stoben davon, andere blieben wie festgewurzelt stehen.

      Auch im Westen stürmten Reiter aus dem Wald hervor, flogen an den Wirtschaftsgebäuden und am Großen Saal vorbei, zückten ihre Schwerter und preschten mitten hinein in die Zuschauermenge, stachen in Hälse, zertrümmerten Schädel.

      Gerold glaubte die Bilder nicht, die seine Augen erfassten. Er suchte nach Adelind. Sie stand inmitten der Menge, hob sich aus ihr hervor mit ihrem blauen Kleid. Das Gesicht kreidebleich, starrte sie in seine Richtung, wo Vater am Boden lag.

      Ich muss sie in Sicherheit bringen, dachte Gerold. Sanft legte er den Kopf seines Vaters ins Gras und rannte zu ihr.

      Wie ein Dämon tauchte hinter ihr ein Reiter auf.

      „Adelind!“, schrie Gerold. „Lauf weg!“

      Sie sah den Dämon nicht, ebenso wenig das Schwert, das hoch über ihr in der Sonne blitzte.

      „Adelind!“, schrie Gerold, wild mit den Armen fuchtelnd. „Hinter dir!“

      Das Schwert sauste auf sie nieder. Es schlitzte in ihren Nacken und drang tief in den Hals. Ihre Augen weiteten sich in einem Augenblick des Unglaubens, dann drehte sie sich um die eigene Achse und sackte zusammen.

      „Nein!“, schrie Gerold. In vollem Lauf griff er die Franziska und schleuderte sie gegen den feindlichen Reiter. Das Beil schlug in dessen Rücken ein, und der Mann stürzte vom Pferd.

      Reglos lag seine Schwester am Boden. Er kniete neben ihr nieder. Aus dem Hals sprudelte Blut. „Adelind!“, rief er, mit der Hand die Backe tätschelnd. „Schwesterherz!“

      Ihr Name schien irgendetwas in ihr zu wecken. Die Augen blickten zu ihm hinauf, und die Mundwinkel zogen sich zu einem leisen Lächeln nach oben. „Bruder“, flüsterte sie.

      Das Lächeln erstarb, ebenso ihre Augen, weit aufgerissenen starrten sie gen Himmel.

      Er fasste an ihre Schulter und rüttelte sie. „Schwester!“

      Eine Hand legte sich auf seine Schulter, es war Voto. „Sie ist tot, Herr.“

      „Nein.“ Schwach schüttelte Gerold den Kopf, Tränen schossen ihm in die Augen.

      Er zwang seinen Blick von ihr weg, er sah auf. Die Menschen flohen in alle Richtungen; die einen versuchten, den Wald zu erreichen, andere stürzten in den Großen Saal. Voto rannte nach Osten, den Abhang hinauf.

      „Wer sind die überhaupt?“, fragte sich Gerold, gegen Tränen ankämpfend. „Wo kommen sie her?“

      Er stand auf und zog sein Schwert, doch am Gewicht merkte er, dass er nur das Holzschwert in der Hand hielt.

      „Voto!“, rief Gerold ihm hinterher.

      Voto blieb stehen, er zögerte einen Moment, als überlegte er, ob er Gerolds Ruf folgen sollte, doch dann kehrte er um.

      Gerold warf das Holzschwert weg und streckte die Hand aus. „Gib mir dein Schwert!“

      Voto legte ihm das Schwert in die Hand.

      Gerold nickte. „Du kannst gehen.“

      Voto rannte davon, wurde aber von zwei Reitern eingeholt und niedergemacht.

      Gerold hob seinen Schild vom Boden auf.

      Die Reiter wendeten, erblickten Gerold und trieben ihre Pferde in seine Richtung.

      Gerolds Atem ging schneller. Ich bin der Nächste, schoss es ihm durch den Kopf.

      Ein Reiter − der rechte − hielt kein Schwert in der Hand, sondern eine drei Schritte lange Lanze.

      Gerold hatte den Großen Saal im Rücken. Der feste Vorsatz, nicht zu fliehen, wankte mit jedem Schritt, den die Pferde näherkamen, ein wenig stärker.

      In vollem Galopp donnerten sie auf ihn zu.

      Gerold machte einen Schritt zurück.

      Der Reiter hob die Lanze, bereit, die Eisenspitze in Gerolds Brust zu bohren.

      Gerold blickte über die Schulter. Zu spät. Zu weit war die Tür zum Großen Saal entfernt. Er hörte das Schnaufen der Pferde. Verzweifelt warf er sich nach links, weg vom Lanzenreiter − und geriet vor die Hufe des anderen Pferdes. Er riss mit der linken Hand den Schild vor das Gesicht und mit der rechten Hand das Schwert nach oben; er schloss die Augen, um die Pferdehufe, unter denen er zermalmt werden würde, nicht kommen zu sehen.

      Das Schwert schnitt in Fleisch, das Pferd wieherte ohrenbetäubend.

      Gerold riss die Augen auf, nahm den Schild vom Gesicht.

      Er sah in einen Pferdehuf.

      Ehe er sich rühren konnte, stampfte der Pferdehuf auf: ins Gras, keine zwei Halme neben seinem Ohr.

      Das Pferd bäumte sich auf, der Reiter rutschte vom Pferderücken.

      Gerold sprang zum gestürzten Reiter und stieß ihm die Schwertklinge in den Bauch, bevor dieser aufstehen konnte. Während der Schrei des Getroffenen in Gurgeln überging, drehte sich Gerold nach dem Reiter mit der Lanze um.

      Doch der Lanzenreiter war nicht mehr allein.

      Drei weitere Reiter hatte er um sich gesammelt, sie schwärmten aus und umstellten Gerold: In einem Halbkreis standen sie vor ihm, hinter sich hatte er den Großen Saal.

      Gerold erkannte, dass sie ihn dort hineindrängen wollten. Er blieb stehen.

      Für einige Augenblicke stand alles still. Gerold dachte, sie könnten ihn zur Aufgabe auffordern, um später für ihn Lösegeld auszuhandeln.

      Aber niemand sagte ein Wort.

      Er ahnte: Sie wollten keine Münzen, sondern sein Leben. Er spürte eine unsichtbare Hand, die sich um seinen Hals legte und die Kehle zudrückte.

      Ein Wunder, dachte er, ich brauche ein Wunder.

      Als würde sein Flehen erhört, stach ihm seine Franziska ins Auge: Sie steckte noch im Rücken des Reiters. Gerold hechtete zu ihr, warf das Schwert weg, riss die Franziska aus dem Rücken und schleuderte sie auf den Lanzenreiter.

      Der Reiter riss den Schild hoch, krachend prallte die Franziska daran ab.

      Der Lanzenreiter lachte leise.

      Schritt für Schritt kamen die vier Reiter näher.

      Gerold nahm das Schwert wieder vom Boden auf. Erneut spürte er die unsichtbare Hand an seinem Hals. Er wusste, dass er in den Großen Saal fliehen musste. Aber was, wenn sie ihn anzünden würden?

      Verzweifelt suchte er einen Ausweg, irgendeine Möglichkeit zur Rettung, ein Wunder − und erspähte zwei Eisenringe im Boden. Sie gehörten zur Falltür, die in das Gefängnis führte.

      Noch zehn Schritte war der Lanzenreiter entfernt.

      Gerold rannte zur Falltür.

      Der Lanzenreiter stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken.

      Gerold warf den Schild weg, zog die Falltür an den Eisenringen auf und warf das Schwert hindurch.

      Er sah den Lanzenreiter nicht, hörte nur das Donnern der Hufe, befürchtete, jeden Moment die Lanzenspitze in seinem Rücken zu spüren.

      Dann sprang er in das Loch. Er sah den Boden nicht kommen, ohne Vorwarnung knallte er auf Knie und Ellbogen. Gerold stöhnte, zog den modrigen Geruch durch die Nase. Er zitterte am ganzen Körper. Ist das alles wahr?, fragte er sich. Nein, das kann unmöglich wahr sein. Mein kleines Schwesterherz, sie kann nicht …

      Draußen

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