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respektierte auch so die Grenzen.

      Hinter dem Park stieg die Ebene zu einem Hügel an. Am Fuße des Hügels befanden sich einige Häuser. Vermutlich handelte es ich um einen Bauernhof. Wenn es hier überhaupt keine Begrenzung gab, konnte es da nicht sein, dass aus dieser Richtung der Mörder gekommen war?

      Das würde auch erklären, warum den Nachbarn nichts Verdächtiges aufgefallen war. Das hatte zumindest eine Befragung seiner Kollegen ergeben.

      Vielleicht war es ein Pächter in Geldnöten gewesen? Er erinnerte sich wage. Die Stadt war nicht groß. Es hatte sich herumgesprochen. Außerdem hatte es im „Heumarkt“, dem hiesigen Provinzblatt gestanden. Das Land war aufgekauft worden, von keinem Geringeren, als Anatol Maus.

      Höflich blinzelte, denn der Schnee blendete ein wenig, und auch die späte Wintersonne, die gerade hinter den Bäumen stand, schickte ihren sanften goldenen Glanz zwischen ihnen hindurch.

      Dieser Glanz erwärmte sein Herz, und ihm fiel wieder ein, dass morgen Weihnachten war.

      Höflich war nicht verheiratet, und er hatte auch keine Kinder. Das und die Tatsache, dass auch sonst niemand auf ihn wartete, außer vielleicht seine betagte Tante, ließen ihm die Freiheit, seinen Urlaub so zu gestalten, wie es seinen Vorlieben entsprach.

      Er bevorzugte gute, besondere Hotels mit nostalgischem Ambiente. In so einem Hotel hätte er gern seine Weihnachtsferien verbracht.

      Brauchte er jemand anderen dazu?

      Nein. Er wollte wie sein großes Vorbild, Hercule Poiroit, vor einem ausgesuchten Mittagessen in einem schönen alten Hotel sitzend an seinem Sherry nippen und seinen grauen Zellen eine Ruhepause gönnen.

      In aller Entspanntheit wollte er dann, wie er es gern in den seltenen Fällen von Ausgeglichenheit tat, die anderen Gäste beobachten und ihnen Geschichten andichten, wobei er ihnen, um dem Ganzen eine besondere Würze zu geben, dunkle Geheimnisse unterzuschieben gedachte.

      Wie in einer heimlichen Übereinstimmung begannen in diesem Moment die Glocken zu läuten, als Einladung zur Christvesper. Er wäre gern in eine Kirche gegangen.

      Stattdessen steckte er in einem Mordfall, der ihm Rätsel aufgab. Das war nicht bei allen Fällen so. Bei einigen war es klar ersichtlich, wer der Täter war. Oftmals stellte sich dieser selbst. Ihm blieb dann in der Hauptsache die Aufgabe, die Aussagen zu überprüfen und Berichte für den Staatsanwalt anzufertigen. Überhaupt war sehr viel Verwaltungsarbeit erforderlich.

      Doch hier lag der Fall anders. Es musste ermittelt, geprüft und überlegt werden. Hier war kriminalistischer Spürsinn erforderlich. Jawohl.

      Dieser Fall forderte ihn heraus. Seufzend wandte er sich wieder dem Eingang zu. Er musste mit Kirschkern sprechen. Das Hotel musste warten.

      Rosenkranz, der der Anweisung seines Vorgesetzten gefolgt war, hatte, nachdem er die Notizen über die Vernehmung der Köchin auf Vollständigkeit überprüft hatte, die Villa verlassen und sich auf die Suche nach dem Gärtner begeben.

      Der hatte, nachdem er gebeten worden war, das Gelände nicht zu verlassen, alle Wege und Zufahrten vom Schnee befreit und befand sich nun, wie ihm einer der Kollegen verriet, in einem der abseits gelegenen ehemaligen Wirtschaftsgebäude.

      Rosenkranz begab sich in den verschneiten Park und wanderte den vom Schnee befreiten Weg entlang, der einen leichten Hügel hinauf, direkt zur Vorderseite der Gebäude führte.

      Er rüttelte an Türen. Sie waren verschlossen.

      Wieder vernahm er, dieses Mal ganz aus der Nähe, das Bellen eines eher kleinen Hundes, das in ein Winseln endete. Nach einer Weile erklang erneutes Bellen. Bereits vor einiger Zeit hatte ein ähnliches Bellen seine Aufmerksamkeit erregt.

      Sicher war der Gärtner nicht weit. Er ging um die Gebäude herum.

      Die bereits im Westen stehende Sonne strahlte von einem noch immer blauen Himmel. Doch die Luft war eisig kalt. Zwölf Grad unter Null hatte der Wetterbericht vorausgesagt. Die Kälte brannte in seinem Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen und einem leisen Seufzer des Bedauerns sah er über die schöne Winterlandschaft. Ideales Wetter zum Skifahren. Ursprünglich wollte er mit zwei Freunden über die Feiertage in die Berge fahren. Das war, bevor er erfahren hatte, dass er sich zum Dienst bereit halten sollte.

      Seit einem Jahr arbeitete in der Mordkommission, und er hatte es keinen Tag bereut.

      Für die Zukunft hatte er ehrgeizige Pläne. Gegen seinen Chef, dem er vor sechs Monaten zugeteilt worden war, hatte er nichts. Auch wenn man ihn einstimmig vor den Kommissar gewarnt hatte.

      Denn Kommissar Höflich war, wegen seiner vielen Grillen und aufgrund seiner unorthodoxen Methoden, denen er sich bediente, nicht gerade beliebt. Doch Rosenkranz hatte sich arrangiert und bewunderte seinen Chef sogar ein wenig.

      Dessen skurrile Züge und spontane Wutausbrüche waren ihm seltsam vertraut und störten ihn daher nicht sonderlich. Nur diese gelegentlichen Feindseligkeiten und dieses oftmals unpassende und herablassende Machtgehabe kratzten an seinem ohnehin schwächelnden Selbstbewusstsein.

      Jetzt allerdings musste er lächeln, als er an seinen Chef und dessen offensichtliche Affinität für die dicke Köchin dachte.

      „Ein eigenartig robustes Exemplar“, schmunzelte Rosenkranz, „und genau so skurril wie ihr Bewunderer.“ Im Gegensatz zu Höflich fand er an ihr nichts Bewundernswertes. In seinen Augen war sie grobschlächtig und irgendwie … ihm fiel nicht ein, was.

      Nun ja, er kannte sie nicht weiter. Doch offensichtlich sah sein Chef etwas in ihr, was er nicht sehen konnte.

      Eine Portion privates Glück würde dem Kommissar nicht schaden. Er, Rosenkranz, gönnte es ihm jedenfalls von Herzen.

      Ihm stieg Pferdegeruch in die Nase. Als er um die Ecke bog, sah er in einer Ummauerung einen Misthaufen dampfen.

      Von einem Hund keine Spur. Er würde später nach ihm suchen.

      Das Tor zum Pferdestall war nur angelehnt. Als er es öffnete, knarrte es in den Angeln.

      Muss wohl mal geölt werden, dachte Rosenkranz, als er eintrat und von Pferdedunst und dem weniger starken Geruchsgemisch von Hafer und Lederzaumzeug eingehüllt wurde.

      Im Stall war das Licht gedämpft, eine Wohltat für die Augen, und im Gegensatz zu den Außentemperaturen erträglich warm.

      An der Wand entlang befanden sich vier Pferdeboxen, drei davon waren bewohnt.

      Auf der Suche nach dem letzten zu vernehmenden Zeugen ging Rosenkranz langsam, um seine Bewohner nicht zu erschrecken, von Box zu Box.

      Ein großer Apfelschimmel und eine braune Stute befanden sich in den ersten Boxen. Neugierig kamen sie näher. Große, feuchte, braune Augen waren prüfend auf ihn gerichtet. Weiße Dampfwolken stieg auf in der frostigen Stallluft.

      Die nächste Box war leer.

      Als er an die vierte Box trat, sah er sich einem Pferdehintern gegenüber. Der dazugehörige Kopf drehte sich zu ihm um und schüttelte grüßend seine Mähne. Langsam ging er weiter und tätschelte kurz mit einer Hand die dargebrachte Kehrseite.

      Gerade wollte er sich abwenden, stutzte jedoch und kehrte zurück.

      Tatsächlich, auf einer Hinterseite der kräftigen grauen Stute lag eine menschliche Hand. Und daran befand sich ein Arm. Der wiederum war an einem Körper befestigt, welcher mit dem dazugehörigen Kopf an dem mächtigen Bauch des Tieres ruhte. Ein Pferdeknecht.

      Durch das kleine Fenster am oberen Rand drangen spärlich Sonnenstrahlen durch die schmutzige Scheibe. Rosenkranz blinzelte verwundert auf das Bild, das sich ihm bot. Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten wirkte es auf ihn. Es gehörte nicht zu der Hightech-Welt, die er gewohnt war, in der Computer, iPhones und iPads unerlässlich waren.

      Und dabei war es so einfach. Ein Mann ruhte, nachdem er die Ernte eingebracht, die Felder umgepflügt und den Wald

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