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zugetraut hätte. Der Künstler, da hilft nichts, beglaubigt sich als Genie.

      Erst Beltracchi entflicht auf skandalöse Weise dieses Ineinander. Er tut es, indem er den praktischen Nachweis führt, dass das betreffende Werk auch ohne den Nährboden der Persönlichkeit nicht nur entstehen, sondern auch bestehen kann. Alle Gutachter haben sich im Fall Beltracchi katastrophal blamiert: Das »Unechte« haben sie nicht herausgefunden.

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      Es ist kein Zufall, dass Beltracchis Hauptaktionsfeld in der Klassischen Moderne liegt und weder in der älteren noch in der jüngsten Kunst. Bei der älteren Kunst liegt der Anteil des rein Handwerklichen am Werk, des »Meisterlichen«, so hoch, dass Beltracchi hier sozusagen nur kollegial hätte tätig werden können. Natürlich gibt es da auch Hindernisse bei der Beschaffung alter Rahmen, Leinwände usw. Doch vor allem wird er es so empfunden haben, dass z. B. ein zweitrangiger Rubens mit starker Werkstattbeteiligung unter seinem Niveau gewesen wäre. Hier hat das Geniale der Genie-Imitation keine Chance, zum Vorschein zu kommen. Die wesenhafte Übereinstimmung von Ur- und Nachbild erreicht hier nahezu einhundert Prozent, was reizlos ist. Umgekehrt geben seinen speziellen Talenten die modernen Konzept- und Bastelkünstler nichts zu tun. Jeff Koons zum Beispiel lässt malen, denn, wie er sagt: »Öl schafft Vertrauen« – ein Satz, dem man gern genialen Zynismus bescheinigen möchte. Zu Recht lehnt Beltracchi es ab, so etwas nachzumachen: Das würde ihn zum Domestiken erniedrigen, dem nichts als der legitimierende Auftrag fehlt. (Beltracchi hat es abgelehnt, seine Bilder als Konzeptkunst in Umlauf zu setzen, das wäre ihm wider die Fälscherehre gegangen.) Und die Bastler, die das untergegangene Atlantis aus hundert Millionen abgebrannten Streichhölzern nachschaffen, gleichen spielenden Kindern, die man ja auch nicht fragt, was sie können, denen man nur zusieht in ihrer tiefen manischen Versunkenheit, seinerseits träumend. Da beträgt die Überschneidung mit den Möglichkeiten des Virtuosen ziemlich genau null Prozent – reizlos auch das.

      Aber jene Sattelzeit, jene entscheidende Umbruchsphase, als es die Künstler auf die eigene Kappe nahmen, das Neue kraft ihrer wie auch immer unzulänglichen charakterlichen und maltechnischen Voraussetzungen hervorzubringen, jene Kunst-Pubertät zwischen 1890 und 1950 mit ihren schmerzlich improvisierten Formen, die so persönlich und qualvoll waren wie Akne auf einem jungen Gesicht (von dem man allenfalls ahnt, dass es sich anschickt, ein schönes zu werden) – die bot sich dem geschulten und geschickten Maskenbildner an. Man betrachte zum Beispiel, was Max Ernst vollbracht hat, ein Künstler, den Beltracchi besonders gern zur Vorlage nahm. Er hatte keine akademische Ausbildung genossen, seine Art zu malen weist gewisse technische Defekte auf; und es gibt Leute, die geringschätzig behaupten, Max Ernst wisse noch nicht mal, wie herum man einen Pinsel hält.

      Aber er erfand Tricks, wie sich mit minimalem Aufwand die Anmutung alter Meister aus dem 16. Jahrhundert erzielen ließ, die Frottage etwa, bei der Strukturen auf die Bildfläche durchgerieben wurden, oder die Décalcomanie, bei der man einen farbgesättigten Schwamm auf die Leinwand drückt und schmatzend wieder abhebt, wodurch sich verblüffende Grotten-Effekte ergeben. Das war schon von Max Ernst selber eine inspirierte Frechheit gewesen: die Vortäuschung malerischer Akribie, wo es in Wahrheit auch ein summarischer Handgriff tat. Beltracchi musste diese bereits vorproduzierte Frechheit dann nur noch zur Potenz erheben.

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      Tote Künstler haben den Vorteil und Nachteil, dass sie nicht nachliefern können und die Zahl ihrer Werke dauerhaft konstant bleibt – und das, obwohl doch alles am kapitalistischen Markt auf das unbegrenzte Wachstum hinauswill. Der Markt kann sich, soweit es die alte Kunst betrifft, grundsätzlich nur auf dem Weg der Preissteigerung ausdehnen, wovon er auch reichlich Gebrauch macht. Aber diese Option genügt nicht: Es sind einfach immer zu wenig Objekte verfügbar. Von Vermeer wird es, ungeachtet seines suggestiven Namens, immer nur die altbekannten rund drei Dutzend Bilder geben.

      So muss der Kunstmarkt zwei sich ausschließende Dinge auf einmal wollen: dass die Kunstwerke ihr erstaunliches Hochpreisniveau halten, indem sie ihre Unvermehrbarkeit im pathetischen Kultus des verstorbenen Genies verkünden; und dass ihre Anzahl aber trotzdem unter der Hand und irgendwie anwachsen möge, damit sich zu diesen paradiesischen Konditionen eine deutlich erhöhte Zahl von Geschäften machen lasse.

      Unter solchen Verhältnissen wird die Fälschung nicht nur ermöglicht, wie herumliegendes Geld zum Einstecken animiert, sondern geradezu flehentlich herbeigerufen. Die Fälschung liefert dem Kunstmarkt, der an diesem inneren Widerspruch schwer leidet, die ersehnte Ausdehnung der Geschäftsgelegenheiten. Doch wohlgemerkt nur, solange das Ganze nicht auffliegt. Dass Beltracchi bei zunehmender Keckheit über Jahre ungestört hat prosperieren können, hängt damit zusammen, dass der Kunstmarkt es selbst gar nicht so genau wissen wollte, was echt und was falsch war. Anrüchig mag es gewesen sein, dass der Experte Werner Spies, der die Echtheit bescheinigte, am Verkaufsgewinn beteiligt wurde (mit immerhin acht Prozent) – unverständlich ist es nicht. Er wurde dafür belohnt, dass er den glühenden paradoxen Wunsch erfüllte, es möge von dem, von dem es unter keinen Umständen mehr geben soll, trotzdem immer mehr geben.

      Der unenttarnte Fälscher ist der große Wohltäter des Markts und Betriebs, ihr Gleitmittel, wo es hart auf hart geht und zu stocken droht. »Du betrügst zwar«, hat Helene Beltracchi im Interview erklärt, »aber es gibt doch gar kein richtiges Opfer.« Im Gegenteil, solange alles gutgeht, gibt es nur Nutznießer: Keiner hat Geld verloren, alle haben welches gewonnen. So können ja auch Banken zehnmal so viel Geld, wie sie als Eigenkapital besitzen, verleihen, vorausgesetzt, niemand thematisiert diesen (im Prinzip bekannten) Umstand ausdrücklich. Das geschieht ganz regelmäßig und legal. Unangenehm wird es erst, wenn »someone calls the bluff«. Dann will plötzlich jeder sein Geld zurück, das nicht da ist, eine Panik entsteht, und es muss der Staat einspringen, um den Kollaps des Systems abzuwenden. Im Fall des aufgeflogenen Fälschers allerdings geschieht dies nicht, sondern es bleibt jeder auf seinem Schaden sitzen; und alle sind sich einig, dass, was er getan hat, bloß illegal war.

      Aber erst, wenn er auffliegt. Bis dahin sind Markt und Fälscher sich insgeheim einig: Nichts ist letztlich so unimitabel, wie es tut, lässt sich doch alles über den einheitlichen Leisten des Marktpreises schlagen. Tut man dem Galeristen oder Kunsthändler, der den Fälscher von ferne erblickt, Unrecht, wenn man behauptet, er grüße ihn mit einem Augurenlächeln? Doch wenn es auffliegt, sind sie beide dran, und sie vermögen dann einander auch keinen Trost zu spenden.

      Es bleibt Markt und Betrieb nichts übrig, als den heimlich Benötigten und Ersehnten öffentlich zu verleugnen und abzuwehren. Drei Mittel sind es, die sie gegen ihn, wie halbherzig auch immer, zum Einsatz bringen: die Stilkritik; die Provenienzforschung; und die Materialprüfung. Die Stilkritik hat im Fall Beltracchis ein Fiasko erlebt, von dem sie sich so schnell nicht und vielleicht nie wieder erholen wird. Was die Provenienz angeht, also den möglichst lückenlosen Nachweis des Verbleibs eines Kunstwerks von seiner Entstehung bis zur Gegenwart, konnten die Beltracchis mit ihren frei erfundenen historischen Sammlungen straffrei ein Theater von erstaunlicher Unverfrorenheit abziehen. Es genügte an einem bestimmten Punkt, dass sie ein altes Wohnzimmer nachstellten, mit Fotokopien der von ihnen mittlerweile verkauften Gemälde schmückten (kam ja sowieso alles schwarzweiß rüber), Helene Beltracchi mit Rüschenbluse und Häubchen als Großmutter posierte (was offenbar keinem auffiel) und das Ganze mit einer altertümlichen Kamera festgehalten wurde.

      Zum Verhängnis wurden den beiden schließlich Fehler beim Material: Eine Farbtube, auf der »Zinnweiß« stand, enthielt in Spuren ein Titanweiß, das zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt war. Sie fielen am Ende einer Fehldeklarierung zum Opfer. Man wird dieses Endes nicht recht froh. Es ist, als wäre Caesar, statt den Dolchen der Senatoren, einer Lebensmittelvergiftung erlegen. Sie sind über etwas gestürzt, was sich zu ihrem Können rein zufällig verhielt.

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      Beltracchi, wie gesagt, ist ein entspannter Typ auch in widriger Lage. Er trägt seinen Anspruch so lässig vor, dass man ihn leicht übersehen kann. Sonst sollten weitere Kunstkreise doch erschrecken. Denn was er zuletzt von sich behauptet, das ist nicht nur, er sei so gut wie die von ihm Nachempfundenen, sondern besser. Man überlege sich, was das bedeutet.

      »Rembrandt war auch nicht besser«,

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