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– seine eigenen Leute! – ließen ihn nicht schlafen, nicht eine Minute zur Ruhe kommen. Sie folterten ihn, befragten ihn, quälten ihn.

      Das von Schweiß getränkte Hemd seiner Uniform klebte ihm am Körper, aber hielt wenigstens die Moskitos davon ab, ihn völlig zu zerstechen. Leider bot die Kleidung keinen Schutz gegen die Fäuste und Tritte der Männer.

      Die Chancen standen hoch, dass er in diesem Drecksloch sterben würde. Henry war sich dessen voll und ganz bewusst. Wenn ihn die Rebellen nicht umbrachten, dann der Durst. Kehle und Mund fühlten sich staubtrocken an, seine Zunge klebte ihm am Gaumen, und er sehnte sich nach einem Schluck Wasser, am besten kühl und klar. Für einen einzigen Schluck würde er fast alles tun. Aber niemals seine Leute verraten.

      Die Aufständischen gaben ihm immer nur so viel von einer braunen Brühe zu trinken, dass er gerade bei Bewusstsein blieb, denn sie brauchten Informationen von ihm, wollten wissen, wann ein für sie wichtiger Transport in Richtung Hafen unterwegs war. Henry sollte ihnen den genauen Tag und die exakte Route verraten und wie viele Wachen den Trupp begleiteten. Die Steuereinnahmen eines Jahres wurden demnächst nach England transportiert, dazu wertvolle Stoffe und Kisten voller Gold und Silber. Das übrig gebliebene Steuergeld wurde aus Indien herausgeschafft, anstatt es hier in die Landwirtschaft und in Neuanschaffungen zu investieren, um die Erträge zu erhöhen. Das machte viele Einheimische zusätzlich wütend.

      Es war niemals gut, Männer der ansässigen Bevölkerung in die Kompanien zu holen, die gegen ihr eigenes Volk arbeiten mussten, dennoch war das eine gängige Praxis. Henry führte als Captain selbst eine kleine Einheit Einheimischer an, die die Ostindien-Kompanie zu Soldaten ausgebildet hatte. Immer wieder stellten sich jedoch einzelne gegen die Krone. Meist wurden Aufrührer sofort hingerichtet oder zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, was viele abschreckte. Doch Henry hatte nicht damit gerechnet, dass ihn Leute aus seiner eigenen Kompanie hintergingen. Er hatte den Männern vertraut, hätte sein Leben für sie gegeben! Aber man konnte in niemanden hineinsehen …

      Henrys Soldaten hatten im Laufe der Zeit mitbekommen, dass er mit Lieutenant Colonel Wardens Tochter verlobt war und seinem Vorgesetzten deshalb sehr nahestand. Tatsächlich hatte Warden ihm die Details seines Vorhabens mitgeteilt. Warden bezog ihn nicht nur in wichtige militärische Entscheidungen mit ein, sondern vertraute Henry auch seine einzige Tochter Edith an. In wenigen Wochen sollte die Hochzeit stattfinden.

      Henry würde seine Geliebte wahrscheinlich nie mehr wiedersehen, nie mehr ihr zauberhaftes Lächeln zu Gesicht bekommen, ihren blumigen Duft inhalieren, ihre weiche Haut berühren. Doch lieber starb er hier und jetzt, anstatt dass später viele andere ihr Leben lassen mussten … dass seine wunderschöne Edith sterben musste. Die Aufrührer würden ihr gewiss keinen schnellen Tod gewähren, sondern sie vorher brutal … Henry wollte nicht einmal daran denken. Er liebte Edith mehr als sein Leben!

      »Sprich endlich, Griffiths«, knurrte einer der Aufständischen – sein Name war Rahul – und zückte in der düsteren, stickigen Hütte ein kleines Messer. »Oder wir fahren härtere Geschütze auf.«

      »Ich kenne die Route nicht«, antwortete Henry zum bestimmt tausendsten Mal. Seine Stimme glich einem heiseren Krächzen, sein trockener Hals brannte. Er wollte nur noch etwas trinken und dann schlafen.

      Rahul schnaubte verächtlich. »Ich werde nicht aufhören, bis du mürbe geworden bist, Captain.« Er hob den Arm, um Henry die Klinge mit voller Wucht in den Oberschenkel zu rammen.

      Er brüllte auf, zerrte an seinen Fesseln und schnappte nach Luft. Der glühende Schmerz raste durch sein Bein und trieb ihm neue Tränen in die Augen. Erst als die gröbste Pein abebbte und die Wunde um die Klinge herum wild pochte, ließ er den Kopf hängen. Prompt spürte er wieder seine aufgeschürften Handgelenke, an denen die rauen Seile schabten, und seine anderen Verletzungen.

      Verflucht, was würde er dafür geben, jetzt mit Edith eine Limonade trinken zu können!

      Doch Rahul ließ ihn nicht träumen, nicht zu Atem kommen, und drehte die Klinge in seinem Muskel herum. Sofort flammte neue, noch viel brutalere Pein auf.

      »Ich weiß nichts!«, schrie Henry und wünschte, die Qualen würden endlich vorbei sein. Er konnte nicht mehr, fühlte sich unendlich erschöpft und müde.

      Rahul riss das Messer aus seinem Oberschenkel, woraufhin Henry betete, schnell zu verbluten. Aber Rahul war nicht dumm. Er hatte kein größeres Gefäß verletzt, damit er die Tortur noch lange weiterführen konnte.

      »Du bist ein zäher Kerl, Captain«, sagte Rahul grollend. »Aber auch die härteste Nuss gibt irgendwann nach.« Er drückte die scharfe Spitze der blutigen Klinge an Henrys Wange und zischte: »Rede endlich, oder ich schneide dich von oben bis unten auf.«

      Henry wollte ihm am liebsten Wardens Pläne entgegen brüllen, doch er hatte ständig Edith’ hübsches Antlitz vor Augen, sah, wie sie mit dem Trupp Soldaten durch den Dschungel ritt und sie aus dem Hinterhalt angegriffen wurden. Vermummte Männer zerrten Edith vom Pferd und zogen sie an ihrem wunderschönen schwarzen Haar in die Büsche, während andere Abtrünnige ihren Vater und alle anderen Soldaten abschlachteten.

      Wenn Henry redete, würde das Edith’ Todesurteil bedeuten.

      Ravi, ein junger Offizier, der Henry bis jetzt kein Leid zugefügt, sondern stillschweigend zugesehen hatte, sagte in seiner Sprache zu Rahul: »Vielleicht weiß er wirklich nichts.«

      Henry verstand ein wenig Bengalisch und nickte matt.

      »Er muss etwas wissen!« Rahul befahl einem der anderen Männer, die um ihn herumstanden, Henrys Kopf festzuhalten, und schon packten schwielige Hände von hinten seinen Schädel, als würde er in einen Schraubstock geklemmt. Er hatte kaum noch Kraft, sich zu wehren.

      Als die Klinge in seine Wange fuhr und ihm die Haut bis zu den Zähnen aufschnitt, brüllte Henry abermals auf und schluchzte wie ein kleines Kind. Er schmeckte warmes Blut und musste sich beinahe übergeben, während Rahul ihn mit barbarischer Kaltblütigkeit bearbeitete.

      Der ungeheuerliche Schmerz raubte ihm den Atem und die Sicht, vor seinen Augen drehte sich alles.

      Henry würde dennoch nichts verraten, egal wie brutal ihn die Rebellen folterten. Er würde schweigen und sein Leben geben. Nicht für die Krone, sondern für Edith.

      Ich liebe dich so sehr, mein schönes Mädchen, waren seine letzten Gedanken, als er in eine erlösende Ohnmacht glitt.

      Kapitel 2 – Geheime Beobachtungen

      Rochester, England

      Oktober 1835

      Izzy versuchte, kleine, langsame Schritte zu machen, damit es nicht so aussah, als würde sie um ihr Leben rennen. Na schön, im Grunde tat sie genau das, doch sie hatte ihrer Stiefmutter versprochen, sich zu benehmen. Außerdem würde es in diesen engen Schuhen und dem pompösen Kleid ein schwieriges Unterfangen werden, die Flucht zu ergreifen. Ach, wie fantastisch wäre es, wenn sie jetzt ihre bequemen Hosen tragen könnte!

      Wann immer sich Izzy eine Gelegenheit bot, sich von einer Veranstaltung fortzuschleichen, nutzte sie diese Chance, denn sie hasste opulente Feiern. Besonders solche, die ihre Stiefmutter extra für sie organisierte, um sie unter die Haube zu bringen.

      Was für ein Albtraum, dachte Izzy unentwegt, während sie durch Trenton House eilte, auf der Suche nach einem ruhigen Ort, an dem sie sich eine Strategie überlegen konnte. Irgendwie musste es doch möglich sein, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen! Schade, dass es draußen bereits zu kalt und zu dunkel war, sonst hätte sie sich in den Garten zurückgezogen.

      Izzy hatte vorgegeben, sich die Nase zu pudern, um der Hitze, dem Lärm sowie den penetranten Gerüchen nach Duftwässerchen und Schweiß eine Weile zu entfliehen. Gerade hatte sie einen Cotillion mit Lord Rochford getanzt – den sie zugegebenermaßen trotz seines Rufes äußerst sympathisch fand. Doch der nächste Herr stand schon für eine Quadrille bereit. Zum Glück machten die Musiker jetzt eine kurze Pause, was ihr sehr gelegen kam, denn dank ihrer Stiefmutter Rowena waren alle Plätze auf Izzys Tanzkarte vergeben.

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