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Widersacher werden zugeben, dass sie bei dieser Gelegenheit etwas Nützliches gelernt haben.

      Zweitens hat er der zum Kitsch geronnenen, der falschen Hoch- und Höchstschätzung der Kunst einen kalten Guss verpasst. Solche Schätzung fußt auf einer gedankenlosen Identifikation von Persönlichkeit und Werk; diese Einheit hat Beltracchi mit einem schmerzlichen Ruck auseinandergerissen. Von nun an wird man immer mit der Möglichkeit zu rechnen haben, dass ein gutes Bild seine Weihen nicht vom Seelenzustand des malenden Schmerzensmanns empfangen hat, sondern allein von den Pinselstrichen, aus denen es sich zusammenfügt. Dazu hat Beltracchi gezeigt, wie man die Probleme der Provenienz umgeht. Im Weinkeller des Kunstgenusses hat er gewissermaßen die Etiketten von den Flaschen abgelöst und zwingt nun alle, die für Kenner und Genießer gelten, zur Blindverkostung – eben jenem Vorgang, bei dem sich die Urteilskraft unmittelbar und unbestochen zu bewähren hat: Bei seinen Geschmacksurteilen kann sich künftig niemand mehr auf das Schildchen verlassen, das mitteilt, wo das Hochgewächs herstammt, sondern es muss ein jeder angeben, wie es ihm tatsächlich mundet. Beltracchi veranlasst die Freunde der Kunst, vom Modus der Verehrung auf den der Betrachtung und Erfahrung umzuschalten. Da fallen denn angestammte Kenner und Liebhaber reihenweise auf die Nase. Recht so.

      Drittens und vor allem hat er damit dem Tauschwert der Kunst einen Nasenstüber verabfolgt. Wenn man sich nicht mehr sicher sein kann, ob man da eigentlich ein echtes oder bloß ein gutes Bild vor sich hat, wird die Bereitschaft, exorbitante Summen zu zahlen, vielleicht doch zurückgehen. Denn für den bloßen Kunstgenuss wird man am Ende nicht so viel bezahlen, wie wenn man ein Spekulationsobjekt erwirbt, das am Kunstwerkhaften lediglich seine obskure Voraussetzung hat, insofern damit für die absolute Knappheit gebürgt ist. Um noch einmal den Vergleich mit dem Wein zu bemühen: Wenn nur noch der Geschmack zählt, wird man für eine wirklich gute Flasche Bordeaux vielleicht noch hundert Euro hinlegen, aber nicht mehr zehntausend.

      Zu hoffen wäre, dass Beltracchis Aktivität als Korrektiv auf den Kunstmarkt einwirkt: Der Druck der überhöhten Preise führt dazu, dass die Fälschung lohnend wird, das Ventil öffnet sich, ein Teil des Dampfs tritt aus, und der Kessel wird vor der Explosion bewahrt. Der Fälscher hat im kybernetischen Ganzen der Kunst durchaus seine konstruktive, nämlich eine mäßigende Aufgabe.

      Fasst man das Gesamtbild ins Auge, wird man weder gegen die Strafe für die Beltracchis etwas einzuwenden haben, noch gegen deren offenen Vollzug. Ihre astronomischen Schulden (acht Millionen Euro sollen es sein) werden sie kaum bedienen können, wenn man Wolfgang Beltracchi nicht in der einen oder anderen Form wieder das Malen erlaubt. Er hat sogar einmal, vor Jahrzehnten, im Münchner Haus der Kunst in eigenem Namen ausgestellt. Was er wirklich konnte, scheint damals nicht recht zum Zuge gekommen zu sein; jedenfalls hat er diese Linie nicht weiter verfolgt.

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      Wäre ich ein Geschädigter, ich hielte es folgendermaßen: Ich würde öffentlich darüber lachen, dass ich der Angeschmierte bin, denn zum Schaden muss der Spott nicht auch noch kommen. Dann lüde ich den Fälscher ein, gegen eine kleine Unkosten-Pauschale in Höhe von sagen wir fünftausend Euro und mit möglichst großer Beteiligung der Medien, auf dem angeblichen Derain-Gemälde, das er mir damals untergejubelt hat, den Namenszug Derains durchzustreichen und statt dessen schwungvoll drüber zu setzen: »Beltracchi«. Dann wäre ich bis auf weiteres der einzige Besitzer einer authentifizierten Fälschung dieses Mannes.

      Wahrscheinlich aber kämen schon sehr bald andere auf denselben Trichter, mit einem Wort: Es würde sich ein Markt entwickeln. Wer weiß, zu welchen Notierungen er es brächte, die Preise könnten in die Höhe schießen, vielleicht bis in die Nachbarschaft der von Beltracchi Nachempfundenen. Es könnte durchaus attraktiv werden, nunmehr ihn zu fälschen, das heißt, die echten Fälschungen durch falsche Fälschungen zu vermehren. Allerdings müsste einer, der das glaubwürdig schafft, ein kaum vorstellbares Hyper-Talent sein, das es hinkriegt, ins Beltracchische Hineinschlüpfen hineinzuschlüpfen.

      Ein Experte wie Werner Spies dürfte sich hier endgültig überfordert fühlen. Ja es wäre sogar denkbar, dass, sollte der von Beltracchi so nachdrücklich geförderte Expressionist Campendonk einmal keine Konjunktur mehr haben, sich der Eigentümer eines echten Campendonk-Bildes verlockt fühlt, es als eine Fälschung Beltracchis auszugeben, um dann seinerseits wegen Betrugs im Gefängnis zu landen …

      Beltracchi regt in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken an. Sein Vermächtnis besteht im Zweifel. Der schadet den Preisen und nützt der Kunst. Er ist ein unentbehrliches Durchgangsstadium auf dem Weg zur Wahrheit. Denn darüber, was die Wahrheit der Kunst sei, herrschen heute mancherlei überhitzte Missverständnisse.

      Nachschrift

      Dieser Artikel in der Zeitschrift »Merkur« hat die Aufmerksamkeit des Galeristen Curtis Briggs erregt, der Wolfgang Beltracchi vertritt, seit er aus dem Gefängnis entlassen ist und unter eigenem Namen malt. Curtis Briggs bittet mich, eine kleine Rede zur Beltracchi-Pressekonferenz in seiner Schwabinger Galerie zu halten – ein Auftrag, dem ich gern nachkomme. So habe ich Gelegenheit, die Beltracchis auch persönlich kennenzulernen. Mich beeindruckt die absolut solidarische Liebe des Paars, die sich in jeder Kleinigkeit ausdrückt. Die blondgrauen Mähnen der beiden, die auf Bildern zuweilen etwas wie aus der Zeit gefallen wirken, vereinen sich im Leben zu einer silbernen Doppelaura. Am Vorabend beim gemeinsamen Dinner trägt Beltracchi ein Outfit, das ihn höher dünkt als jeder Smoking: ein von ihm selbst gefertigtes T-Shirt, das ihn als Figur bei den »Simpsons« zeigt. In dieser Zeichentrickserie nämlich durfte seine Persona auftreten, natürlich mit der üblichen gelbgesichtigen Stilisierung. Das ist ein globaler Ritterschlag, wie ihn selbst der globale Kunstmarkt nicht zu spenden vermag. Allerdings hat er das aus dem Internet übernommene Originalbild ein wenig in seinem Sinn abgeändert: Er hat die Locken seines Alter Ego verlängert, so dass er sich in ihm leichter wiederzuerkennen vermochte. Eine kleine, eine harmlose Verfälschung, ein bisschen wie in Offenbachs Operette »Die Prinzessin von Trapezunt« die Artistengruppe, die in der Lotterie gewinnt und keine Kunststücke mehr für die Öffentlichkeit vollführen muss – aber nachts schleicht der Feuerfresser zum Ofen, um heimlich ein paar glühende Kohlen zu naschen …

      Ich halte meine kleine Rede, zehn Minuten vielleicht. Beltracchi meint, die sei für ihn wie ein Geburtstagsgeschenk, was mich sehr freut. Die anwesenden Journalisten stellen insgesamt nicht sehr inspirierte Fragen. Sie neigen stark zum Moralisieren und finden Beltracchi, obwohl er jetzt offensichtlich ehrbar geworden ist, nicht so reumütig, wie sie sich das vorgestellt hätten. Er vermasselt ihnen das vorgefasste Skript. Ob das Leben denn nicht viel leichter und froher sei, jetzt, wo er einen Schlussstrich gezogen habe? Nein, bescheidet Beltracchi den Frager, früher habe er erstens Geld und zweitens seine Ruhe gehabt; jetzt habe er weder noch. Eine junge Journalistin, die wissen will, ob und wann er denn zu einem eigenen Werk durchdringen wolle, fertigt er unwirsch ab: Sie habe ja wohl eine Stunde hundsmiserabel zugehört. Sie wird rot und trotzig, schweigt aber.

      Und was sind es für Bilder, die man hier sieht? Ein bösartiger Kommentar, der am nächsten Tag erscheint, verkündet: Der kopiert ja noch immer! Aber das stimmt nicht. Weder hat Beltracchi je kopiert, noch tut er das Gleiche wie zuvor. Er beweist seine hohe Kunst, die sich mit der Vielfalt der Tradition auseinandersetzt. Doch hat er von der Drohung abgelassen, die seine Tätigkeit für den Markt bedeutet hat; ein Pirat, der immer noch so schnell springen und schießen kann wie eh und je, aber nunmehr davon absieht, seine Waffe den Pfeffersäcken aufs Herz zu richten. Das führt natürlich zu gewaltigen Preiseinbrüchen: Ein echter Beltracchi erzielt nur ungefähr ein Prozent des Preises wie ein fälschender. Das wären so um die fünfzigtausend Euro. Dieser den Künstler demütigende Tiefstand bezeugt vor allem die lernunfähige Verstocktheit eines gierigen Markts, dem die nächsten Enttäuschungen in Form von enttarnten Nachschöpfungen wohl schon bald bevorstehen. Ich finde Beltracchis Bilder gut und in jenem konservativen Sinn gelungen, wie ein Kunstwerk es sein sollte, das sich wahrhaft ins Reich der Kunst einschreiben will. Dieses ist gewiss ein schwankendes Kontinuum und noch gewisser ein von Grund auf amoralisches, insofern Kunst zu jeder Zeit den Herrschenden nach dem Mund geredet hat. Interessant wird solche Kunst dann, wenn die auftraggebenden Machthaber zu Staub zerfallen sind, wie sie es zuletzt immer tun: Hält ihr Gewölbe aus eigener Kraft, wenn die Gerüste abgezogen sind? Mein Lieblingsbeispiel

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