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wie führt Beltracchi dieses scheinbar verjährte Amt des Kunstrichters neuerlich ein? Er sorgt ganz unverhofft für einen neuen Maßstab. Dieser wurzelt einerseits in seinem persönlichen Urteilsvermögen, ist aber andererseits strikt nachprüfbar; und erfüllt damit in musterhafter Weise die alte doppelte Anforderung an das ästhetische Urteil, im Subjektiven das Objektive zu geben, nämlich: wie leicht oder wie schwer es ist, einen Künstler zu fälschen. Zu beurteilen vermag das nur er, aus langer Erfahrung; aber sehen kann es jeder, der will. Ganz unten auf dieser Skala steht Jackson Pollock, der sich so leicht nachahmen lässt, dass es schon keinen Spaß mehr macht. Vermeer? »Könnte ich auch.« Rembrandt? »Genauso.« Leonardo? »Noch viel leichter, aber unverkäuflich.« Und wer wäre wirklich schwer nachzumachen? »Bellini.« An Bellini als Führer der Hitliste hätten wir nun eigentlich nicht gedacht. Aber es muss was dran sein, wenn dieser altgediente Praktiker es sagt. Beltracchi mischt die Karten des Kanons neu, und zwar indem er ein einziges, leicht einzusehendes, universal brauchbares Kriterium heranzieht; es muss den auf seine Rallyes und Konjunkturen bauenden Kunstmarkt schwer verstören.

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      Viertens und vor allem aber ist Beltracchi der Künstler Alten Stils: jener, den der Spießer im Sinn hat, wenn er davon spricht, dass Kunst von Können komme und den er als Schöpfer von Dürers »Kleinem Rasenstück« hoch verehrt: jener, der den Pinsel selber führt und dem keiner hilft, wenn ihm das misslingt.

      Ja, es entscheidet sich am Pinsel, diesem Sinnbild des nicht erweiterten Kunstbegriffs. Ihn schwingt Beltracchi unverzagt. Von seiner Festnahme, also dem Augenblick seines Sturzes, erzählt er die folgende Geschichte: Er, seine Frau und die beiden halbwüchsigen Kinder (die von der genauen Tätigkeit ihrer Eltern nicht wussten) wurden von der Polizei überwältigt, in die hilflose Durchsuchungshaltung mit gegrätschten Armen und Beinen gezwungen, abgetastet und gefragt, ob sie Waffen bei sich hätten. »Waffen? Nur, wenn Sie einen Pinsel als Waffe betrachten«, lautete Helenes Antwort. Stolz und Demut liegen darin. So muss es geklungen haben, als Christus dem Pontius Pilatus erwiderte, sein Reich sei nicht von dieser Welt.

      Das Beirrende an Beltracchi liegt darin, dass er sein jeweiliges Ur- und Vorbild, den anderen Künstler, eben nicht kopiert. Die bloße täuschende Kopie eines schon vorhandenen Bildes (also der Leistungshorizont des Geldfälschers) könnte zwar mit einer gewissen Anerkennung ihres Virtuosentums rechnen, bliebe aber doch im Mechanischen stecken. Sie würde einen Fälscher auch nicht ernähren, da der Standort des Originals ja feststeht und damit der sekundäre Status des Abklatschs.

      Was Beltracchi statt dessen tut, ist weniger Nachahmung als Nachempfindung. Er sucht nach einer »Lücke« im Werk, die ihn einlässt. Es bedeutet nicht nur, dass er zu rekonstruieren versucht, wie belegte, aber verlorene Bilder hätten aussehen können, sondern dass er imaginiert (man ist geneigt zu sagen: sich ausmalt), welche Gemälde sozusagen nur zufällig nicht entstanden sind. Er studiert die Werke des Künstlers, dem er nachstrebt, versetzt sich in dessen schöpferische Seele und schickt sich an, die Schwünge der Farbe mit demselben physischen und psychischen Duktus wie jener auf die Leinwand zu werfen. Große Bedeutung hat es für ihn, dass er sein Gemälde im gleichen Zeitrahmen fertigstellt, den auch der andere Maler sich dafür gesetzt hätte. Wenn er für ein Zweistundenbild vier Stunden bräuchte, so hat er erklärt, dann müsste sich die Differenz als ein verräterischer Gestus des Zauderns ausdrücken. Sobald er sich entschließt, das Werk eines Künstlers auf seine Weise zu ergänzen, dann schlüpft er in ihn hinein, wird zu ihm – und steht doch gleichzeitig reflektierend daneben, eine Doppelung, von der man nicht weiß, wie, nur, dass sie so offenkundig funktioniert. Wie das vor sich geht, hat er für das »Rote Bild mit Pferden« dargestellt, mit dem er an das überlieferte Werk des Expressionisten Heinrich Campendonks anschließt. (Das Bild existierte, ist aber verschollen.)

      »Wie das Gemälde tatsächlich ausgesehen hat, weiß niemand. Campendonk hat es nicht beschrieben. Bekannt sind jedoch seine enge Freundschaft mit Franz Marc und August Macke, seine aufrichtige Bewunderung für Wassily Kandinsky und dass er sich mit den Kunsttheorien der drei auseinandergesetzt hat. Seine ersten Sindelsdorfer Bilder sind noch stark am Kubismus seiner französischen Malerkollegen orientiert, danach beginnt er innerhalb des Blauen Reiters seinen eigenen Weg zu gehen. (…) Jedenfalls war 1914 ein besonderes Jahr in Campendonks Schaffen, und so hätte das ›Rote Bild mit Pferden‹ für diesen Maler von ähnlicher Bedeutung sein können wie der berühmte, ebenfalls 1914 entstandene ›Sechste Tag‹.

      Um diese Veränderungen zu markieren, legte ich das Bild geschlossener an, als es Campendonk in seinen Gemälden bis dahin zu tun pflegte, und gestaltete die Formensprache komplexer und detaillierter. Gleichzeitig sollte die Transparenz der Farben auf seine Hinwendung zur Glasmalerei verweisen. Aus all dem entstand die Darstellung einer Gruppe grasender Pferde in einer friedlichen, paradiesgleichen Umgebung, und ich glaubte, meinem Hauptanliegen nahegekommen zu sein; ein Gemälde zu schaffen, das von innen her leuchtet.«

      Man beachte, wie hier die zwei sonst scharf gegeneinander abgesetzten Tätigkeitsfelder des Künstlers einerseits und des Kunsthistorikers bzw. -kritikers andererseits bruchlos ineinander übergehen. Als Kritiker registriert er Geschichte und Einflüsse; als Künstler legt er an, gestaltet und sorgt für das innere Leuchten. An der Grenzlinie beider Aktivitäten steht der Halbsatz »Um diese Veränderungen zu markieren …«. Der Weg verläuft hier genau umgekehrt, wie man es vom genuinen Künstler erwartet. Dieser beginnt mit dem kreativen Akt, und allenfalls hinterher lässt sich festhalten, dass hier bestimmte Änderungen eingetreten sind; auch er selbst vermag es dann zu sehen. Dass solche Umkehr gelingt, ohne dass sie in die Unmittelbarkeit des Ausdrucks verräterische Störungen und Stockungen einträgt, muss man als ein mehr denn virtuoses Talent, muss man als das spezifische Wunder Beltracchi bezeichnen. Noch ohne damit die Frage nach seinem Künstlertum abschließend zu beantworten, darf man doch hier schon behaupten, dass ein solcher Grad des Fälschertums jedenfalls eine größere Seltenheit bedeutet als selbst die große Kunst.

      Und nur nebenbei sei erwähnt, was Beltracchi für Campendonk geleistet hat: Dieser war vorher unter den Expressionisten einer der eher weniger bekannten gewesen. Erst Beltracchis Schöpfungen bzw. die Auktionen, auf denen sie losgeschlagen wurden, verschafften ihm größere Aufmerksamkeit; es war die Rede von einem »Höhepunkt der Auktion« und einem »Schlüsselwerk der Moderne«. Die Preise für den Maler stiegen um etwa das Dreifache. Davon hat sich Campendonk sozusagen bis heute nicht erholt; auch nach Beltracchis Entlarvung ist die in Heller und Pfennig ausgedrückte Wertschätzung erhalten geblieben. Der Künstler (oder doch der Kunsthandel) steht tief in der Schuld des Fälschers. Der falsche Ruhm war der unentbehrliche Trittstein zum echten, oder jedenfalls zum unbestreitbaren Faktum des mittlerweile gezahlten Marktpreises.

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      Was besagt all dies über das Wesen der Kunst, der zugrunde liegenden Original-Kunst? Die Preise für Kunst jeder Art haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen explosionsartigen Anstieg erlebt, alle naselang wird ein neues teuerstes Gemälde aller Zeiten versteigert; die Einhundert-Millionen-Grenze für ein einzelnes Bild ist längst geknackt. Wie gut, fragt sich der Laie, der weder Kunstgeschichte noch Betriebswirtschaft studiert hat, muss ein van Gogh oder Klimt sein, dass ein Stück Leinwand von ihnen, kleiner als ein durchschnittlicher Schreibtisch und manchmal an einem halben Vormittag angefertigt, solche Summen erzielt? Überschüssiges Kapital sucht sich neue Anlagesphären und findet sie mit besonderer Begeisterung dort, wo kein wie immer gearteter Gebrauchswert dem Tauschwert Schranken der Verhältnismäßigkeit setzt – das ist natürlich auch ein Grund. Gerade die nachgewiesene Nutzlosigkeit der neuzeitlichen Kunst begünstigt den entgrenzten Phantasiepreis. Eine Rolle spielt ferner die absolute Rarität. Sie kann es aber nicht allein sein; die Preise auch für seltenste Briefmarken oder Münzen bewegen sich deutlich unterhalb davon.

      Vor allem ist es so, dass hier der Künstler persönlich den Kopf herhalten muss, viel mehr als ein römischer Kaiser, dessen Profil eine Goldmünze ziert. Was als die These vom »Tod des Autors« vor etlichen Jahren in der Literatur für Wirbel gesorgt hat, ist im Bereich der Kunst nie angekommen. Dort bürgt noch immer der Name ganz unmittelbar für den Rang des Werks. Die Vorstellung vom Genie als dem Ausnahmemenschen überträgt sich direkt auf das von ihm Hervorgebrachte. Die Überzeugung, dass beides ineinander gestiftet sei,

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